Mathias Christian Kosel weiß wie man kleine ansprechende Musicals schreibt. Mit den „Sing, Sing, Sing – The Andrews Sisters“ oder „Sister Soul“ erzielte er mehr als nur lokale Achtungserfolge. Kennt man seine anderen Shows, erwartet man weniger eine tiefgründige Handlung als vielmehr bekannte Songs – das klassische Erfolgsrezept von Compilation Shows. Mit Country hat sich Kosel für seine „Jailbirds“ bei einer Musikrichtung bedient, die schier unendlichen Stoff bietet. Und doch ist „Jailbirds“ keine bloße Aneinanderreihung von Songs, sondern gibt erstaunlich viel Raum für die Entwicklung der einzelnen Schicksale der Insassen von County Jails in Friggles Flat.
Die Handlung ist inspiriert von einem Gesangswettbewerb, der in russischen Gefängnissen vor einigen Jahren stattfand. Kosel verlegte das Geschehen in ein Provinznest in Amerika, indem ein übellauniger Chief ein unerbittliches Regiment über den Bezirksknast führt. Die sieben Insassen sitzen aus unterschiedlichsten Gründen, großen und kleinen Straftaten ein und sind den Schikanen des Gefängnisdirektors ausgeliefert. Einzig für die Arbeit im Steinbruch verlassen sie ihre Zellen.
Eines Tages wird Neuzugang Billy in das Gefängnis von Friggles Flat überstellt. Sein Vergehen? Alberne Urkundenfälschung – er hat einen Scheck mit Dagobert Duck unterschrieben.
Dem zurückhaltenden werdenden Vater fällt es nicht leicht, sich in die Gemeinschaft der Häftlinge zu integrieren, aber nach und nach gewinnt er sie durch seine Begeisterungsfähigkeit und unbedingte Loyalität.
Als der Gouverneur von Georgia, der die Prämisse vertritt „Musik macht uns zu besseren Menschen“, unter den Landesgefängnissen einen Gesangswettstreit ausruft, bei dem der Gewinner seine Freiheit gewinnen kann, ist die Aufregung auch in Friggles Flat groß. Alle sehen ihre Chance, doch der bärbeißige Chief versucht, ihnen den Spaß zu nehmen. Billy schafft es, seine Knastbrüder davon zu überzeugen, dass sie nur gemeinsam zu diesem Wettbewerb kommen können. Und so wird beim Abwasch, im Steinbruch oder vor dem Schlafengehen eifrig geprobt.
Am Tag des Wettbewerbs gewinnt dann tatsächlich Billy alle Stimmen der Jury und gibt zum Erstaunen aller seinen Gewinn an seinen Zellenkumpel Lamotte weiter, der als Farbiger grundlos eingebuchtet wurde und ganz besonders unter den Allüren des Chiefs leidet. Für soviel Großmut wird Billy vom Gouverneur belohnt und seine Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Billy kann zurück nach Hause zu seiner schwangeren Frau.
Die raubeinigen Insassen habe alle eine ganz individuelle Geschichte. Da musste gerade das Casting passen. Doch man kann dem Altonaer Theater nur gratulieren – dir Künstler, die bei „Jailbirds“ auf der Bühne stehen, sind allesamt „tolle Typen“. Sie sind markant, unterschiedlich wie Tag und Nacht und doch jeder auf seine Weise liebenswert. Billy ist dabei der größte Sympathieträger. Michel Driesse überzeugt sowohl zu Beginn des Stücks als er völlig eingeschüchtert in das Gefängnis eingeliefert wird und sich gegen seine wenig freundlichen Insassen behaupten muss. Auch im Verlauf des Stücks, wo er zu einer Art freundschaftlicher Therapeut für alle Knastbrüder wird, kann er der Figur Billy verschiedene Facetten verleihen. Gesanglich meistert der „Tanz der Vampire“-Darsteller (Stuttgart, Hamburg, Berlin, und bald auch Oberhausen) sowohl die ungewohnt leisen Country-Balladen als auch die schwungvollen Ensemblenummern ohne Fehl und Tadel.
Billys Frau Rose wird von Anna Bauer gespielt. Bei ihrer schwachen Stimme vermag sich nicht zu erschließen, warum sie für diese Rolle engagiert wurde, da sie beispielsweise mit „Leaving on a Jetplane“ einen sehr intensiven Song hat, dem sie bei weitem nicht gewachsen ist.
Positiv kommen dafür Darren Perkins, Mario Ramos und Holger Löwenberg und Thomas B. Hoffmann daher, die als Lamotte, Tabacco, Banjo und Duck Eggs sehr starkte Moment haben – sowohl gesanglich als auch schauspielerisch. Sei es nun der Selbstmordversuch von Lamotte, die grantig-liebenswerte Art von Banjo, Tabaccos unwiderstehlicher Drang zum Opernsingen oder Duck Eggs esoterisches Spiel, das in dessen Tod gipfelt. Allesamt sind sehr markante Typen, denen man die charakterstarke Interpretation dieser sehr unterschiedlichen Rollen auf den ersten Blick nicht zutraut.
Jan Peter Heyne gibt einen wunderbar fiesen Chief. Beim Schlussapplaus erntet er für seine Darstellung und seine markigen Sprüche dann auch Pfiffe und Buhrufe – auch eine Art der Anerkennung.
Drei Musiker (Sascha Kraft, Pablo Saez, Kristofer Vio) wurden in die Handlung integriert und verstärken die Hauptfiguren stimmlich und akustisch mit Gitarre, Geige und Percussion. Kosel selbst sitzt im Sträflingsdress am Klavier an der Seitenbühne.
„Jailbirds“ ist trotz aller Vorbehalte gegen Compilation-Shows oder Stadttheater-Musicals ein gelungenes Werk und sorgt für gute Unterhaltung. Der Funke springt auf das Publikum über und die Zuschauer stimmen auch ohne jegliche Aufforderung durch die Cast in den Gesang von „Oh Susannah“ oder „Country Roads“ mit ein. Was will man mehr?
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical
Theater: Altonaer Theater, Hamburg
Premiere: 2008
Darsteller: Michel Driesse, Sascha Kraft
Musik / Buch: Mathias Christian Kosel
Fotos: Altonaer Theater