home 2008 Kleines, aber sehr feines Musical

Kleines, aber sehr feines Musical

Dass es Deutschland eindeutig an einer Art Off-Broadway-Szene mangelt, fällt immer dann auf, wenn kleine Musicaljuwelen ein Dasein in abgelegenen Minitheatern fristen müssen.

Ein Paradebeispiel für diese unglückliche Situation war Paul Graham Browns und James Lyons „Kampf des Jahrhunderts“, in dem sie den Boxkampf zwischen Max Schmeling und Joe Louis musicalisch aufgearbeitet haben.

In der kleinen Berliner Tribüne, die mangels Investor zum Jahresende 2008 schließen musste, fand der Engländer ein engagiertes Team, das das Potential in seinem neuen Stück erkannte.

Mit wenigen Mitteln (Spinde, Bänke, Seile und Boxsack) konnte für jede Szene die richtige Umgebung kreiert werden.

Die musikalische Begleitung war ebenso spartanisch (Klavier und Holzbläser), aber mitnichten effektlos. Die beiden Musiker (Paul Graham Brown saß selbst am Klavier) füllten den Raum mit Klang und unterstützten die Darsteller neben und unter sich auf der Bühne perfekt.

Das Ensemble bestand nur aus sieben Darstellern, die jedoch handverlesen wurden und ohne Abstriche als perfekt für ihre jeweilige Rolle bezeichnet werden können. Neben Ricky Watson und Michael Starkl, die als Joe und Max im Mittelpunkt stehen, ist es vor allem Daniel Papst als Max jüdischer Agent Joe Jacobs, der die Zuschauer in seinen Bann zieht. William Ludwig überzeugt in verschiedensten Rollen, die bis zum Reichssportminister reichen.

Auffällig an diesem Musical ist, dass jeder Charakter seinen eigenen Musikstil bekommen hat. Extrem deutlich wird dies im Showstopper „Frei“ von Joe Jacobs (Daniel Papst). Trotz des bedrohlichen Hintergrunds reißt der typisch jiddische Klang die Zuschauer mit – was aber auch nicht zuletzt der Tony-reifen Performance von Daniel Papst zu verdanken ist. So viel elektrisierende Intensität habe ich in den letzten Jahren selten auf einen Musicalbühne gesehen!

Ricky Watson alias Joe Louis singt sich beeindruckend durch seine jazzig-soulig Stücke, während Michael Starkls Songs als Max Schmeling sehr viel klarer und unverschnörkelter daherkommen.

Die schauspielerische Leistung eines jeden Einzelnen ist sehr gut. Niemand muss (und faktisch kann sich auch keiner) auf dieser Bühne verstecken. Da zahlt sich der langwierige Casting-Prozess aus. Den Paul Graham Brown und James Lyons für ihr Gemeinschaftswerk hinter sich gebracht haben.

Für die gelungenen Kampfszenen wurden extra Trainingseinheiten im Wolke-Stall eingelegt, die sich ebenfalls bezahlt gemacht haben. Man geht im Sitz förmlich in Deckung, wenn der „Brown Bomber“ zum Schwinger ausholt. Äußerst glaubhaft boxen Michael Starkl (Max) und Ricky Watson (Joe) um den Weltmeistertitel.

Die Moral des Stücks, die pointiert als Finalsong über die Rampe gebracht wird, ist deutlich: „Hättest Du auch dazu den Mut?“ Und genau mit diesem Gefühl geht man nach der Vorstellung auch aus dem Theater.

Wieder einmal wird klar: Es gibt sie, die Komponisten und Autoren, die schwierige Stoffe mit viel Feingefühl und handwerklichem Geschickt umsetzen. Es muss eben doch nicht immer die 08/15-Show sein, um ein Publikum zu unterhalten.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Tribüne, Berlin
Premiere: 4. Oktober 2008
Darsteller: Daniel Papst, Michael Starkl, Ricky Watson
Musik / Buch: Paul Graham Brown / James Edward Lyons
Fotos: Jürgen Rocholl
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