Update, 23. Juli 2017
Auch sechs Jahre nach der Premiere dieses urkomischen Zwei-Personen-Stücks haben die Hautdarsteller Carolin Fortenbacher und Nik Breidenbach nicht an Biss verloren. Das Mikro hat Aussetzer? Kein Problem, Fortenbacher versucht die Probleme mit Stand-Up Comedy zu überbrücken. Als das nicht ausreicht, geht sie von der Bühne ab, holt sich ein neues Mikro und fängt einfach nochmal mit der Auftaktszene an. Das Publikum johlt schon an dieser Stelle.
„La Fortenbacher“ war an diesem Abend in Höchstform. Ihr „Ich will alles“ ist komplett Ga-Ga und ihre gelallte Opernarie schlicht großartig. Die perfekte Symbiose von Gesang und Comedy.
Getoppt wird dies von einem „Bad Romance“, bei dem ein Zuschauer zum unfreiwilligen Star wird, indem er einfach mitten während des Songs aufsteht (vermutlich um das WC aufsuchen), während Fortenbacher hinter ihm hergeht. Da er dies aber nicht zu bemerken scheint, muss ihm seine Begleitung bei seiner Rückkehr erst einmal erläutern, warum das Publikum lauthals lachend applaudiert.
„Hare Krishna“, der Auftakt zum zweiten Akt, holt das Publikum exzellent ab und die Zuschauer schunkeln ähnlich verstrahlt wie die „bekifften“ Protagonisten durch die Reihen.
Nik Breidenbach hat seinen großen Moment mit der aus „Jekyll & Hyde“ bekannten „Konfrontation“, nur dass sich hier nicht die zwei widerstreitenden Persönlichkeiten eines Mannes gegenüberstehen, sondern der Almhüttenwirt und seine irgendwie doch nicht ganz so tote Mutter. Höchst anspruchsvoll, hohes Tempo und sehr viel Situationskomik. Das ist Unterhaltung pur!
Wie sagte Breidenbach doch ganz richtig am Schluss: „Dieses Stück ist an jedem Abend ein bisschen anders!“ Das ist eindeutig wahr, denn die vielen kleinen Pannen und Texthänger wurden von ihm und Carolin Fortenbacher extrem lustig überspielt oder Szenen neu interpretiert. Die beiden nehmen weder sich noch das Stück allzu ernst, und genau diese Spiel- und Lebensfreude überträgt sich nahtlos aufs Publikum.
Michaela Flint
Nachtrag zur Inszenierung 2012
Was im letzten Jahr zu Standing Ovations geführt hat, bringt man im Folgejahr leicht modifiziert erneut auf die Bühne. Dieses bewährte System hat sich seit Jahren für „Villa Sonnenschein“ bewährt; nun übernimmt man es auch für „Oh Alpenglühn“: Bereits jetzt steht fest, dass das schräge Zwei-Personen-Stück auch 2013 auf der Bühne des Schmidt Theater zu sehen sein wird.
Die Änderungen im Vergleich zum Vorjahr sind marginal, lediglich das komplette Streichen zweier Szenen fällt deutlich auf. Der gefloppte Grandprix-Song von Carolin Fortenbacher entfiel ersatzlos und auch die Szene, in der minutenlang durch diverse Htschnipsel im Radio gezappt wurde, fehlt. Dies unterstützt den Handlungsfluss deutlich und man vermisst es nicht eine Sekunde.
Ansonsten überzeugt die Fortenbacher auch in diesem Jahr als überspannte und chronisch untervögelte Musical-Diva sowohl gesanglich als auch spielerisch. Nik Breidenbachs Vielseitigkeit macht 2012 genauso viel Spaß wie 2011. Seine „Mutter-Sohn-Konfrontation“ in Anlehnung an „Jekyll & Hyde“ ist aller Ehren wert.
Besonders schön zu erleben war wie das Publikum mit einbezogen wurde. Ein leichtfertiger Kommentar mündet da durchaus in einem Tänzchen mit Breidenbach auf der Bühne. Genauso mögen die Zuschauer ihr Schmidt‘s!
Ich freue mich schon jetzt auf 2013!
Michaela Flint
Schon als man den nasskalten Hamburger Sommer verlässt und am Premierenabend das Schmidt Theater betritt, wird man thematisch abgeholt: Das Servicepersonal ist in typisch bayrischen rot-weiß-karierten Hemden mit Seppelhut gekleidet und auch Hausherr Corny Littmann begrüßt seine Gäste in Krachlederner – natürlich stilecht in St. Pauli-Farben. „Villa Sonnenschein“-Besuchern mag sein Hut sehr bekannt vorkommen – aber aufgepeppt mit ein paar Edelweiß-Zweigen ist Gustavs Cordhut die ideale Kopfbedeckung für diesen Anlass.
Im Saal werden die Gäste mit populärer Volksmusik empfangen und man ist gespannt, was sich das Schmidt-Team diesmal ausgedacht hat, um die schnöde Musiktheaterwelt Hamburg zu bereichern.
Dass eine Hamburger Theater-Institution wie das Schmidt Theater ausgerechnet die bayerischen Alpen als Kulisse für seine neueste Produktion gewählt hat, schürt die Hoffnung auf ein amüsantes, kurzweiliges und gewohnt schräges Musical.
Inhaltlich geht es um eine ausgebrannte Musical-Diva, die sich vom Liebhaber ihres Agenten in ein Wellnesshotel in den Alpen einbuchen lässt, um dem Stress ihrer gescheiterten Ehe und den üblichen Wehwehchen einer alternden Musicaldarstellerin zu entfliehen. Jedoch landet sie in einem kleinen Berghof, in dem einzig das Zimmer der verstorbenen Mutter des Bauern vermietet wird. Musical-Diva Carolin Joopina van der Holding (Ähnlichkeiten mit dem Chef eines weltbekannten Musicalkonzerns sind ganz sicher beabsichtigt) verfällt zusehends dem rustikalen Charme von Leopold. Der wiederum führt immer wieder geheimnisvolle Telefonate mit dem Liebhaber ihres Agenten, Fernando, und hört die Stimme seiner Mutter aus dem Jenseits, die ihm Carolin ausreden will. Plötzlich taucht Carolins Ehemann auf, wird aber von Poldi kurzerhand um die Ecke gebracht und entsorgt. Doch damit nicht genug – auch Carolin schwebt plötzlich in Lebensgefahr… Das klingt verwirrend? Wir wären ja auch nicht im Schmidt Theater, wenn alles nach Schema F ablaufen würde.
„Oh Alpenglühn!“ lebt von zwei vielseitig talentierten Bühnenkünstlern: Nik Breidenbach als Bauer Leopold und Carolin Fortenbacher als Carolin Joopina van der Holding werfen sich gegenseitig die Bälle zu und ziehen schauspielerisch, komödiantisch und gesanglich alle Register.
Mirko Bott hat beiden Künstlern die Rollen auf den Leib geschrieben. Beide haben die Möglichkeit, sich von unerwarteten Seiten zu zeigen: Nik Breidenbach brilliert in einer wunderbar schrägen Variante von Wildhorns „Konfrontation“ zwischen Mutter und Sohn, die gesanglich bekanntermaßen zu den schwersten Partien im Musicalbusiness gehört. Mit „I beg your pardon“ stellt er Poldis kaum vorhandene Englischkünste unter Beweis und lässt einem beim Hören dieses leider gar nicht so seltenen deutschen Akzents die Haare zu Berge stehen. Breidenbach alias Poldi gibt alles und testet seine Flirt- und Tanzkünste nicht nur an Carolin, sondern auch im Publikum – Songs wie „Komm und bedien Dich“ (im Original „Help yourself“ von Tom Jones) und „“I‘ve got you under my skin“ sind da sehr zweckdienlich.
Überhaupt ziehen sich die Bezüge zu großen Musicals wie ein roter Faden durch das Stück: Permanente Verweise auf Carolin Fortenbachers Paraderolle in „Mamma Mia“ in Form von Handyklingeln oder Einspielen des Songs „Fernando“ beim gleichnamigen Stichwort sind da eher die plumpe Variante. Harmonischer fügen sich die kurzen Sequenzen aus „Jekyll & Hyde“, „Tanz der Vampire“ und „Phantom der Oper“ in das Gesamtbild ein.
Leider nimmt Carolin Fortenbacher das Musical-Motiv sehr stark auf und bewegt sich phasenweise wie eine Kreuzung aus dem Glöckner von Notre-Dame und Edward Hyde über die Bühne. Auch wenn ich allerhöchsten Respekt davor habe, dass sie im ersten Akt ausschließlich in extrem hohen High Heels über die Bühne trippeln, tanzen und überhaupt gehen muss, ihre überbordende Energie bricht sich in exzessiven Bewegungen Bahn, mit denen sie deutlich über das Ziel hinaus schießt. Hier wie auch gesanglich gilt: Weniger ist manchmal mehr. Denn ihre durchaus eindrucksvolle Stimmvielfalt stellt die Fortenbacher wie schon früher allzuoft durch Lautstärke in den Vordergrund, was sie nicht nötig hat. Denn Strauß‘ „Frühlingsstimmen-Walzer“ und „Das Phantom der Oper“ sind wahrlich keine Stücke, die jede Musicaldarstellerin im Repertoire hat. Mit ihrer Interpretation von Lady Gagas „Bad Romance“ haut sie das Publikum schlichtweg um und zeigt eine Facette, die ihr so sicherlich keiner zugetraut hat.
Auch Situationskomik kommt beim Schmidtschen „Oh Alpenglühn“ nicht zu kurz. Sprüche wie „Du bist aufgeregter als der Auerhahn in den Sissi-Filmen“ oder „Das Hemd ist so wie Du: ein kratziges Karo“ treffen genauso ins Schwarze wie „In Hamburg bin ich weltbekannt!“.
Der erste Akt entfaltet sich stimmig und rund vor den Augen des Publikums, es wird wird gejammert, getrunken, gelacht, getanzt und geflirtet. Im zweiten Akt wird es wesentlich skurriler und man gewinnt den Eindruck als würde das Stück etwas ziel- und strukturlos in einer Sackgasse münden. Aber so wie man die Shows im Schmidt Theater kennt, wird auch hieran im Laufe der Zeit noch weiter gefeilt.
Am Ende des zweiten Akts sitzt Carolin gefesselt im Wohnzimmer eines irr lachenden, wahnsinnigen Leopold und eine Stimme aus dem Off (der schon bei „Pension Schmidt“ aktive Wilhelm Wieben) kündigt eine Auflösung der Szene in einer Fortsetzung an. Diese würden sicherlich viele gern sehen. Man denke nur an Nik Breidenbach als Poldis schwuler Bruder Fernando oder einen weiteren Exkurs in die theatralische Vergangenheit der Musical-Diva – da ist Musik drin…
Das „Alpenglühn“ endet sehr plötzlich und hinterlässt ein leicht verwirrtes, aber nicht minder gut gelauntes Publikum. Dieses kleine Comedy-Musical reiht sich ein die Vielzahl erfolgreicher Musicalproduktionen aus dem Hause Schmidt.
Michaela Flint
Premiere: 14. Juli 2011
Darsteller: Nik Breidenbach, Carolin Fortenbacher
Regie / Buch: Corny Littmann / Mirko Bott
Fotos: Oliver Fantitsch