home 2008 Jekyll & Hyde mal anders – Ist das Experiment gelungen?

Jekyll & Hyde mal anders – Ist das Experiment gelungen?

Nach drei erfolgreichen Inszenierungen von Helga Wolf („Camelot“, „Les Misérables“, „Kleiner Horrorladen“) entschied man sich in Lüneburg in diesem Jahr, Philipp Kochheim „Jekyll & Hyde“ für die kleine niedersächsische Bühne in Szene setzen zu lassen.

Leider kann diese Entscheidung nur bedingt befürworten. Das Stück wurde zwar jung und modern umgesetzt, aber es bleiben am Ende doch mehr Fragezeichen stehen als bei den vielfach gezeigten „klassischen“ Inszenierungen des Wildhorn-Musicals.

Die Handlung in die heutige Zeit zu verlegen, ist hierbei noch die harmloseste Änderung. Viele Texte wurden überarbeitet, Songs an einer anderen Stelle der Handlung platziert (oder ganz gestrichen), Charaktere neu definiert…

Während die geänderten Texte nicht allzu schwer ins Gewicht fallen und allenfalls von denjenigen Zuschauern bemerkt werden, die das Musical in seiner Bremer Fassung auswendig kennen, wirkt die Kreativität in Sachen Songadaptionen doch mehr als verwirrend. Einige sehr intensive Songs werden nur angespielt, andere völlig deplatziert und losgelöst von der eigentlich Handlung vorgetragen.

Zudem fehlt es dem Orchester unter der Leitung von Urs-Michael Theus das ein oder andere Mal an Intensität und Nachhaltigkeit. Selten ist eine „Konfrontation“ so wirkungslos verpufft wie in Lüneburg in dieser Spielzeit.

Zu den Charakteren lässt sich anmerken, dass offenbar nur Dr. Jekyll / Mr. Hyde, Lisa und Lucy Aufmerksamkeit geschenkt wurde, alle anderen sind Nebendarsteller, die ganz klar keinen Einfluss auf die Handlung und die Charakterbildung der drei Protagonisten haben. Dafür gibt es aber bei den Letztgenannten massive Änderungen:

Dr. Jekyll ist ein leidenschaftlicher Wissenschaftler – einzig die Motivation hinter seinen Forschungen  wird nicht deutlich. Zudem hat schon der sonst so brave Dr. Jekyll eine eindeutig aggressive Grundausrichtung. Seine „gute“ Seite tritt in dieser Inszenierung ganz klar in den Hintergrund. Er ist leicht chaotisch und lange nicht so zielstrebig wie man den Wissenschaftler sonst kennt.

Kasper Holmboe verkörpert den eleganten englischen Forscher optisch tadellos. Auch setzt er die Regieanweisungen sehr glaubhaft um – wenn er sich selbst mit der Videokamera filmt, ist dies eine der eindrucksvollsten Szenen des ganzen Stücks. Gesanglich fordert ihm die anspruchsvolle Rolle des Dr. Jekyll / Mr. Hyde alles ab und ist sicherlich an der ein oder anderen Stelle noch eine Nummer zu groß für den Dänen. Doch seine stattliche Erschein, sein fesselndes Schauspiel und seine sympathische Art machen dies spielend wett.

Dass ihm der Wechsel zwischen Dr. Jekyll und Mr. Hyde weder optisch noch akustisch gelingt, liegt an der eindeutigen Anweisung von Regisseur Kochheim, der bewusst diese klischeebehaftete Trennung von Gut und Böse vermeiden wollte. Diesen Regieeinfall kann man aber guten Gewissen als Missgriff bezeichnen, denn gerade dieser Konflikt steht in der Show im Mittelpunkt und so wird Dr. Jekylls Forschungsansatz gänzlich ad absurdum geführt…

Ein weiterer inszenatorischer Fehlgriff ist die Ähnlichkeit von Lisa und Lucy. Auch dies ist laut Programmheft vom Regisseur so geplant gewesen. Sigrid Brandstetter alias Lisa ist eine genauso moderne, junge Frau wie Carolin Kiesewetter als Lucy. Zu keiner Zeit wird deutlich, dass die beiden Frauen von gegenüberliegenden Seiten der Gesellschaft kommen.

Lisa hat durchaus ihren eigenen Kopf, aber was Dr. Jekyll an ihr findet, wird nicht klar. Genauso wenig erschließt sich dem Zuschauer worin die Faszination von Lucy besteht, kommt sich doch genauso normal daher wie Lisa. Einzig die (völlig aus dem Rahmen gezerrte) Szene in der „Roten Ratte“ , in der Caroline Kiesewetter in Overknee-Lackstiefeln vor dem geschlossenen Bühnenvorhang hin- und herstakst, zeigt, dass Lucy anscheinend doch aus dem Rotlichtmilieu kommt. Keine Freier, kein Zuhälter unterstreichen dies im Verlauf des Stücks.

Optisch hat Barbara Block Dr. Jekylls düstere Wohnung in ein weißes, trendiges Loft verwandelt. Einen Szenenwechsel zum Labor gibt es jedoch nicht. Die Handlung findet vollständig in Dr. Jekylls Wohnung statt. Was dann der Glasgasten im rechten hinteren Bühnendrittel soll, in dem wahlweise getanzt wird oder Mr. Hyde seine Opfer ermordet, erschließt sich nicht und wird daher unter künstlerischer Freiheit verbucht.

Trotz aller Kritikpunkte gefällt diese Produktion, da sie einem düsteren viktorianischen Stoff neues Leben einhaucht. Dennoch sollte man auch als Regisseur nicht an den grundlegenden Eigenschaften der Charaktere rütteln. Das macht – wie in diesem Fall – das Musical für viele Besucher unverständlich.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Theater Lüneburg
Premiere: 22. November 2008
Darsteller: Sigrid Brandstetter, Kasper Holmboe, Carolin Kiesewetter
Musik / Regie: Frank Wildhorn / Philipp Kochheim
Fotos: Theater Lüneburg
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