English review
Man nehme: Die Musik der 50er und 60er Jahre, farbenfrohe Kostüme, nicht minder bunte Kulissen, einen Traum, den jedes Teenagermädchen in Amerika hat (nämlich an einem TV-Tanz-Wettbewerb teilzunehmen), füge dann mit Michael Ball und Mel Smith zwei in London sehr bekannte Musical- bzw. TV-Promis als schräges Elternpaar hinzu und würze das ganze mit zwei Newcomern als Liebespaar. Herauskommt ein Tony Award dekorierter Broadway-Hit, der den Sprung über den großen Teich ins West End geschafft hat und seit 30. Oktober mit stehenden Ovationen frenetisch gefeiert wird.
Das Kreativteam rund um Regisseur Jack O’Brien ist direkt mit über den Atlantik geflogen, damit auch nichts schief geht. Und so erlebt London jeden Abend die Wiederauferstehung der 60er Jahre in Baltimore; die Auflehnung gegen Rassentrennungen, das Bekenntnis zum dick oder sonst irgendwie anders sein. Knapp 30 Darsteller sorgen im Shaftesbury Theatre jeden Abend für gute Laune.
Nach ihrem Rausschmiss aus der Show trifft Tracy auf eine Gruppe farbiger Teenager rund um Seaweed J Stubbs (Adrian Hansel), denen sie sich anschließt als sie merkt, was für begnadete Tänzer sie sind. Gemeinsam hecken sie einen Plan aus, mogeln sich in die Show und tanzen vor laufenden Kameras.
Damit lösen sie eine Revolution aus, die zur Folge hat, dass Mama Edna zur Agentin ausstaffiert wird, Produzentin Velma und ihre Tochter intrigieren was das Zeug hält, um die beim Publikum sehr beliebte Tracy wieder loszuwerden und sich auch noch Link offen zu ihr bekennt als die von Tussels es schaffen Tracy und ihre Anhänger ins Gefängnis zu bringen.
Das Finale ist so wie man es von einer kitschig-romantischen Broadway-Show erwartet: Tracy gewinnt den Wettbewerb, bekommt den Jungen, Farbige dürfen im TV auftreten und die von Tussels werden bestraft.
Die Show lebt von den Rock’n’Roll- und Rockabilly-Songs, die in den späten 50ern und 60er Jahren eine ganze Generation geprägt haben. Unweigerlich wippt man mit, klatscht im Rhythmus und tanzt zum großen Finale. Elf Musiker unter der Leitung Nicholas Skilbeck sorgen für einen bombastischen Klang, der bis in die letzten Reihen des 1911 eröffneten Theater erklingt. Showstopper sind die Eröffnungsnummer „Good Morning Baltimore“ von Tracy, der „Har-de-Har Hut“ von Edna und Wilbur im zweiten Akt und natürlich „Hairspray“ und „You can’t stop the Beat“ zum Finale. Auch die wundervolle Ballade „I know where you have been“ von Motormouth Maybelle (Johnnie Fiori) bleibt im Gedächtnis.
Einen unerfahrenen Jungstar für eine Titelrolle zu engagieren, birgt immer gewisse Gefahren. Im Fall von Leanne Jones kann man nur von einem Glücksgriff der Produzenten sprechen. Ihre sympathische Ausstrahlung macht sie im Handumdrehen zum Publikumsliebling. Und wenn die junge Engländerin, die zum ersten Mal nach Abschluss ihrer Ausbildung auf einer Bühne steht, zu singen beginnt, geht im wahrsten Sinne des Wortes die Sonne auf. Alle Zuschauer fangen gleichzeitig an zu strahlen, so gewinnend ist die unverbrauchte, warme und überraschend volle Stimme von Jones.
Mit Ben James-Ellis als Teenie-Idol und Möchtegern-Elvis Link Liarkin hat sie einen ebenso sympathischen wie rollendeckend agierenden Bühnenpartner. Dennoch bleibt er genauso wenig nachhaltig in Erinnerung wie die beiden von Tussels, die zwar an Zickigkeit und Ehrgeizigkeit kaum zu überbieten sind und so auch für manchen Lacher sorgen, aber ansonsten nicht weiter im Vordergrund stehen. Anders sieht aus mit der Clique farbiger Teenies rund um Seaweed. Adrian Hansel singt und vor allem tanzt sich schnell in de Herzen der jungen Zuschauerinnen. Seine Mutter Motormouth Maybelle wird gespielt von Johnnie Fiori, die erwartungsgemäß mit einer raumfüllenden Soulstimme auf sich aufmerksam macht. Den Niedlichkeitsbonus bekommt Natalie Best als kleine Schwester Inez, die mit einer süßen Stimme ihre Gesangsparts meistert und wie ein kleiner wirbelwind immer mitten im geschehen dabei ist.
Tracy größte Konkurrenz im Kampf um die Publikumsgunst ist Michael Ball, der die fürsorgliche Mutter mit einem Hang zum Showbiz darstellt. Dass unter dem Fatsuit und den zunächst unglaublich langweiligen, im Verlauf der Show beeindruckend farbenfroh und aufwendig werdenden Kostümen der beliebte englische Musicalstar steckt, ist kaum zu erkennen. Dennoch reagiert das Publikum auf seine Szenen und recht spärlichen Gesangspassagen mit unbändigem Applaus. Das romantische Duett der Eltern im zweiten Akt, der „Har-De-Har Hut“, ist berührend und komisch zugleich. Berührend, weil sich ein älteres Elternpaar seine beständige Liebe schwört. Komisch, weil die beiden Darsteller eher weniger als mehr talentiert im Tanzen sind. Die beiden Küsse am Ende der Szene werden vom Publikum mit lautem Jubel quittiert. Michael Ball geht in seiner Rolle als Mutter voll auf und es ist eine wahre Freude ihm hierbei zuzusehen.
Mit dieser Show werden Diskriminierung und Rassenkonflikte spielend thematisiert, ohne abfällig über diese ernsten Themen sprechen. Ganz nebenbei wird noch eine Lanze für all diejenigen gebrochen, die zu viele Kilos auf die Waage bringen, Es werden gängige Klischees bedient, die aber perfekt in das quietschbunte Umfeld dieses Musicals passen. Wer hier nicht mit guter Laune aus dem Theater kommt, dem ist nicht zu helfen!
Auch wenn wir uns selten zu Prognosen hinreißen lassen, aber solange Michael Ball und Leanne Jones im Ensemble bleiben, ist „Hairspray“ im West End eine lange Laufzeit beschieden.
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical
Darsteller: Michael Ball, Ben James-Ellis, Leanne Jones, Johnnie Fiori
Regie: Jack O‘Brien
Fotos: Catherine Ashmore