Hape Kerkeling preist dieses Musical in der Fernsehwerbung als „Mördershow“ an. Das Publikum schüttet sich aus vor Lachen und wer den Film kennt, weiß warum.
„Kein Pardon“ ist eine Show, die wie kaum eine andere von den Darstellern lebt, die auf der Bühne stehen. In der besuchten Vorstellung fehlte nicht nur Dirk Bach, sondern auch Iris Schumacher und Wolfgang Trepper. So gut die Zweitbesetzungen auch spielen, man spürt zu sehr, dass die Rollen auf jemand anders zugeschrieben sind. Dass niemand aus dem Publikum sich zu Standing Ovations hinreißen lässt, spricht für sich.
Das ist sehr schade, denn mit Enrico De Pieri steht als Peter Schlönzke ein sehr charismatischer Darsteller auf der Bühne, der es schafft, Hape Kerkeling nicht zu parodieren, sondern seinen eigenen Weg zu finden, dem glücklosen Ruhrpott-Jungen Leben einzuhauchen.
Musikalisch bietet „Kein Pardon“ unerwartet viel Abwechslung und auch die Kostüme und Szenenbilder sind sehr gelungen.
Von der ersten Idee, aus der Satire auf die Fernsehwelt ein Musical zu machen bis zur Weltpremiere im November 2011 vergingen fast drei Jahre. Comedian Thomas Hermanns zeichnet für Buch und Liedtexte verantwortlich. Hape Kerkeling und Dirk Bach waren schon früh am Kreativprozess beteiligt. Die Musik stammt von Achim Hagemann und Thomas Zaufke. Allesamt Profis – gute Voraussetzungen für eine tolle Show.
An der Handlung an sich ist nichts auszusetzen. Man muss den Film nicht kennen, um dem Geschehen folgen zu können. Mittzwanziger Peter Schlönzke wohnt immer noch bei seinen Eltern und wünscht sich nichts mehr, als Fernseh-Moderator zu werden. Wie der Zufall es will, tritt er in die Fußstapfen seines Idols Heinz Wäscher und lernt die gar nicht so schillernde und schöne TV-Welt kennen. Hinter den Kulissen herrscht der Kampf um Quoten; Neid und Missgunst sind an der Tagesordnung und Peter merkt nicht erst als auch er abserviert wird, dass er sich selbst etwas vorgemacht hat. Der Weg zurück in seine alte Welt ist holprig, aber dank ein wenig Glück wird er im Schoß seiner Familie wieder willkommen geheißen.
„Kein Pardon“ ist bunt, laut und lustig. Die Show will nur eines: unterhalten! In Bezug auf das Schicksal von Peter Schlönzke trifft dieser Ansatz in Schwarze. Enrico De Pieri gibt einen liebevollen Trottel; man möchte ihm unbedingt helfen, seinen Weg zu finden. Wenn er mit seinem Schnittchen-Fahrrad durch Bottrop radelt und dabei typische 80er Jahre Mitbürger trifft, ist das schon sehr süß. Seine Liebes-erklärung an seinen Fernseher („Kumpel Nummer Eins“) ist herzerweichend und hält dem Publikum charmant den Spiegel vor – denn ohne Fernseher geht es für viele heutzu-tage kaum noch. De Pieri hat eine sanfte Ausstrahlung und so ist man überrascht, dass in ihm eine solch raumgreifende glasklare Stimme versteckt ist. De Pieris Soli sind das Highlight der Show!
Die Menschen, denen Peter vor und während seiner Fernseh-Karriere begegnet sind echte Unikate. Jeder hat seine eigene mehr oder weniger charmante Macke, ob nun der ewig grantelnde Opa, die dauerlächelnde Redakteurin Doris, die Käffchen-Maus Karin, der schleimige Regisseur Bertram oder der gestresste, rücksichtslose TV-Star Heinz Wäscher. Und doch bleiben alle nur sehr oberflächlich in Erinnerung. Vieles wirkt aufgesetzt und unnatürlich. Einzig Roberta Valentini setzt als Ulla einen erfrischenden Lichtblick.
Die beiden Duette von Peter und Ulla (De Pieri und Valentini) sind wunderbar rockig – „Klingelsturm“ sprüht vor Spielfreude und in „Wild und frei“ empfiehlt sich Valentini eindrucksvoll als nächste Scaramouche in „We Will Rock You“. Die bekannten Klassiker aus dem Fernsehfilm („Witzigkeit kennt keine Grenzen“, „Das ganze Leben ist ein Quiz“) kommen souverän über die Rampe. Insgesamt will die Mischung aus 80er Jahre Schlagerpop und Rocksound dennoch nicht so recht passen. Die Brüche zwischen den musikalischen Elementen sind einfach zu stark.Die sechsköpfige Live-Band intoniert jedoch alle Stilrichtung perfekt.
Überhaupt erstrahlt die Leistung der Backstage-Abteilungen über allem: Die Kostüme von Mario Reichlin sind farbenprächtig und detailgetreu. Der Kontrast zwischen Ruhrpott-Familie und schillernder TV-Welt könnte größer kaum sein. Hans Peter Kudlichs Bühnenbild schafft spielend den Sprung zwischen Traum und Realität. Auch Andrew Voller kann lichttechnisch aus dem Vollen schöpfen, obwohl manche Effekte einen psychedelischen Ursprung nahelegen. Auch die Projektionen auf den mobilen Videosäulen (Uwe Hesse, Felix Kawamura), die in einigen Szenen das Geschehen einrahmen, sind überladen und beim Zuschauen wird einem schnell schwindelig.
Wie bereits erwähnt, wird die Show einzig von Enrico De Pieri getragen. Das ist eine große Last, die man gern auf mehr Schultern hätte verteilen können. Dennoch macht es viel Spaß De Pieri als Peter Schlönzke zuzuschauen. Man leidet und freut sich mit ihm. Als luschtiger Glückshase hat er die Lacher immer auf seiner Seite.
Roberta Valentini scheint als Peters Freundin Ulla etwas überqualifiziert, hat aber mit ihm zusammen die beiden besten Songs des Abends auf ihrer Habenseite.
Die Schlönzkes wurden in der besuchten Vorstellung von Susanna Panzner (Mutter) und Verena Plangger (Oma) gespielt. Alle spielten sympathisch und mit dem Herz am rechten Fleck. Doch es blieb der Beigeschmack, dass sie sich (noch) nicht wirklich mit den Figuren angefreundet hatten. Plangger ist die Ausnahme, denn wenn sie immer wieder vom Bollerwagen erzählt, rührt das auf komische Weise zu Tränen.
In Abwesenheit von Dirk Bach übernimmt Heinz-Peter Lengkeit die Rolle des alternden TV-Moderators Heinz Wäscher. Aber so recht will ihm das Kostüm nicht passen. Seine Interpretation der hessischen Frohnatur wirkte steif. Auch als Uschi Blum macht er eine eher unglückliche Figur. Eigentlich eine der zentralen Rollen der Show ging er beim Schlussapplaus in der Menge des Ensembles unter.
Reinhard Brussmann macht als österreichischer TV-Regisseur Bertram Spaß, kann sich aber auch nicht nachhaltig im Gedächtnis festsetzen. Bleibt noch der luschtige Glückshase, der mit den Niedlichfaktor die Herzen der Zuschauer spielend gewinnt – egal welcher Künstler drin steckt.
In erster Linie liegt es wohl an der Personenregie, dass die Charaktere blass bleiben und man tatsächlich das Gefühl hat, einer distanzierten TV-Sendung zuzuschauen als mitten in der abwechslungsreichen Lebensgeschichte von Peter Schlönzke. Es mag aber auch daran liegen, dass die Figuren bestimmten Darstellern auf den Leib geschrieben wurden und die Zweitbesetzungen schlicht anders gebaut sind. Hier scheint noch Potential zu sein, das Stück weiter zu entwickeln.
Szenisch hat Regisseur Alex Balga hingegen schöne Bilder geschaffen. Ob nun große Ensemblestücke wie „Fernsehland“, „Das ganze Leben ist ein Quiz“ oder die kleinen feinen Szenen wie „Kumpel Nummer Eins“ und „Mein Sohn ist beim Fernsehen“ – die szenische Welt funktioniert einwandfrei und das Capitol Theater zeigt alles her, was es an Kostümen und Ausstattung zu bieten hat.
Eine der nachhaltigsten Szenen war übrigens „Dat wär doch gelacht“, in der Opa Schlönzke kurz vor dem eigentlichen Showfinale eine Hymne auf den Ruhrpott zum Besten gibt, die alles aufzeigt, was den Pott so einmalig und sympathisch macht. Eigentlich hätte man das Stück auch an dieser Stelle enden lassen können. Aber dann hätte das große Finale gefehlt, bei dem noch einmal alles aufgefahren wurde, was „Kein Pardon“ zu bieten hat: Schillernde Kostüme, eine technikversierte Ausstattung, einen sehr charismatischen Hauptdarsteller und den gar nicht so heimlichen Star mit Puschelschwanz.
Dass das Stück beim Publikum nicht so recht ankam, zeigte sich beim Schlussapplaus: Niemand stand auf; außer Enrico De Pieri bekam keiner der Akteure übermäßigen Applaus. Es kann nicht nur daran liegen, dass Gäste von außerhalb dem Ruhrpott-Charme nicht erliegen. Wenn nicht einmal der Darsteller in der Rolle des „Warm-Uppers“ die Zuschauer zu Jubelstürmen motivieren kann (und normalerweise lässt sich deutsches Publikum gern zum Mitmachen animieren), wird die Luft echt dünn.
Michaela Flint
Besuchte Vorstellung: 27. Januar 2012
Darsteller: Enrico De Pieri, Roberta Valentini
Regie / Buch: Alex Balga / Thomas Hermanns
Fotos: Boehme und Margo / Jens Hauer