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Gute Unterhaltung mit Luft nach oben

Der britische Film von 1997, in dem eine Handvoll arbeitsloser Stahlarbeiter in Sheffield aus unterschiedlichsten Gründen blank zieht, wurde sehr schnell für die Musicalbühne adaptiert und schon im Jahr 2000 am Broadway uraufgeführt. Terrence McNally und David Yazbek verlegten die Handlung von England in die USA, genauer gesagt nach Buffalo im Bundesstaat New York. Auch dort erlebte die Stahlindustrie in den 1990er ihren Niedergang, tausende Fabrikarbeiter verloren ihre Jobs.

Während die Männer sich jedoch größtenteils selbst bemitleiden und nicht so recht wissen, wie sie ihr Leben in den Griff bekommen sollen bzw. zu stolz sind, „irgendeinen“ Job anzunehmen, organisieren die Frauen den Auftritt einer Strippergruppe, die sie ihre Sorgen für einen Abend vergessen lässt. Die Freunde Jerry und Dave können so gar nicht verstehen, was die Frauen daran finden, halbnackten Tänzern zuzujubeln und mokieren sich über diese „Hupfdohlen“. Aber als sie merken, dass man mit dieser vermeintlich anspruchslosen Art der Bühnendarbietung richtig viel Geld verdienen kann, wächst in ihnen einen Idee: Ehemalige Stahlarbeiter, die an einem einzigen Abend vor zahlendem Publikum strippen. Der einzige Unterschied zu Profis wie den Chippendales soll sein, dass sie sich komplett ausziehen – also „The Full Monty“ präsentieren.

Klingt eigentlich ganz einfach, ist es aber nicht… Jerry, der von seiner Exfrau wegen ausstehender Unterhaltszahlungen für den gemeinsamen Sohn ein Ultimatum gestellt bekommen hat, versucht verzweifelt, seine Kumpels von der Idee zu überzeugen. Aber tanzen? Noch dazu nackt? Vor Frauen, die die meisten von ihnen seit Jahren kennen? Da lehnen seine Ex-Kollegen dankend ab.

Also veranstaltet er mit seinem besten Freund Dave, dessen Motivation es ist, für seine Frau endlich wieder attraktiv sein zu wollen, ein Casting und stellt eine bunte Truppe mit hohem Frustfaktor zusammen: das Muttersöhnchen Malcolm, den sie nur knapp vom Selbstmord abhalten können, Ethan, der ein wirklich überzeugendes Argument hat, bei diesem Striptease dabei zu sein, der ehemaliger Abteilungsleiter Harold, der seiner Frau auch nach sechs Monaten nichts davon gesagt hat, dass er seinen Job verloren hat, und den Klischee-Afroamerikaner Horse, der tänzerische Erfahrung vorzuweisen hat.

Die Truppe nennt sich fortan „Hot Metal“ und beginnt zu proben. Jerry organisiert einen Raum und Kostüme und treibt die Männer an. Er hat ein Ziel vor Augen – sein Sohn Nathan – und dafür gibt er alles. Dave’s Frust steigt täglich, er fühlt sich zu dick und unnütz, da er keinen Job findet, möchte sich aber von seiner eindeutig stärkeren Frau Georgie auch nicht helfen lassen. Schließlich ist er ja der Mann! Malcolm lässt sich von seiner Mutter herumkommandieren, bis diese unerwartet stirbt. Ethan hilft ihm über diesen Verlust hinweg und die beiden entdecken ihre Liebe füreinander. Harold hält weiter seine Fassade aufrecht bis der Gerichtsvollzieher seiner überraschten Frau alles aus dem Haus holt, was auch nur den geringsten Wert hat. Und Horse? Ja, der versucht alle Mittelchen und Gerätschaften, um seinem vielsagenden Namen alle Ehre zu machen und sich beim Auftritt nicht vollends zu blamieren.

Regisseur Ingo Putz hat die Charaktere aus dem Kieler Haus-Ensemble besetzt. Einzig Alvin Le-Bass ist als Gast dabei. Marko Gebbert ist Jerry, Oliver E. Schönfeld spielt Dave, Zacharias Preen gibt Malcolm und Rudi Hindenburg Ethan. Harold wird von Imanuel Humm gespielt und Le-Bass steht als Horse auf der Bühne des Kieler Schauspielhauses. Auch die Darstellerinnen kennt man durchweg aus anderen Kieler Produktionen: Magdalena Neuhaus als Harolds Frau Vicki, Ellen Dorn als Jerrys Ex-Frau Pam, Jennifer Böhm als Daves geliebte Georgie sowie Yvonne Ruprecht als Jeanette. Hinzu kommen noch Martin Borkert, Werner Klockow, Nurit Hirschfeld, Hannah Moana Paul und Olivia Papoli-Barawati, die in verschiedenen Nebenrollen zu sehen sind.

Bühne (Margarethe Mast) und Kostüme (Katharina Kromminga) sind gelungen und geben der Handlung im tristen Buffalo der 1990er Jahre einen optisch treffenden Rahmen. Auch die sechsköpfige Band unter der Leitung von Ture Rückwardt schafft den idealen Klangteppich für Yazbeks schwungvoll-rockige Kompositionen.

Gerade an Stadttheatern, die alle drei Sparten bedienen, trifft man häufig auf das Phänomen, dass das Haus-Ensemble in Schauspielen, Opern und Musicals zu sehen bzw. zu hören ist. Das kann funktionieren (wie beispielweise in Kiel 2014 bei „Romeo & Julia“), häufig muss das Publikum hier jedoch Abstriche machen. Auch bei „The Full Monty“ können die Darsteller schauspielerisch durchweg überzeugen. Insbesondere Oliver E. Schönfeld erzeugt als liebenswerter, aber mit sich und seinem Waschbärbauch unzufriedener Dave, der durch sein mangelndes Selbstbewusstsein fast seine Ehe aufs Spiel setzt. Yvonne Ruprecht gibt die herrlich knorrige Probenpianistin Jeanette, die mit ihrer Art und ihren trockenen Sprüchen nicht nur die Tanztruppe unterhält. Ihre „Showbiz Nummer“ zu Beginn des zweiten Akts ist herrlich abgeranzt und toll gespielt.

Marko Gebbert bringt vor allem die aggressiven Momente, die Jerry durchlebt, mit seiner Intensität gut über die Rampe. Gefühlvolle Szenen, wie die in der Nathan seinem Vater Geld leiht, liegen ihm dagegen nicht so sehr („I love you kid“).

Wäre dies ein Theaterstück könnte man durchweg von vorzüglicher Unterhaltung sprechen, auch wenn man die Ansicht des Regisseurs, dass die Besetzung der Rollen durch Schauspieler mit Sprechtheater-Schwerpunkt per se glaubhafter ist, nicht teilen muss. Denn wenn die Schauspieler 10 und mehr Jahre älter sind als im Rollenprofil angegeben, schwindet die Authentizität – trotz der vielleicht optisch glaubhafteren Erscheinung – dahin (Programmheft-Interview, Seite 9).

Da es sich bei „The Full Monty“ jedoch um ein Musical handelt, in dem viel gesungen und getanzt wird, gilt es auch hier genauer hinzuschauen. Choreographisch sind durchaus einige gute Ideen von Zaida Ballesteros Pajero zu erkennen, doch leider kann das Ensemble diese nicht umsetzen. Das fängt beim „Cha Cha Cha“ in der Tanzschule an, der bei keinem der asynchron tanzenden Paare ein „Cha Cha Cha“ ist, sondern ein hilfloses Herumgehopse, und endet bei den Tanzeinlagen der Herren, die sich doch recht oft selbst auf den Füßen zu stehen scheinen. Warum man in Kenntnis dieses Mankos dann nicht diejenigen in die erste Reihe stellt, die den Tanzschritten einigermaßen gewachsen scheinen, sondern diejenigen vorn platziert, die das geringste tänzerische Talent haben, bleibt rätselhaft (bspw. „Michael Jordan’s Ball“).

Gesanglich wird in dieser Inszenierung munter zwischen deutschen und englischen Texten hin und hergewechselt. Intendiert war seitens des Regisseurs, dem Publikum mit den englischen Originaltexten einen „klangvollen Eindruck vom amerikanischen Buffalo zu geben“, wohingegen die handlungsrelevanten Strophen sollten auf Deutsch gesungen werden (Programmheft-Interview, Seite 9). Ein roter Faden lässt sich hier leider nicht erkennen. Und wenn man zudem berücksichtigt, dass die meisten mit den englischen Originaltexten kämpfen und man sie daher kaum versteht, wäre es wohl besser gewesen, alles komplett auf Deutsch zu inszenieren. Denn die deutsche Fassung von Iris Schumacher und Frank Thannhäuser entfaltet ihre Wirkung auch abseits der Originalsprache.

Während die Auftaktnummer der Damen („It’s a Woman’s World“) noch sehr schwungvoll daherkommt, wirkt schon der erste große Song der Herren („Man“) unfreiwillig komisch, was sowohl am unbeholfenen Staging als auch an Gebberts unpassenden Sprechgesang liegt. Malcolms durch Jerry und Dave verhinderter Selbstmord ist gut und beklemmend gespielt, doch die abschließende Ballade „Big-Ass Rock“ wird von allen drei Darstellern nur sehr mühevoll intoniert.

Auch Ethans und Malcolms Duett „You walk with me“ ist eher angestrengt als romantisch. Dass mit Le-Bass beim Casting für „Hot Metal“ ein „reiner Musicaldarsteller“ die Bühne betritt, merkt man schon an seiner Ausstrahlung. Sein Solo „Big Black Man“, in dem Gesang und Tanz kombiniert sind, funktioniert hervorragend und das Publikum ist begeistert.

Dass aber nicht alle Musical-Bestandteile holpern, zeigt beispielsweise die Szene, in der Dave und Harold ihren Frauen des nächstens im Bett ihre Liebe gestehen. Die Paare „liegen“ in aufrecht stehenden Betten und während Dave mit seiner Figur hadert und sich fragt, wieso Georgie bei ihm bleibt, verzweifelt Harold an seinem Lügengebilde, dass er für seine vermeintlich Status-orientierte Frau aufrecht erhält. Der Song (im Original „You Rule My World“) wird von Schönfeld und Humm auf Deutsch gesungen und bildet zusammen mit der gelungenen Szenerie ein geschmackvolles Gesamtbild. Auch die Reprise des Songs im zweiten Akt ist gesanglich gut und hat eine sehr liebevolle Energie, auch wenn die Choreographien eher unnatürlich und gestellt wirken.

Ebenso ist die Generalprobe vor dem gar nicht so schüchternen Handtaschengeschwader Buffalos, in der sich die Frauen über die Männer lustig machen („Die sind nicht gut“) absolut treffend umgesetzt.

„The Full Monty“ kommt mit viel Selbstironie daher, die Charaktere sind nicht zwangsläufig liebenswert. Die Unterschiedlichkeit der Motive an diesem Striptease teilzunehmen oder ihn sich anzuschauen, könnten unterschiedlicher kaum sein, doch Ingo Putz hat dies mit seinen Darstellern sehr gut herausgearbeitet. Wenn Schönfeld mit einer Rolle Klarsichtfolie allein auf der Bühne steht, sich diese langsam um den nackten Bauch wickelt und davon spricht, dass es durchaus Erniedrigenderes geben könnte, beispielsweise wenn man dies vor ein paar Hundert Zuschauern im Scheinwerferlicht machen müsste, verfehlt das seine Wirkung nicht. Genauso bemitleidenswert sympathisch ist Horse, wenn er mit dem Kundenservice telefoniert und versucht zu klären, warum die Vakuumpumpe seinen Penis nicht in der erwünschten Weise vergrößert.

Die ganze Show ist auf das Finale („Let it go“) ausgerichtet, das auch in Kiel zu Beifallsstürmen führt. Die „Hot Metal“ Tänzer kommen in Zwergenkostümen auf die Bühne (auch wenn Jerry, der plötzlich Angst vor der eigenen Courage hat, hierfür noch eine Extra-Einladung seines Sohnes braucht) und beginnen sich mehr oder weniger lasziv zu bewegen. Das weibliche Ensemble feuert das Publikum an, damit es noch mehr klatscht und den Tänzern so noch mehr Mut macht. Die an sich schnell auszuziehenden Beinkleider erweisen sich zwar als etwas widerspenstig, aber auch diese unfreiwillige Slapstickeinlage passt zur Gesamtinszenierung. Am Ende stehen die Herren wie Gott sie schuf auf der Bühne und das Publikum johlt ob der vielfältigen Rückenansicht. Genau so soll es doch sein, oder?

Michaela Flint
gekürzt erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Schauspielhaus, Kiel
Premiere: 2. Dezember 2016
Darsteller: Oliver E. Schönfeld, Alvin Le-Bass, Yvonne Ruprecht, Rudi Hindenburg, Marko Gebbert, Magdalena Neuhaus
Musik & Buch / Regie: Terrence McNally, David Yazbek / Ingo Putz
Fotos: Olaf Struck