home Österreich Genau so soll Andrew Lloyd Webbers Klassiker aussehen und klingen!

Genau so soll Andrew Lloyd Webbers Klassiker aussehen und klingen!

Die Vereinigten Bühnen Wien sind dafür bekannt, dass sie große Musicalproduktionen aus einem Guss auf die Bühne bringen. So verwundert es wenig, dass in der diesjährigen Spielzeit der Schrottplatz, auf dem Andrew Lloyd Webbers „Cats“ den Jellicle Ball tanzen, bis in die 10 Reihe des Parketts reicht. Wie in den 1980er Jahren gibt es hier viel zu entdecken und man wird unweigerlich wieder zum neugierigen Kind.

Sofort ins Auge sticht das Nummernschild am Schrottauto, in dem Jenny Fleckenreich ein Schläfchen hält: NAP70 – das zeugt von einem sehr langen Weg und einer breiten Vielfalt an Sets, denn in der Weltpremierenfassung prangte noch ein NAP1 an dem von Bühnen-Designer John Napier ersonnenen Pkw-Heck. Auch ansonsten gibt es kleine Farbänderungen und andere Marken auf dem Müllhaufen, den die Katzen ihr zuhause nennen, aber das Gefühl stimmt. Alan Walker hat hier ein sehr gutes Händchen für Originalität bewiesen.

Auch die Katzen selbst sind nur in Nuancen verändert, das Fell am Kopf vielleicht hier und da etwas flauschiger. John Napier, Tracy Stiles und Jenny Dean haben in Wien Hand angelegt und bis auf Macavity (der leider seiner farbenfrohen Fransen verlustig gegangen ist) sehen alle Katzen genauso aus, wie man sie in Erinnerung und liebgewonnen hat.

Das klingt alles ziemlich nach Standard und nichts Besonderem? Mag sein, aber genau diese Besinnung auf das Ursprüngliche macht diese Inszenierung so sehenswert. Kein sichtbarer Sparzwang, keine krampfhaften Kürzungen, einfach nur ein hervorragend gemachtes Ensuite-Musical.

Ein weiteres großes Plus an Produktionen der Vereinigten Bühnen Wien ist das große Orchester. Péter Bíró dirigiert an diesem Abend 27 Musiker, die Lloyd Webbers Kompositionen bis auf den letzten Ton perfekt intonieren. Im Zuschauersaal des Ronacher kommt der volle Sound in höchster Qualität an.

Bei der Besetzung hat das Kreativteam rund um Associate Director Chrissie Cartwright, die das Stück ganz im Stil von Trevor Nunn und Gillian Lynne inszeniert hat, einige Schätze vorzuweisen. Allen voran Carin Filipcic, die sich die Rolle der Grizabella mit Wietske van Tongeren teilt. Ihre ausdrucksstarke Mimik, die verzweifelten Tanzschritte in Erinnerung an ihre Jugend – das allein weckt schon viel Mitleid. Ihre kraftvolle Stimme und die beeindruckende Stimmkontrolle machen „Erinnerung“ zu dem erwarteten Highlight des Abends. Danach muss man erstmal tief durchatmen, um sich emotional wieder zu sammeln.

Dominik Hees wirbelt als Unruhestifter Rum Tum Tugger über die Bühne. Mit seinem Charme wickelt er Kätzchen wie Publikum gleichermaßen um die Pfoten. Er verleiht Tugger eine rockig-soulige Note, die dem Chaos-Kater sehr gut zu Gesicht steht. Wenige, gekonnt platzierte Phrasierungen machen „Rum Tum Tugger“ und „Mr. Mistoffelees“ zu absoluten Schmankerln.

Als Munkustrap, den eleganten, schützenden Anführer der Katzen, wurde Alexander Auler besetzt. Seine erste große Rolle nach dem Ende des Studiums im vergangenen Jahr füllt der Niedersachse mit einer beachtlichen Bühnenpräsenz, der perfekten Stimmlage und einem lupenreinen Gesang. Vor dieser Leistung kann man nur der Hut ziehen.

Lucius Wolter ist ein ungewöhnlich junger, leichtfüßiger Alt Deuteronimus, doch er spielt das Katzenoberhaupt mit viel Würde und verleiht ihm einen weisen und doch selbstbewussten Klang. Auch Birgit Arquin (Bombalurina) und Anneke Brunekreeft (Demeter) sind eine sehr gute Wahl für die erzählenden Katzen im Hintergrund.

Eigens für diese Inszenierung wurde die Growltiger-Szene neu geschrieben. Felix Martin überzeugt als zittriger, alter Theaterkater deutlich mehr als als swingender Piratenkapitän. Inhaltlich ändert sich nichts an der Handlung. Griddlebone (Barbara Obermeier) verdreht Growltiger den Kopf. Das große Schiffssegel jedoch, die auf die rückwärtige Leinwand projizierte Tower Bridge und die jazzig-swingende Matrosennummer geben ihr einen anderen, weniger düsteren Twist. Es ist Geschmackssache, ob man diese Neuerung mag. Für mich ist diese Änderung entbehrlich.

Dem geneigten Musical-Publikum ebenfalls bestens bekannt ist Denise Jastraunig, die als Jenny Fleckenreich die Kakerlaken das Steppen lehrt. Ihre Spielfreude ist ansteckend und die Zuschauer fühlen sich sehr gut unterhalten. Stephen Martin Allan zeigt tänzerische Höchstleistungen als Mr. Mistoffelees und verzaubert das Publikum spielend. Da blickt man dann auch gern darüber hinweg, dass er – ähnlich wie Gerben Grimmus als Skimbleshanks – über einen starken Akzent verfügt, unter dem das Verständnis der Texte leidet.

Apropos Texte, auch diese entsprechend weitgehend dem Original von Michael Kunze, wenn auch in der leicht moderneren Fassung von vor 20 Jahren. Dass die Texte von der neuen Growltiger-Szene hierzu nicht so recht passen wollen, ist nur allzu verständlich.

Der Weg von Grizabella in die „Himmlischen Sphären“ führt einmal mehr über den Autoreifen. Dass dieser allerdings während des Aufstiegs vor und zurück „fährt“, ist sehr verwirrend. Doch die geniale Idee Grizabella auf einer Art Rampe in den Sternenhimmel zu ziehe und dort verschwinden zu lassen, ist großartig!

Ein ausverkauftes Haus auf einem Dienstag spricht für sich. Das Publikum war begeistert und stand schon wenige Sekunden nach dem letzten Ton auf, um die Darsteller jubelnd zu beklatschen. Hieran erkennt man einmal mehr, dass nichts dagegenspricht, Musical-Klassiker auf den Spielplan zu setzen – vorausgesetzt, man inszeniert nach dem Motto „Schuster bleib bei Deinen Leisten“. Denn nur so kann man ein bald 40 Jahre altes Musical über tanzende Katzen glaubwürdig präsentieren.

Michaela Flint

Theater: Ronacher Theater, Wien
Besuchte Vorstellung: 18. Februar 2020
Darsteller: Carin Filipcic, Dominik Hees, Lucius Wolter, Barbara Obermeier, Felix Martin, Alexander Auler, Stephen Martin Allan, Birgit Arquin, Anneke Brunekreeft, Gerben Grimmus
Regie / Musik: Chrissie Cartwright / Andrew Lloyd Webber
Fotos: Vereinigte Bühnen Wien / Michaela Flint

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