home 2013 Gelungene Uraufführung eines lange überfälligen Musicals über den bekannten Londoner Detektiv

Gelungene Uraufführung eines lange überfälligen Musicals über den bekannten Londoner Detektiv

Eigentlich verwunderlich, dass es noch kein erfolgreiches Musical mit Sherlock Holmes als Titelhelden gibt. Dabei bietet Sir Arthur Conan Doyles weltbekannter Rätsellöser eine schier unendliche Menge an Büchern, Filmen und Geschichten, die man als Vorlage verwenden könnte.

Leslie Bricusses 1980er Jahre Versuch, den Detektiv auf die Musical-bühne zu versetzen, verpuffte im West End sowie am Broadway gleichermaßen. Marc Schubrings und Wolfgang Adenbergs „Der Mann der Sherlock Holmes war“ nahm sich dieses Thema vor drei Jahren erneut an, entwickelte aber leider nicht Eigendynamik, die man ihm vergönnt hätte.

Nun also „Sherlock Holmes 2.0“ in Hamburg. Seit 2010 arbeitete Rudi Reschke mit seinen Kollegen Joachim Quirin, Melanie Herzig (Konzept & Textbuch) und Christian Heckelsmüller (Musik und Songtexte) an der Entwicklung eines dem Meisterdetektiv angemessenen Bühnenwerks. Nach einem Try-Out im vergangenen Jahr brachte das Team im August 2013 eine konzertante Konzeptfassung auf die Bühne des Grünspans. Der Rock und Indie Club in der Großen Freiheit erschien wenig geeignet als Musicalbühne, entpuppte sich aber als idealer Rahmen für das dunkle, mysteriöse London des beginnenden 20. Jahrhunderts.

Urige, kamelbraune Ledersofas, Ohrensessel und sparsam eingefärbte Hintergrundbilder reichen als Requisiten, um die richtige Atmosphäre für die geheimnisvolle Story rund um das gestohlene „Auge des Horus“ zu erschaffen.

Ein Attentat auf den ägyptischen Premierminister im British Museum bildet den Auftakt zu einem ungewöhnlichen Ermittlerwettstreit. Obwohl sich Sherlock Holmes und sein langjähriger Partner Dr. John Watson schon zur Ruhe gesetzt hatten, packt sie der Ehrgeiz und sie beginnen mit der Suche nach dem Mörder.

Allerdings hat der ungewöhnliche Fall auch ihre beiden Söhne auf den Plan gerufen. Die beiden Junioren schlagen ganz nach ihren Vätern und stellen mit schneller Auffassungsgabe, brillanter Kombinatorik und etwas Glück ihre eigenen erfolgreichen Ermittlungen an.

Schnell stoßen beide Duos auf das Mordkomplott, bei dem das „Auge des Horus“ entwendet wurde und ahnen zunächst nicht, wer tatsächlich hinter dem Anschlag steckt. Kein Geringerer als Sherlock Holmes Erzfeind Prof. Moriarty bedroht von einer abendländischen Untergrundorganisation aus das britische Empire. Dass sich die Museumsdirektorin Ellen Mason als rachsüchtige Schwester Moriartys entpuppt und sich zu allem Überfluss Holmes Jun. in deren Tochter Catherine verliebt, bietet mehr als reichlich Zündstoff für einen spannenden Krimiabend im Theater.

Das Buch besticht durch viel Situationskomik, spitze und spitzfindige Kommentare der beiden Holmes-Generationen, spart aber auch nicht an passenden Klischees. Joachim Quirin liest die Regieanweisungen, während die Akteure ihre Rollen andeutungsweise spielen. Nach nur einer gemeinsamen Probe sitzt nicht jeder Übergang und textsicher sind auch nicht alle Darsteller, aber gerade das macht der Charme dieser Konzept-Aufführung aus. Das Publikum ist live dabei, wenn die Figuren von Sherlock Jun., Ellen Mason, Lady Margret Chamberlaine und allen anderen kreiert werden. Dieser ungewöhnliche Einblick in die Theaterwelt macht Spaß und man bekommt einen Eindruck, was notwendig ist, um eine Rolle authentisch über die Rampe zu bringen.

Obwohl es ja eigentlich um Sherlock Holmes geht, sind es doch die Damen, die an diesem Abend besonders beeindrucken: Stephanie Tschöppe agiert einschüchternd und angsteinflößend als Mrs. Mason. Sie diktiert das Leben ihrer Tochter und lässt ausnahmslos alle Menschen in ihrem Umfeld nach ihrer Pfeife tanzen. Dass ihre Härte gute Gründe hat, wird am Ende des Stücks klar.

Das komödiantische Gegenstück bildet Jeanne Marie Nigl als Lady Chamberlaine: Wunderbar exzentrisch und leicht übertrieben gibt sie die gönnerhafte Kupplerin, die über jeden Klatsch und Tratsch der Londoner Gesellschaft bestens informiert ist.

Robin Brosch hat als „alter“ Sherlock Holmes eine sehr dankbare Rolle. Pointierte Dialoge, bissige Seitenhiebe – nichts davon scheint ihm fremd und man nimmt ihm auch die charmante Schrulligkeit des Detektivs ab. Timmy Haberger bleibt als Dr. Watson etwas im Hintergrund, was in dieser Ermittler-Konstellation sehr treffend ist.

Dass auch im Hause Holmes und Watson die Äpfel nicht weit vom Stamm fallen, beweisen John Voijs und Jan Schwartzkopff. Selbstverliebt, mit jeder Menge Flausen im Kopf lehnt sich Henry Edward Holmes (Voijs) gegen seinen alten Herrn auf, während Watson Junior als Regulativ immer wieder versucht, die Wogen zu glätten. Doch es gelingt Schwartzkopff zu zeigen, dass Watson Junior bei weitem kein so stilles Wasser ist, wie man zunächst vermuten könnte.

Weitere Highlights kommen von Freddie Rutz, der als Zauberer Sherlock Holmes und Dr. Watson einfach verschwinden lässt (das Loch im Bühnenboden sucht man vergeblich), der lieblichen Merle Hoch, die Holmes Jun. als Catherine Mason gewaltig den Kopf verdreht, Charlie Serrano, der als Bordell-Conferencier mit viel Witz überzeugt und Nivaldo Allves, der als Aleister Crowley allein schon durch seine Erscheinung Geheimnisumwoben wirkt. Detlef Leistenschneider und Ingolf Unterrainer porträtieren die Scotland Yard Ermittler treffend nüchtern und pflichtversessen, während Martina Flatau als ehemalige Nanny der beiden Nachwuchsdetektive überzeugt.

Christian Heckelsmüller kam die gewichtige Aufgabe zu, die Handlung im ausklingenden viktorianischen Zeitalter zu intonieren. Dies gelingt ihm abwechslungsreich und kurzweilig. Anstatt gleichförmigem Musical-Einerlei bekommt das Publikum intensive Rock-Balladen, temporeiche Duette und spitzbübische Soli auf die Ohren. Nicht jeder Song erschließt sich sofort, so wirkt z. B. das Solo der Nanny leicht deplatziert und warum Watson Junior ein – zugegebenermaßen sehr schönes melancholisches – Solo zum Besten gibt, wird auch nicht klar. Die Ensemblenummer vor dem Hintergrund eines Golfturnier erinnert vage an „Rebecca“, aber man verzeiht dies, da sie in diesem Fall die Vielseitigkeit aller Künstler zeigt. Dagegen macht der finale Song von Mrs. Mason, den Stephanie Tschöppe mit viel Bitterkeit und Energie vorbringt, Lust auf mehr. Auch John Voijs geht in den rockigen Nummern auf, die die Unangepasstheit seines Alter-Egos exzellent unterstreichen. Einzig die Finalnummern zum Abschluss des ersten und zweiten Akts wirken noch unfertig und so schließt sich der imaginäre Vorhang etwas plötzlich und unerwartet.

„Sherlock Holmes 2.0“ ist ein sehr abwechslungsreiches, kurzweiliges Krimi-Musical, in dem der Zuschauer unweigerlich zum Miträtseln eingeladen wird. Die Charaktere sind stark und wurden vom Ensemble treffend dargestellt. Die Musik bedient ein eher junges Musicalpublikum und hält sich nicht an Standards fest. Auch wenn ich nicht glaube, dass es das Stück in dieser Form in ein West End Theater schaffen wird, so hat es doch reichlich Potential um während der kommenden Spielzeit die Plätze in einem Stadttheater zu füllen.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Gruenspan, Hamburg
Premiere: 26. August 2013
Darsteller: Robin Brosch, Timmy Haberger, John Voijs, Jan Schwartzkopff, Stephanie Tschöppe, Jeanne. Marie Nigl
Idee / Musik: Rudi Reschke / Christian Heckelsmüller
Fotos: Lars Kläring
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