Schon die Eröffnungsnummer „I drove all night“ deutete an, wohin die Reise an diesem Abend ging: Jan Ammann traf jeden Ton perfekt, sang jede Note aus, die Band unterstützte ihn mit viel Energie und das Publikum ging sofort mit. Schon bei der folgenden Nummer, „Farbenblind“, wollte man dem Drang nachgeben und einfach nur tanzen.
So souverän Jan Ammann während seiner Songs ist, so nervös wirkt er während der Zwischenmoderationen. Atemlos und fast schon gehetzt, bringt er diese hinter sich; mal siezt er, mal duzt er das Publikum. So ganz wohl scheint er sich in seiner Haut nicht zu fühlen. Doch die Ballade „Horizont“, die in einer wunderbaren Lichtstimmung arrangiert wurde, entschädigt für dieses kleine Manko.
Ammann kündigt die große Interpretationsgabe seines Gastes Andreas Bieber bewundernd an. Und er soll Recht behalten. „So kann das Leben sein“ (bekannt durch Helene Fischer) singt Bieber mit solch beeindruckender Mimik, man glaubt ihm jede noch so kleine Emotion. Diese Gabe würde auch Jan Ammann sehr gut zu Gesicht stehen. Denn er singt viele Stücke technisch perfekt, doch in seinem Gesicht, in seinen Augen kann man nicht ablesen, dass er die Songs auch wirklich fühlt.
Hört man sich die gleichnamige Studio-CD an, glaubt man Ammann jede Geschichte, die er mit den Songs erzählt . Live gesungen, zumal mit der großartigen Band unter der bewährten Leitung von Marina Kommissartchik, kommen die Stücke sehr professionell und technisch einwandfrei beim Publikum an. Doch leider schleicht sich immer mal wieder ein Eindruck der Gefühlskälte ein. Es fällt schwer, einem so talentierten und vielseitigen Sänger nahezulegen, dass er weniger perfekt agieren bzw. singen soll, um dadurch nahbarer und glaubhafter zu werden, denn er macht ja im Grund genommen nichts falsch. Aber es sind gerade die kleinen Momente mit seinen Kollegen, in denen diese fehlende Authentizität durchblitz,. bspw. wenn er mit Michaela Schober „Eilands en Oceanen“ singt.
Mit letztgenanntem Song bzw. der Rezitation von dessen deutscher Übersetzung empfiehlt sich Jan Ammann als Hörbuchsprecher, denn sein Timbre zieht jeden Zuhörer sofort in seinen Bann und lässt ihn nicht mehr los.
Dass Ammann sich in verschiedenen Genres zuhause fühlt, machen seine spielerischen Genrewechsel deutlich: von Schlager zu Chanson, von Comedy zu Deutschpop – alle Hürden nimmt er mit spielerischer Leichtigkeit. Da verzeiht man, dass es ihm mit Rock („In the name of love“) und NDW nicht ganz gelingt zu überzeugen.
Es ist insbesondere die Vielseitigkeit der Stilrichtungen, die an diesem Abend gestreift werden, die in Erinnerung bleibt. Man fühlt sich an Konzerte von Josh Groban erinnert, der sein Cross-Over-Talent nachdrücklich unter Beweis gestellt hat.
Für Jan Ammann hätte man sich jedoch einen etwas einheitlicheren roten Faden gewünscht. Die Macher des Konzerts tun ihrem Protagonisten keinen Gefallen, die Gäste herausragende Stücke wie den Maggie Reilly Hit „To France“ (Schober) oder den sehr eigen interpretierten Joni Mitchell Klassiker „Both Sides Now“ (Bieber) singen zu lassen, während der Namensgeber des Konzerts mit dem wunderschönen „La prima vez“ am Ende fast untergeht.
Die unzähligen Fans von Jan Ammann stört dies jedoch nicht. Sie feiern ihren Star frenetisch, bejubeln die putzig inszenierte „Wellness“-Szene mit Strubbelfrisur und geschmackvoll-braunem Hausanzug, schütten sich aus vor Lachen, wenn Ammann und Schober von Texthängern bei „Hey Jude“ erzählen und feiern mit ihm ein 80er Jahre Party-Finale.
Das „Farbenblind“-Konzert bleibt vor allem wegen seiner Professionalität in Erinnerung: Das Lichtdesign ist nicht über-kreativ und sorgt immer für die richtige Stimmung auf der Bühne. Die Tontechniker haben sogar die schwierigen Bedingungen im Gruenspan gemeistert (auch wenn die Band im hinteren Drittel des Saals, unterhalb des Balkons etwas dumpf klang). Die achtköpfige Band begeistert mit jedem Ton und sorgt so für ein rundum gelungenes Gesamterlebnis. Die Gastsänger bestechen durch tolle Stimmen und eine beeindruckende Interpretationsfähigkeit. Last but not least, zeigt Jan Ammann ein weiteres Mal, dass er „nicht nur“ das Musicalfach beherrscht, sondern sein Publikum durch eine unerwartete musikalische Vielseitigkeit überraschen und begeistern kann.
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Besuchte Vorstellung: 29. März 2014
Sänger: Jan Ammann, Michaela Schober, Andreas Bieber
Regie: Andreas Luketa
Fotos: Stephan Drewianka