Als erstes deutsches Privattheater öffnete das Schmidts Tivoli in Hamburg Anfang Juli seine Türen wieder für Publikum. Stilecht empfangen von den Darstellern der Schmidt Theater Erfolge „Heiße Ecke“ und „Die Königs vom Kiez“ betritt der Zuschauer nach der obligatorischen Hand-Desinfektion am Eingang ein üppig grünes Dschungelparadies.
Die Zuschauer wurden in Gruppen unterteilt, die jeweils in einem bestimmten Zeitfenster das Theater betreten durften. Ja, so vermeidet man erfolgreich lange Schlangen und Gedränge. Das bedeutet aber auch, dass David Harrington und Florian Born fast drei Stunden lang live Hintergrundmusik für alle jene liefern müssen, die sich bereits im Theatersaal befinden. Dafür werden sie von der stetig steigenden Zuschauerzahl gebührend gefeiert!
Apropos Zuschauersaal, anstatt der sonst bis zu 620 Sitzplätze sind nur 250 belegt. Diese sind in Kleingruppen oder paarweise so arrangiert, dass der vom Hamburger Senat vorgegebene Abstand jederzeit eingehalten werden kann und die Gäste – einmal an ihrem Platz befindlich – den Mund-Nasen-Schutz abnehmen dürfen.
Durch die zahlreich im Saal platzierten Kunstblumen, für die laut Corny Littmann Lagerbestände im ganzen Hamburger Umland aufgekauft wurden, sieht es gar nicht so leer aus, wie man es vielleicht erwarten würde. Im Gegenteil, es fühlt sich ziemlich gut an, endlich wieder im Theatersaal zu sitzen und auf eine Vorstellung zu warten. Auch die im Mittelbereich des Parketts eingesetzten Plexiglastrennscheiben stören den Blick nicht, sind sie doch exzellent entspiegelt.
„Paradiso“ ist eine Revue, die in typischer Schmidt-Manier alle Sparten der Unterhaltung zeigt: So begrüßt Henning Mehrtens, ansonsten Hausherr im Schmidtchen, das mit seiner Online-Show Schmidtflyx über Wochen vorzüglich unterhielt, das Publikum, platziert seine Pinneberg-Witze treffsicher und leitet direkt über zu Nik Breidenbach, der den eigens komponierten Titelsong „Paradiso“ zum Besten gibt.
Corny Littmann, der im Juli als Gastgeber durch die 75-minütige Revue führt, passt sich – wie auch Mehrtens und Breidenbach – optisch dem Thema an. Unter normalen Bedingungen würden die Anzüge der Herren bei deren Anblick wirklich Schmerzen verursachen, aber in diese so liebevoll geschaffene Show-Oase passen sie perfekt!
Ergänzt werden die monatlich wechselnden Acts von „Siegfried & Joy“, zwei „Disco-Magier“, die sich das Zunichtemachen aller Zauberklischees zur Aufgabe gemacht haben und auf ziemlich schräge Weise und mit viel Selbstironie zeigen, dass sie ihr Fach beherrschen. Sina Brunner begeistert mit ihrer kraftvoll-eleganten Performance sowohl am Tuch als auch am Vertical Pole und setzt den artistischen Höhepunkt der Show.
Carolin Fortenbacher, die mit Nik Breidenbach schon in „Oh, Alpenglühn“ und „Entführung aus dem Paradies“ die Zuschauer begeisterte, gab zwei Songs aus diesen Shows zum Besten. Leider zündeten diese aus dem Zusammenhang gerissen und ohne das Zusammenspiel mit Breidenbach nicht ganz so gut. Doch dass die „Musical-Diva“ extrem vielseitig ist, kann niemand bestreiten.
Auch Breidenbachs ansonsten urkomisches Tina Turner Medley kam an diesem Abend nicht ganz so souverän rüber.
Vielleicht ist dies aber auch dem Eindruck geschuldet, dass 250 begeisterte Menschen einfach anders (leiser) klingen als 600?
Littmanns Frage: „Was erzählen Sie Ihren Enkeln über diese Zeit?“ regt zum Nachdenken an… Es ist eine herausfordernde Zeit – für alle! Doch gerade die Unterhaltungsbranche leidet mehr als alle anderen Industriezweige unter den Einschränkungen. Umso dankbarer ist man, wenn man miterleben darf, dass Theater und Musical trotz Abstands- und Hygieneregeln funktioniert. Es muss auch einfach funktionieren, denn ohne Theater, ohne Musicals fehlt unserer Welt etwas ganz Entscheidendes! Zu jeder Zeit haben Künstler den Menschen geholfen, ihren Alltag besser zu meistern, ein wenig abzuschalten oder einfach mal ein paar Stunden gute Unterhaltung zu genießen und zu entspannen. Ich wünsche mir sehr, dass es in den nächsten Monaten, die uns Covid-19 sicherlich begleiten wird, viele weitere Theatermacher geben wird, denen es gelingt, wieder Künstler auf die Bühne zu bringen und allen auf, hinter, unter sowie dem Publikum vor der Bühne ein Stück Normalität zurückzugeben.
„Paradiso“ wird im Juli, August und September mit monatlich wechselnden Künstlern zu sehen sein. Auch in den kommenden Monaten wird die Schmidt Familie mit Soloprogrammen und kleinen Shows das Bestmögliche aus der aktuellen Situation machen.
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Theater: Schmidts Tivoli, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 9. Juli 2020
Darsteller: Corny Littmann, Carolin Fortenbacher, Nik Breidenbach, Siegfried & Joy, Sina Brunner
Fotos: Morris Mac Matzen