home 2010 Eine Reise in die musicalischen 70er Jahre

Eine Reise in die musicalischen 70er Jahre

Premiere in Hamburg! Damit hat die deutsche Musicalhochburg New York den Rang als zweite Spielstätte für das Nonnenmusical „Sister Act“ abgelaufen. Gar nicht mal schlecht! Die Eigenproduktion der Stage Entertainment wurde im Sommer 2009 in London uraufgeführt – und schon damals zeigte Obernonne und Produzentin Whoopi Goldberg, dass sie sehr stolz ist auf die Musicalfassung ihres Kinoerfolgs aus dem Jahr 1992.

Die Geschichte der abgehalfterten Clubsängerin Deloris Van Cartier, die von der Polizei in einem Nonnenkloster versteckt wird, da sie als Kronzeugin gegen den Ganoven Vince LaRocca aussagen soll, ist eher schlicht. Doch der Film besticht durch jede Menge Spielwitz, schnelle Dialoge und einprägsame Charaktere – von der Mutter Oberin über die Schwestern Mary Robert und Mary Patrick bis hin zu Lieutenant Eddie Souther. Doch getragen wird die Handlung von der herausragenden Whoopi Goldberg, die als Schwester Mary Clarence den Konvent so richtig aufmischt.

Leider sind die Charaktere in der Musicalfassung von Cheri und Bill Steinkellner zu kurz gekommen. Und so bleiben nur die drei Nonnen Mary Robert (Ina Trabesinger), Schwester Mary Patrick (Martine de Jager) und Schwester Mary Lazarus (Sonya Martin) in Erinnerung. Hierbei spielt aber sicherlich auch die Tatsache eine Rolle, dass die Parts dieser drei Nonnen sehr dankbar sind und den Darstellerinnen viele Möglichkeiten bieten.

Alle anderen – inklusive Zodwa Selele als Schwester Mary Clarence alias Deloris Van Cartier – agieren blass und steif. Stimmlich hätte man von Selele sicherlich mehr erwarten können, aber in den meisten Szenen nimmt sie sich sehr stark zurück. Auch dass sie die Nonnen zum Umdenken anregt und mit ihrer Liebe zur Musik begeistert, kann sie leider kaum über die Rampe bringen. Whoopi Goldberg war im Film bereits Ende 30 – dieser Unterschied wird auf der Bühne nur allzu klar. Selele erscheint zu jung und zu wenig lebenserfahren. Das zeigt sich auch in den Szenen mit der jungen Novizin Mary Robert. Mary Clarence spricht sie immer mit Kleines an – da jedoch beide Darstellerinnen fast gleich alt sind, irritiert dies zunehmend und gipfelt in der Szene, in der Mary Robert gemeinsam mit Deloris flüchten will, um das Leben außerhalb der Klostermauern kennenzulernen.

Auch eine Daniela Ziegler vermag als Mutter Oberin nicht zu überzeugen. Ihre Wandlung zur gutmütigen und weniger gestrengen Ordensvorsteherin nimmt man ihr nicht ab.

Curtis Shanks (der für die Bühne umbenannte Vince LaRocca) und seine drei Handlanger geraten gar zu Witzfiguren. Weder Cusch Jung noch Tetje Mierendorf können ihre Bühnenerfahrung in Glaubhaftigkeit umsetzen. Vor diesen tumben Ganoven fürchtet sich ganz sicher niemand! Auch gesanglich bleibt die Gaunertruppe weit hinter den Erwartungen zurück. Besonders nervig werden die Ganoven, wenn sie sich über ihre McDonald‘s Juniortüte freuen oder aus einer Zeitung die aktuellen McDonald‘s-Angebote vorlesen. Da fragt man sich unweigerlich, ob die Stage Entertainment diese plumpen Werbepartnerpräsentationen wirklich nötig hat?

Kleine Nebenhandlungen wie die aufblühende Liebe zwischen Deloris und dem Polizisten Eddie Fritzinger (der im Gegensatz zur Filmvorlage nicht souverän und beschützend auftritt, sondern eher das typische Weichei und Bürohengst ist) oder die Novizin Mary Robert, die mit Deloris zusammen das Konvent verlassen will, sind eine gute Idee. Jedoch verpuffen diese gänzlich, da sich diese Geschichten nur in jeweils einer Szene sichtbar werden und weder vorher noch danach noch eine Bedeutung haben.

Insgesamt entwickelt sich „Sister Act“ sehr langsam und ist in vielen Szenen zu langatmig. Erst zum Ende des 1. Akts als Polizist Eddie (Mathieu Boldrion) in einem sehr schönen Solo „Tief in mir“ das Publikum an seiner inneren Zerrissenheit zwischen dem schüchternen Schwitze-Fritze und dem starken Polizisten, der er gern wäre, teilhaben lässt, zeigt sich ein wenig von dem Potential, das in dieser Show steckt.

Alan Menkens Musik ist nett, aber einen wirklichen Ohrwurm hat er für „Sister Act“ nicht produziert. Die Musik zündet vor allem in den Nachtclub-Songs von Deloris und wenn Mary Clarence mit ihrem Nonnenchor auftritt. Doch so richtig will der Funke nicht überspringen. Vergeblich sucht man das Neue, Besondere und Mitreißende an den Kompositionen.

Auch die glitzernden Kostüme von Lez Brotherston, für Hamburg umgesetzt von Reto Tuchschmid, können über die ansonsten triste Show nicht hinwegtrösten. Die Wandlung von der Barsängerin zur Nonne und von der langweiligen Nonne zu den Stars des Klosters ist optisch wunderbar dargestellt. Wenn die zwölf Schwestern des Konvents zum Finale in ihren silbernen Habits die Bühne betreten, wird man durch ihr Strahlen bis in die letzte reihe des Operettenhauses geblendet. Und auch der Dirigent macht in dieser Szene als Papst eine sehr gute Figur und hat die Lacher auf seiner Seite.

Hingegen ist das Bühnenbild von Klara Zieglerova an einigen Stellen etwas fragwürdig. Während die Bühne durch die verschiedenen Säulen- und Bogenelemente die Tiefe einer großen Kirche gut wiedergeben kann, fehlt diese Tiefe bei den Bleiglasfenstern. Sie sehen eher aus, die falsch eingefärbte Dollarscheine. Erst in den finalen Szene, wenn die Bleiglasfenster in Blau- und Rottönen erscheinen, erfüllen sie ihren Zweck. An der zum Schluss der Show komplett mit silbernem Lametta überhängten Marien-Statue kann man sicherlich Anstoß nehmen.

Respekt vor dem Glauben und der Kirche scheint den Kreativen dieses Musicals aber ohnehin nicht besonders wichtig zu sein. Zitate wie „Sei die Hand, die meinen Heiland erweckt.“ oder „Lass mich Dein Messias sein – für Maria war ich auch erste Wahl.“ zeugen davon, dass sich im Kreativprozess ganz offensichtlich an dem immer präsenter werden Unterschichten-TV orientiert wurde. Der Wortwitz, den gerade Heiko Wohlgemuth schon mehrfach unter Beweis gestellt hat, konnte sich gegen die Songtexte von Kevin Schröder oder die teilweise schrecklich platten Dialoge von Ruth Deny nicht durchsetzen.

Dies ist sehr schade, denn dadurch wird die Chance vergeben, einen 20 Jahre alten Film zeitgemäß und frisch auf die Bühne zu bringen. Und so bleibt der Eindruck, dass man ein Musical gesehen hat, was so durchaus schon in den 80er Jahren in Hamburg hätte laufen können. Doch an den Erfolg der damals laufen Stücke wie „Cats“ und „Phantom der Oper“ anknüpfen zu wollen, erscheint mehr als vermessen.

Michaela Flint

Theater: Operettenhaus, Hamburg
Premiere: 2. Dezember 2010
Darsteller: Zodwa Selele, Ina Trabesinger, Daniela Ziegler
Musik / Buch (DE):  Alan Menken / Ruth Deny
Fotos: Stage Entertainment
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