Erneut gelangt ein Kinderbuch über den Umweg Traumfabrik Hollywood auf die Musicalbühne. Nach dem weltweit erfolgreichen DreamWorks-Film von 2001 hob sich schon Ende 2008 am Broadway der Vorhang zur Weltpremiere der Musicalfassung von „Shrek“. Zweieinhalb Jahre später gelang – in einer überarbeiteten Fassung – der Sprung über den großen Teich ans West End. Vor zwei Jahren kamen unsere niederländischen Nachbarn in den Genuss des grünen Musicalspasses und seit 19. Oktober 2014 tourt „Shrek“ nun – ebenfalls in einer Neuinszenierung – durch Deutschland.
Die Rechte sicherte sich rechtzeitig die Mehr! Entertainment GmbH und bringt damit die deutschsprachige Erstaufführung dieses Musical-Erfolgs auf die Bühne. Tourstart ist das Capitol Theater in Düsseldorf; es folgen Berlin, München, Zürich und Wien.
Die Geschichte vom grummeligen Oger, der durch viele Zufälle auf seine große Liebe Fiona trifft, hat sich sicherlich herumgesprochen.
Die Bühnenadaption nimmt lediglich die Handlung des ersten der vier Animationsfilme auf, doch auch hier passiert reichlich, um damit einen kunterbunten Theaterabend zu füllen: Der Oger Shrek lebt zurückgezogen in seinem Sumpf und sieht sich genötigt mit Lord Farquaad zu sprechen als dieser im das Wohnrecht im Sumpf entzieht, um dorthin all die lästigen Märchenfiguren zu verbannen. Lord Farquaad, der sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich König von Duloc zu werden, nutzt die Gunst der Stunde und handelt mit Shrek einen Deal aus: Wenn dieser die als zukünftige Braut auserwählte Prinzessin Fiona aus den Klauen des bösen Drachen befreit, bekommt er sein Stück Sumpf auf Lebenszeit überschrieben. Auf seiner Wanderung trifft Shrek auf den sehr anhänglichen, redseligen Esel, der ihm mehr und mehr auf den Geist geht, obwohl dieser doch bloß sein Freund sein möchte.
Der Drache entpuppt sich als einsame Drachenlady, die sich Hals über Kopf in den Esel verliebt; Shrek kann Fiona daher weitgehend widerstandslos befreien und zurück zu dem etwas zu kurz geratenen Lord Farquaad begleiten. Auf dem Weg dorthin lernt der Zuschauer aber, dass Fiona verflucht ist und sich nach Sonnenuntergang in eine Oger-Dame verwandelt. Dieser Fluch kann nur durch den Kuss der wahren Liebe gebrochen werden. Fiona setzt folglich ihre ganze Hoffnung auf die bevorstehende Hochzeit.
Womit aber weder Shrek noch Fiona gerechnet haben, sind die Gefühle, die sie trotz aller vermeintlichen Unterschiede füreinander entwickeln. Doch gerade als das Publikum glaubt, dass sich alles in die richtige Richtung entwickelt, kommt es zu einem folgenschweren Missverständnis und die Hochzeit von Fiona und Lord Farquaad findet wie geplant statt. Fast zu spät erscheint Shrek in der Kirche und zeigt Fiona seine wahren Gefühle. Die untergehende Sonne spielt ihm unwissentlich in die Karten und noch vor der eigentlichen Vermählung verwandelt sich Fiona wieder in einen Oger. Lord Farquaad kann sich vor Ekel kaum rühren und muss sich zudem gegen die meuternden Märchenfiguren wehren. Schließlich kommen noch Esel und Drache dazu und sprengen die Hochzeit endgültig. Shrek und Fiona ist das herzlich egal. Sie finden endlich zueinander, Fiona bleibt trotz des Kusses der wahren Liebe ein Oger und gemeinsam gründen sie im Sumpf eine Familie.
Was bei der deutschen Bühnenfassung sofort auffällt, sind Märchenfiguren wie „Max & Moritz“ oder „Struwwelpeter“, die im amerikanischen Original nicht vorkommen. Diese Anpassung an das heimische Publikum ist durchaus charmant. Einen ähnlich guten ersten Eindruck hinterlassen Kulissen und Technik: Shreks Stinktier-Deo verfehlt seine Wirkung genauso wenig wie die auf der Videoleinwand aufblühenden Fliegenpilze, als Shrek der ein oder andere Pups entfleucht. Die Sumpf-Szenerie mit entsprechender Hintergrundprojektion, den Bäumen und weiteren kleineren Kulissenelementen ist durch und durch gelungen.
Überhaupt macht die tourfähige Bühnenfassung einen sehr stimmigen Eindruck. Den Hauptteil bestreitet die bühnenfüllende Leinwand im Hintergrund, die mit verschiedensten Motiven bespielt wird. Teilweise hat man den Eindruck, dass diese dreidimensional sind, so brillant erstrahlen Farben und Konturen. Natürlich birgt diese technische „Spielerei“ auch die Gefahr, dass man über das Ziel hinausschießt. Wenn plötzlich Harry Potter über die Leinwand fliegt oder am Horizont ein „MacHex“ in rot-gelber Farbkomposition auftaucht, kratzt sich der Zuschauer doch leicht verwundert am Kopf.
Es gibt einige wenige Großkulissen, die ihren Zweck erfüllen, aber sicherlich keine Preise für das schönste Bühnenbild gewinnen würden. Bei den Baumstämmen, die den Sumpf links und rechts säumen, hätte man sich jedoch mehr Liebe zum Detail und weniger plakative 2D-Malerei gewünscht.
Ähnlich verhält es sich mit den Kostümen bzw. mit der Maske (Sarah Kleindienst). Die Kostüme der Märchenfiguren sind farbenfroh und sehr schön detailliert ausgearbeitet (Mario Reichlin). Auch die Rüstungen der Wachen und die Rattenkostüme sind ganz wunderbar. Einzig Pinocchio sieht so aus als hätte er ein Faschingskostüm an. Den hölzernen Eindruck von Armen und Beinen haben die Kollegen in Übersee deutlich besser erwecken können; in Düsseldorf sieht es mehr nach bemaltem Schlafanzug aus. Der Trick mit der langen Nase hingegen ist sehr gut umgesetzt.
Hinsichtlich der Maske setzt sich der Eindruck fort, dass man hier mit noch mehr Liebe zum Detail hätte arbeiten können. Das betrifft insbesondere Fiona als Oger, aber auch Shreks Maske sieht nicht immer überzeugend aus.
Die Szene, in der im Schnelldurchlauf das Leben von Fiona im Turm nacherzählt wird („Heut ist der Tag“), gelingt eindrucksvoll. Die drei Sängerinnen entwickeln alle ihren eigenen, ganz besonderen Charme und man schaut jeder von ihnen gern zu. Besonders perfekt ist das Spiel mit der rosa Socke, Fionas imaginärem Prinz in schimmernder Rüstung.
Kurz vor der Pause begleiten die Zuschauer Shrek in die Höhle des Drachen (die praktischerweise der Kathedrale, in der später Fionas und Lord Farquaads Hochzeit stattfindet, sehr ähnelt). Mit Spannung erwartet das Publikum, wie der riesige rosa Drache in dieser Inszenierung wohl aussehen wird. Er bzw. sie ist schlichtweg ausgezeichnet! Gespielt von vier Darstellern zeigt sich die Drachenlady in ihrer vollen Pracht, wo anderswo nur der Kopf und Oberkörper gezeigt wurden. Absolut lippensynchron bewegt sich das gefährliche rosa Biest zum Gesang von Deborah Woodson, die am Bühnenrand steht. Sie ergänzt sich stimmlich perfekt mit Andreas Wolfram, der einen überaus charmanten Esel gibt.
Nach der Pause erlebt das Publikum, wie fröhlich Fiona jeden Morgen begrüßt – in diesem Fall auch Kermit den Frosch, was die Frage aufwirft, wie Kermit nach Duloc kommt. Das direkt daran anschließende Stepptanz-Ballett mit unzähligen, ziemlich niedlichen Ratten ist eines der Highlights des Abends. Die Choreographie dieser Szene ist ganz eindeutig an Altmeister Bob Fosse angelehnt und entfaltet auch in „Rattenhosen“ ihre volle Magie. Doch auch darüber hinaus gefällt das, was sich Choreographin Kim Duddy für die Märchenfiguren und Bürger von Duloc ausgedacht hat, sehr.
Die Adaption von Dialogen und Songtexten ist immer eine sehr knifflige Aufgabe, denn allzu oft verschenken die Produzenten hier viel Potential. Mit Heiko Wohlgemuth und Kevin Schröder hat man jedoch zwei absolute Könner verpflichtet, die der großen Herausforderung, den Wortwitz der Originalvorlage zu übertragen, mehr als gerecht werden. Ob Frau Holle allerdings RTL2 gucken oder zum Stichwort „Bald weht hier ein anderer Wind!“ die Melodie von „Wind of Change“ gepfiffen werden muss, darf bezweifelt werden.
Zum Finale gibt es einmal mehr ein sehr gutes Szenenbild zu bewundern: Die Kathedrale, in der Lord Farquaad seine Fiona ehelichen möchte, funktioniert als Projektion einwandfrei. Das hinzugefügte Echo erweckt den Eindruck, dass sich die Hochzeitgesellschaft wirklich in einem alten, halligen Kirchenschiff befindet.
Insgesamt kommt die Tourproduktion auf eine Nettospielzeit von 2 Stunden und 30 Minuten, in denen es nicht langweilig wird. Einen großen Anteil daran hat auch die gut besetzte Band unter der Leitung von Heribert Feckler. Es ist alles so perfekt abgemischt, dass man sich manches Mal fragt, ob die Musik nicht doch vom Band kommt, doch der Kameraschwenk durch den Orchesterraum und die Bühnenpräsenz der Musiker zum Schlussapplaus belehrt die Gäste eines Besseren.
Bei einer optisch abgespeckten Bühnenversion wie dieser kommt es vor allem darauf an, dass die Darsteller die Bühne erobern. Beim Casting hat die Mehr! Entertainment ein glückliches Händchen bewiesen: Andreas Lichtenberger führt das Ensemble als Shrek an. Schauspielerisch überzeugt er sowohl als grummeliger Motzkopf als auch als sanftmütiger grüner Riese. Gesanglich erwartet man von einem Oger nicht allzu viel, doch auch hier lässt Lichtenberger es an nichts vermissen.
Akustische Highlights setzen vor allem Bettina Mönch als Fiona und Andreas Wolfram als Esel. Bettina Mönch zieht gesanglich alle Register und überzeugt in jedem Song. Schauspielerisch kann sie vor allem mit ihrem komödiantischen Talent punkten. Der Esel darf unglaublich nerven und Andreas Wolfram treibt Shrek als ebendieser an den Rand des Wahnsinns. Das macht er jedoch mit soviel Witz und einem so liebevollen Augenaufschlag, dass man ihm nichts krumm nehmen kann. Verglichen mit der Broadway-Fassung könnte man jedoch meinen, dass er manches Mal fast schon wieder zu lieb ist. Der Esel auf der New Yorker Bühne war noch um ein vielfaches zickiger und nervtötender.
Doch vielleicht ist dies auch ein Regiekniff von Andreas Gergen. Gleiches könnte man bezüglich der sehr exzentrischen und manches Mal doch zu tuntigen Ausgestaltung von Lord Farquaad vermuten. Carsten Lepper füllt diese körperlich sehr anstrengende Figur (er bewegt sich nur auf Knien über die Bühne) mit Leben und herrscht über Duloc wie kein Zweiter. “Hier in Duloc” gehört zu den schwungvollsten Szenen des Abends. Die umfassenden Anwendungen im palasteigenen Wellness-Tempel anlässlich Lord Farquaads bevorstehender Hochzeit sind überraschen, da so bisher noch nicht gesehen. Die Szene zeigt einmal mehr, dass Lepper sowohl schauspielerisch als auch gesanglich viel zu bieten hat. Das Finale der Szene erinnert mehr als nur vage an „ich gehör nur mir“ – den „Elisabeth“-Hit schlechthin – und sorgt nicht nur bei den Musicalfans für großes Gelächter.
Von den 18 weiteren Darstellerinnen und Darstellern kann sich niemand nachhaltig ins Gedächtnis singen oder spielen. Auch Stefan Luethy als Pinocchio gelingt es nicht, aus seiner Rolle als Rädelsführer der Märchenfiguren mehr zu machen als eine Randnotiz. Da kam dieser Figur in der Originalfassung doch eine deutlich größere Bedeutung zu. Schade, dass dies im Capitol Theater nicht übernommen wurde.
Als Tourfassung funktioniert „Shrek“ ganz sicher. Es ist begrüßenswert, dass auch die deutschsprachigen Musicalbesucher damit in den Genuss eines Broadway- und West End-Hits kommen. Dreht man seitens der Regie und Maske / Kulisse noch an der ein oder anderen Stellschraube, können sich die Zuschauer auf einen rundum gelungenen Abend freuen.
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Theater: Capitoltheater, Düsseldorf
Premiere: 19. Oktober 2014
Darsteller: Andreas Lichtenberger, Bettina Mönch, Carsten Lepper, Andreas Wolfram
Regie: Andreas Gergen
Fotos: Jens Hauer / Mehr Entertainment!