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Eine Idee wird Wirklichkeit

Das Kreativteam rund um Lukas Nimschek, Franziska Kuropka, Kathi Damerow und Sarah Matberg hatte vor einem Jahr die Idee, den Braunschweigern Musicals näherzubringen. In heutigen Zeiten klingt das ganz besonders irrwitzig! Musicals? Sogar die Schaffung eines neuen Musical-Standorts in Deutschland? Inmitten einer Pandemie?

Lukas Nimschek sorgt für den Klangteppich dieses Familienmusicals, das am 9. Juli 2021 Weltpremiere feierte, während Franziska Kuropka die Texte dazu liefert. Kathi Damerow hat das Buch geschrieben und führt Regie. Doch dabei ist es nicht geblieben, alle haben überall mit angepackt, damit Hans seine Prinzessin heiraten kann. Sie haben Kostüme (Idee: Florian Bänsch) mit geschneidert und am Bühnenbild (Idee: Mathias Letzel) mit Hand angelegt. Eine echte Team-Leistung! Von Bart De Clerq (u. a. Märchenfestspiele Hanau) stammen die Choreographien zu diesem schwungvoll-amüsanten 90-Minuten-Stück.

Schon direkt zu Beginn wird mit „Der Junge mit der Glückshaut“ das ganz große Besteck ausgepackt: Ein schmissiger Song, witzige Texte, enthusiastische Darsteller und stimmige Choreographien sorgen für einen optimistischen Auftakt dieses Grimmschen Klassikers.

Mario Saccoccio gibt den leicht schusseligen, aber nicht minder berechnenden König, der mit der Vorsehung für Hans so gar nicht einverstanden ist: Seine Tochter bekommt dieser Bauernsohn ganz sicher nicht zur Frau! „Ich biegs hin!“ ist ein musikalischer Geheimplan, den Saccoccio mit viel Komik über die Rampe bringt.

Mit nur vier Darstellern wird die komplexe Handlung von Hans‘ Reise zum Schloss, die Freundschaft mit seiner „Stimme“ – von anderen als imaginärer Freund tituliert – und der durch den König auferlegten Prüfung, dem Teufel drei goldene Haare zu stehlen, erzählt. Saccoccio ist noch in sechs weiteren Rollen zu sehen. Jede einzelne Figur ist extravagant und wird von ihm glaubwürdig mit genau dem richtigen Maß an Komik gespielt, ohne trashig zu wirken. Das ist bei einem Baum mit Tentakelarmen oder dem gehörnten Prinzen Adelbert in Silber-Meggings und mit goldenem XXL-Braguette wirklich bemerkenswert! Er spielt auf den Punkt. Jede Pointe sitzt.

Benjamin Sommerfeld ist nicht nur als Hans zu sehen, sondern zu Beginn des Stücks auch als dessen Vater. Sommerfelds Hans ist überaus optimistisch, gutgläubig, aber auch willensstark. Man versteht sofort, warum ihn alle mögen und er fast schon spielerisch alle Widerstände meistert. Und derer gibt es einige: Zunächst muss er sich auf dem Weg zum Schloss, wo er der Prinzessin einem Brief von einem Edelmann geben soll, der bei ihm und seiner Mutter um Hilfe gebeten hatte, den Waldgeistern (die 3 Ms: Müller-Meier-Mottenrocks) erwehren, die jeden Umweltsünder hart bestrafen. Und Hans legt eine Spur aus Müll, um sich nicht andauernd wieder zu verlaufen… Keine besonders gute Idee!

Auf dem Weg zur Hölle trifft er auf zwei grantelnde, unfreundliche Torwächter, die ihn fragen, warum ihr bisher Wein gebender Brunnen ausgetrocknet ist. Außerdem muss er die Frage klären, warum ein Baum verdorrt, der sonst Goldäpfel trug und die Ablösung der Fährfrau nie auftaucht. Hans verspricht allen, die Antworten vom Teufel zu holen.
Pfiffig führen er und die „Stimme“ den Teufel in die Irre und es gelingt ihnen, dem Teufel nicht nur die drei goldenen Haare auszureißen, sondern auch die drei Geheimnisse zu klären: Er gibt der Fährfrau des Teufels Rat weiter, dem nächsten die Ruderstange zu geben, der um eine Überfahrt bittet. Passenderweise ist die Prinz Adelbert, der Hans nach dem Leben trachtet seitdem er herausgefunden hat, dass Prinzessin Magda in ihn verliebt ist. In einem szenisch und akustisch an „Super Mario“ erinnernden Kampf vertreibt er die Kröte aus dem Brunnen, der fortan wieder Wein gibt und zu guter letzt befreit er den Baum von dem langen Holzwurm, der es sich in dessen Eingeweide gemütlich gemacht hat.

Ja, vieles kommt einem aus der Grimmschen Vorlage bekannt vor, einiges wurde von Damerow modernisiert und hinzugedichtet, aber so haben die kleinen und großen Zuschauer noch mehr Spaß an der spannenden Geschichte.

Sarah Matberg und Christopher Dederichs schlüpfen neben Prinzessin und „Stimme“ ebenfalls in bis zu fünf weiteren Rollen. Alle Gestalten sind besonders, teilweise schrullig, manche liebenswert, aber in jedem Fall sehr kreativ angelegt. Herausragend ist Matberg als Teufelin und Mirella, die Fährfrau des Teufels. Erscheinung, Gesang, ihr perfektes Timing und ihre ausdrucksstarke Mimik machen diese Auftritte sehenswert.

Dederichs ist als „Stimme“ wundervoll kindlich-naiv, superlustig, wenn er beim Anblick der Teufelin oder des Teufels einfach in Ohnmacht fällt, und setzt De Clerqs Choreographien mit viel Energie um. Das Zusammenspiel zwischen ihm und Sommerfeld ist perfekt. Die beiden ergänzen sich auch stimmlich super, können sich aber auch mal deutlich die Meinung sagen („Ich krieg das hin“ / „Niemand kennt Dich so wie ich“).

Aber nicht nur die Darsteller stellen ihre Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Auch die Bühne verwandelt sich im Handumdrehen von Hans‘ Elternhaus in einen Wald, in ein Schloss, in die Hölle. Die Bühne ist nicht allzu groß, doch dank der cleveren Drehelemente und mit viel Phantasie beim Bau der Kulissen lässt sich viel daraus machen.

Gesanglich bringen alle vier Nimscheks Songs voller Leidenschaft über die Rampe. Besonders gefällt, dass Nimscheck viele Streicher in seine Stücke eingebaut hat. Doch auch einige Anleihen bei früheren Musicals wie „Wir“ sind unverkennbar. Alles fügt sich sehr gut zusammen und bildet ein schwungvoll-optimistisches Gesamtkunstwerk.

Dass „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ kein reines Kindermusical ist, zeigen u.a. die Texte von Kuropka. Sie sind manches Mal nicht nur doppeldeutig, sondern auch durchaus sehr flott, so dass bezweifelt werden darf, dass Kinder diese Texte verstehen. Auch ins Buch eingearbeitete Botschaften wie Umweltschutz (die Müller-Meier-Mottenrocks lassen dafür ihre Säbel rasseln) und ein Plädoyer für die Integration Fremder (unfreundliche Torwächter: „Hans ist wirklich ein Netter!“) werden sicherlich eher bei den Erwachsenen als bei kleineren Kindern ankommen.

„Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ ist ein Herzensprojekt von allen Beteiligten. Das spürt man in jeder Sekunde. Alle zusammen sind von Anfang bis Ende für das verantwortlich, was das Publikum sieht und erlebt. Die Zuschauer sind begeistert von dieser liebevollen Umsetzung, den lustig-schrägen Figuren und der künstlerischen Fertigkeit.

Bleibt zu hoffen, dass die Braunschweiger sich für das Thema Musical erwärmen und der Westand Musical Sommer nicht nur bis Ende August noch viele kleine und große Gäste erfreut, sondern im kommenden Jahr erneut wieder seine Pforten öffnen wird.

Michaela Flint

Theater: Westand Musical, Braunschweig
Besuchte Vorstellung: 17. Juli 2021
Darsteller: Sarah Matberg, Benjamin Sommerfeld, Mario Saccoccio, Christopher Dederichs
Regie: Kathi Damerow
Fotos: CU2MRW / Westand Musical