home 2002 Eine amüsante, kurzweilige und erinnerungsschwangere Reise durch Zeit und Raum

Eine amüsante, kurzweilige und erinnerungsschwangere Reise durch Zeit und Raum

Wer „Hossa!“ hört, denkt als erstes an Rex Gildos ‚Fiesta Mexicana’ und liegt damit gar nicht mal falsch. Denn »Hossa« ist eine kunterbunte 70er Jahre Schlagerrevue, die seit 12. Januar 2001 erfolgreich im Hamburger Imperial Theater aufgeführt wird.

Am 07. September 2002 hieß es (wenn auch nur vorübergehend) Abschied nehmen von ‚Anita’, ‚Es war Sommer’, ‚Aber Bitte mit Sahne’, ‚Es fährt ein Zug nach nirgendwo’, ‚Dschingis Khan’ und ‚Schön ist es, auf der Welt zu sein’. »Hossa« musste die Bühne für ein neues Musical von Frank Thannhäuser, dem Leiter, Regisseur und Darsteller des Imperial Theaters, räumen: »Hot Stuff« warf seine teuflischen Schatten voraus!

Doch das Imperial Theater wäre nicht eines der außergewöhnlichsten Hamburger Musiktheater, wenn eine Show einfach so auslaufen würde. Nein, im bis auf dem letzten der 270 Plätze gefüllten Theater wurde an diesem Dernieren-Samstag eine Riesensause gefeiert. Und »Hossa« bietet wirklich für jeden etwas. Die älteren Besucher können alle Schlager der 70er Jahre aus ihrer eigenen Erinnerung mitsingen, die jüngeren weil Schlager gerade mal wieder ‚in’ sind und man sie einfach kennt. So waren dann auch Gäste von 5-65 Jahren im Imperial Theater anwesend, als es hieß: „Es war einmal in einer Zeit, nicht lange vor der unseren, da trugen viele Menschen auf dem Planeten Erde freiwillig Polyesterhemden und Plateauschuhe. Sie ließen sich die Haare lang wachsen und schwangen die Hüften zu merkwürdigen Klängen – und irgendwie können wir sie bis heute nicht vergessen….“

Die sechs Darsteller, die an diesem Abend in zahlreichen Rollen auf der Bühne standen, hatten sichtbar ihren Spaß: Luciano Di Gregorio führte als Kurt Felix durchs Programm und erzählte aus dem Leben von Horst Hossa (Frank Thannhäuser) und dessen Frau Gisela (Iris Schumacher). Duette des Ehepaares wie ‚Komm unter meine Decke’ oder ‚Tanze Samba mit mir’ wurden mit einer bestechenden Situationskomik präsentiert.

Sebastian Kraft rief mit seiner Rolle als pubertierender, Dr. Sommer-gestörter ‚Rolf aus Pinneberg‘ pikante Erinnerungen bei einigen Besuchern hervor. Als Heino erfreute er sich (bei seinen Mitstreitern) äußerst geringer Beliebtheit und wurde von Kurt Felix gnadenlos niedergemacht.

Steffi Görtemöller gab eine sehr gute Marlene Dietrich mit ‚Sag‘ mir, wo die Blumen sind‘ und ließ die Männerherzen höher schlagen. Susi Banzhaf überzeugte als etwas unterbelichtete Angelika Kaluppke und Schlagersternchen Michelle. Ihr komödiantisches Talent und die breite „Hamburger Schnauze“ sorgten bei den Besuchern für große Erheiterung. Besonders hervorzuheben ist die Eröffnungsnummer des Damen-Ensembles als dreifache Mireille Matthieu, die einem die Lachtränen in die Augen schießen ließ.

Am deutlichsten merkte man die verschiedenen Altersklassen im Publikum als das »Hossa«-Ensemble in einem Schnelldurchlauf alle deutschen Grandprix-Titel von 1970-1979 präsentierte, woran sich die Älteren natürlich noch erinnern konnten, während die jüngeren – das heißt unter 30-Jährigen – etwas irritiert aus der Wäsche guckten. Genau andersherum verhielt es sich als die Kindersendungen der 70er Jahre in den Mittelpunkt des Interesses rückten: Luciano Di Gregorio als Willi, der seine ‚Biene Maja’ sucht, Iris Schumacher und Susi Banzhaf als Gitti & Erika, die ‚Heidi’ rufen und Sebastian Kraft als ‚Vicky, der Wikinger’. Die jüngeren Zuschauer konnten alle Texte auswendig mitsingen und schwelgten in Erinnerungen an unbeschwerte Kindertage, ernteten dafür aber verwirrte Blicke von den älteren Semestern.

Das Publikum wurde wieder geeint als Susi Banzhaf als TV-Ansagerin eine mehrteilige englische Serie ankündigte und sich in einem grandiosen Monolog zwischen englischer und deutscher Sprache nicht mehr zurechtfand und nach bester Evelyn-Hamann-Manier lispelnd ein lachmuskel-strapazierendes Denglish von sich gab.

Nicht vergessen darf man die Kostüme: Vom neon-schrillen Tanzanzug ‚Andreas’ mit federpuschel-besetzten Beinapplikationen und „Schrittspitze“ über Hippie-Kostüme nach Woodstock-Vorbild bis hin zu den üppig, meist blumig, gemusterten Polyesterkleidern der Damen und den karierten Hosen kombiniert mit gestreiften Hemden und Plateaustiefeletten der Herren war alles vertreten, was man mit dem „modischen Chic“ der 70er verbindet. Auch die allgegenwärtige Pril-Blumen-Dekoration trug dazu bei, sich 30 Jahre zurückzuversetzen.

Alles in allem bot das Imperial eine perfekte (da plüschig-kuschelige) Atmosphäre, um sich für 3 Stunden ins Deutschland der 70er Jahre entführen zu lassen. Das Publikum honorierte die hervorragenden Leistungen der Darsteller mit Standing Ovations und erntete dafür ein „80er Jahre Neue Deutsche Welle-Medley“ vom feinsten, das die Stimmung noch mal so richtig zum Kochen brachte. Mit diesem Ende wurden die Besucher wieder in das Jahr 2002 entlassen – und es ging sicherlich den meisten so, dass sie einige Zeit brauchten, um nach dieser fröhlichen Zeitreise wieder im Hier und Heute anzukommen…

Michaela Flint
veröffentlicht  auf musicalzentrale.de

Theater: Imperial Theater, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 7. September 2002
Darsteller: Susi Banzhaf, Frank Thannhäuser
Choreographie: Sebastian Kraft
Fotos: Imperial Theater