home 2015 Ein unerwartet tanzlastiges Bühnenfeuerwerk: „Disney trifft 42nd Street“

Ein unerwartet tanzlastiges Bühnenfeuerwerk: „Disney trifft 42nd Street“

Disney-Musicals sind bekannt dafür, dass sie farbenfroh und unterhaltsam sind. Da bildet „Aladdin“, das am 6. Dezember 2015 seine Europapremiere feierte, keine Ausnahme. Schon die Auftaktszene zeigt eindrucksvoll wie „Arabische Nächte“ zelebriert werden: Mit luftig-wallenden Kostümen in allen Regenbogenfarben, viel Tanz und jeder Menge guter Laune!

Die fiktive Stadt Agrabah ist die Heimat von Aladdin und seinen Freunden Babkak, Omar und Kassar (im Original Kasim). Dort bestreiten sie ihren Lebensunterhalt durch Gaunereien und sind ständig auf der Hut vor den Schergen des Großwesirs Dschafar. Eines Tages trifft Aladdin dort Prinzessin Jasmin, der es im Palast zu langweilig wurde und die im bunten Markttreiben den aufdringlichen Heiratskandidaten zu entgehen versucht. Aladdin und Jasmin verstehen sich auf Anhieb und verbringen – nicht ahnend, wer ihr jeweiliges Gegenüber ist – einige schöne Stunden miteinander. Als Dschafars Leibgarde droht, Aladdin zu verhaften, gibt sich Jasmin als Prinzessin zu erkennen.

Aladdin hat sich Hals über Kopf verliebt. Um ihr nahe zu sein, geht er auf den windigen Deal Dschafars ein, ihm eine Wunderlampe aus einer Höhle zu holen und dafür die Anerkennung der Prinzessin zu erhalten.

Dschafars Hintergedanken sind egoistisch und düster: Er muss um jeden Preis verhindern, dass Jasmin heiratet, denn nur dann hat er die Chance, der neue Sultan zu werden. Mit der Wunderlampe und dem darin wohnenden Dschinni hofft er, seinem Ziel näher zu kommen. Doch kann nur jemand reinen Herzens die Höhle betreten – und das sind weder Dschafar noch sein plappernder Hofnarr Jago.

Aladdin kann den Verlockungen in der punkvollen Höhle jedoch auch nicht widerstehen und wird dort gefangen. Aus Langeweile „putzt“ er ein wenig an der Lampe herum und schon erscheint Dschinni, der ihm eindrucksvoll eröffnet, dass Aladdin nun drei Wünsche frei hat. Die beiden werden schnell mehr als Flaschengeist und Meister und Aladdin verspricht Dschinni, ihn mit seinem dritten Wunsch von seinem Los als wünscheerfüllender Geist zu befreien.

Mit Dschinnis Hilfe gelingt es Aladdin in den Palast vorzudringen und dort Jasmin wiederzusehen. Allerdings gefällt der Prinzessin der prunkvoll ausgestattete Prinz Ali mit seinem Hofstaat so gar nicht. Erneut fällt Aladdin auf eine List Dschafars hinein und schleicht sich in Jasmins Gemächer, die aber nach Anbruch der Dunkelheit niemand mehr betreten darf. Bevor er festgenommen wird, entführt er Jasmin jedoch noch auf eine magische Reise mit dem fliegenden Teppich. Trotz Jasmins Protest werden Aladdin und seine Gefolgschaft von Dschafars Leibgarde eingekerkert. Es gelingt ihnen zwar mit Dschinnis Hilfe wieder freizukommen, doch Aladdins blinde Liebe und die Gefahren im Palast treiben einen Keil zwischen die Freunde. So ist Aladdin auf sich gestellt und muss – nachdem er es sich auch mit Dschinni verscherzt hat – zusehen, wie er das Herz der Prinzessin als falscher Prinz gewinnt.

Dschinni wird derweil von Dschafar für seine dunklen Zwecke missbraucht. Dschafar sieht seine Chance gekommen, der neue Sultan zu werden. Nur einem Geniestreich Aladdins ist es zu verdanken, dass sich der böse Großwesir in einen Flaschengeist verwandelt und Dschinni freikommt. Die Wunderlampe mit Dschafar wird für immer weggeschlossen – so kann er keinen Schaden mehr anrichten.

Und wie es sich für ein ordentliches Disney-Märchen gehört, wird am Schluss eine große Hochzeit gefeiert, bei der alle Freunde wieder zueinander finden. Ein lupenreines Happy End!

Die dankbarste Rolle hat ganz klar Enrico de Pieri als Dschinni. Schon das Opening gestaltet er mit witzigen Sprüchen und einem Überschwang an guter Laune. Das Publikum ist sofort im Spaß-Modus und genießt das farbenfrohe Spektakel in Agrabah. Schon in der ersten Szene („Arabische Nächte“) zeigt sich das durchdachte Bühnenbild von Bob Crowley. Mit wenigen Handgriffen verwandelt sich der wuselige Marktplatz und gibt den Blick frei auf die Dächer der Stadt. Für das perfekt aufeinander abgestimmte Farbenspiel sind zudem Gregg Barnes (Kostüme) und Natasha Katz (Licht) verantwortlich. Die rötlich-gelbe Grundstimmung umrahmt das Geschehen in der Stadt genauso treffend wie die klare weiße Linie im Sultanspalast.

Mit der Höhlenszene – einer der beiden bemerkenswerten Szenen des Abends – ha sich das Kreativteam übertroffen: zunächst düster, gefährlich und geheimnisvoll, dann über alle Maßen schillernd, bunt und leuchtend (inkl. Indoor-Feuerwerk) zieht „So ‚nen Kumpel hattest Du noch nie“ alle Zuschauer in seinen Bann. Das Ensemble liefert dazu eine wunderbare Choreographie in der Tradition alter Meister, die mehr als nur vage an „42nd Street“ erinnern (Regie & Choreographie: Casey Nicholaw, Associate Director: Scott Taylor, Associate Choreography: John Macinnis). Nach diesem Feuerwerk der Bühnenkunst endet der ansonsten wenig spannende erste Akt.

Der zweite Akt hält gleich zu Beginn den weltbekannten Showstopper „In meiner Welt“ („A Whole New World“) bereit. Die Magie dieser Szene sorgt für Gänsehaut. Auch diejenigen im Publikum, die schon unzählige Musicals gesehen und zahlreiche Special Effects live erlebt (und hinter ihre Kulissen geschaut) haben, sind erstaunt: Wie fliegt der magische Teppich? Auf den ersten Blick sind keine Kabel oder sonstige physische Anbringungen ersichtlich, die den Teppich mit Aladdin und Jasmin fliegen lassen. Nur ein vertikaler Schatten auf den Gesichtern der Darsteller verrät, dass hier herausragende Bühnenkunst am Werk ist. Recherchiert man hierzu ein wenig, kommt man schnell zu einer plausiblen Erklärung (Achtung Spoiler!): Der Teppich ist an den Ecken mit Drähten aufgehängt, die so schnell rotieren, dass das menschlich Auge dies nicht mehr wahrnehmen kann. Das Lichtdesign tut sein Übriges, um diesen Effekt zu verschleiern. Jim Steinmeyer (Illusion Design) und Jeremy Chernick (Special Effects Design) haben hier ganze Arbeit geleistet! So kommt das Publikum aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, verpasst dadurch aber leider komplett den schönsten Song des Abends.

Danach flacht der Spannungsbogen gänzlich ab und der restliche zweite Akt plätschert sehr unaufgeregt seinem obligatorischen Ende entgegen.

Als Titelheld wurde der noch weitgehend unbekannte Richard-Salvador Wolff engagiert. Er spielt Aladdin mit viel Lebensfreude und füllt die Rolle des quirligen Aladdin tänzerisch wie gesanglich voll aus. Im zur Seite steht Myrthes Monteiro, die in allererster Linie genauso aussieht, wie man sich die schöne Prinzessin Jasmin vorstellt. Die genervte Prinzessin gelingt ihr auch durchaus ansprechend, auch wenn einige Töne manchmal arg schief sind. Doch insgesamt vermag Monteiro leider keinen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Ähnliches gilt auch für Claus Dam, der als Sultan nur wenige Auftritte hat und erst kurz vor Ende des Stücks erahnen lässt, dass er sich mit dieser Figur etwas unter Wert verkauft. Das die Charaktere – abgesehen von zwei Ausnahmen – nicht sonderlich tief ausgearbeitet wurden, scheint aber durchaus intendiert zu sein (Chad Beguelin). Denn wie sonst wäre es zu erklären, dass der fiese Bösewicht Dschafar (Ethan Freeman) und sein plappernder Vasall Jago (Eric Minsk) nur durch höhnisches Lachen oder platte Sprüche auffallen?

Mit diesem Los haben auch Pedro Reichert, Philipp Hägeli und Stefan Tolnal alias Aladdins Freunde Omar, Kassar und Babkak zu kämpfen. Sie handeln klischeehaft und aufgesetzt und allenfalls Tolnal kann durch seine Stimme einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Wäre nicht Enrico de Pieri als Dschinni, man würde sich fragen, warum es dieses Stück an den Broadway geschafft hat. Doch in dieser Rolle kann sich das eingespielte Texterteam (Dialoge: Ruth Deny / Songtexte: Heiko Wohlgemuth und Kevin Schroeder) austoben: Ob nun die Persiflage auf Bruce Darnell („De Handetasch muss lebendig sein!“) oder die Requisiten der vorangegangenen Shows (Maske vom „Phantom der Oper“). Auch das angedeutete Disney-Medley ist hochkomisch.

An anderer Stelle, genauer gesagt bei Jagos unaufhörlichem Gequatsche, sind die Dialoge leider immer mal wieder etwas zu flach, um wirklich lustig zu sein. Natürlich soll Jago nervig sein, aber ein Dummschwätzer ist der Vogel im Disneyfilm nun wahrlich nicht.

Nach knapp zweieinhalb Stunden endet das bunte Spektakel. In Erinnerung bleiben die herausragende Höhlenszene und der fliegende Teppich, genauso wie die mitreißenden Choreographien. So stellt sich der Musicalbesucher eine Broadwayshow vor: Bunt, schwungvoll, lustig und mit Happy End! Und genau das bekommen das Publikum seit 6. Dezember 2015 in der Neuen Flora in Hamburg zu sehen.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Theater: Neue Flora, Hamburg
Premiere: 6. Dezember 2015
Darsteller:  Enrico de Pieri, Richard-Salvador Wolff, Myrthes Monteiro
Musik / Regie:  Alan Menken / Casey Nicholaw
Fotos: Stage Entertainment