Fünf Irre betreut von zwei nicht weniger absonderlichen Krankenschwestern, dazu vier Tänzer und ein Radio. Das ist die Voraussetzung für eine amüsante Zeitreise in die 70er Jahre. Was als psychiatrischer Alptraum beginnt, wird zum Seventies-Traum: Afro-Perücken, Flokati Mantel, psychedelische Lightshow und der Sound der Siebziger von „Born to be alive“ über „Bohemian Rhapsody“ bis hin zu „Le Freak“.
Verrückt sind sie, das kann man nach einem Besuch der „74th Annual Convention for the völlig freaked out“ absolut bestätigen. Die fünf hoffnungslosen Fälle Detlef, Angie, Charles, Robert und Sharona befinden sich nach traumatischen Erlebnissen vor 20 Jahren im Tiefschlaf. Als sie aus dem Radio plötzlich die Musik ihrer Zeit hören – die Hits der 70er Jahre – erwachen sie aus ihrer Starre. Jeder erinnert sich an die gute alte Zeit, in der er/sie noch jung war und durchlebt noch einmal den Schicksalsschlag, der Ursache für die Einlieferung in die geschlossene Psychiatrie war.
Detlef ist total verklemmt und introvertiert, hat Schuldkomplexe und es dauert ziemlich lange, bis er sich den anderen Patienten öffnet. Angie leidet unter einem Helfersyndrom und konnte es nicht verwinden, ihren Mann in flagranti mit einem (!) anderen erwischt zu haben. Sie ist sehr schüchtern – ganz im Gegensatz zum extravaganten Charles, dessen übergroßes Selbstbewusstsein einen gewaltigen Dämpfer erhielt als er bei einer Travestie-Preisverleihung nicht den ersten Platz belegte. Robert scheint dagegen fast normal zu sein, außer dass er permanent niest und sich selbst als geringwertig einschätzt. Und dann ist da noch Sharona, die einen traumatischen Schock erlitten hat, nachdem ihr Idol, Gloria Gaynor, bei einem Konzert mit brennender Perücke von der Bühne stürzte.
Diese hilflosen Menschen werden von Oberschwester Wanda Koslowski betreut, die die Patienten zwar heilen könnte, sie stattdessen aber quält und am liebsten in den Keller sperren würde. Wäre da nicht Schwester Helga, die Mitleid hat und selbstvergessen den Oldie-Sender des Radios einstellt.
Im ersten Akt schöpfen die fünf Protagonisten neuen Lebensmut, tauschen sich aus und jeder hat sein musikalisches Ventil. Der zweite Akt markiert weiterhin die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, aber die Gegenwart in Form von Oberschwester Koslowski wird ebenso bekämpft. Das Stück gipfelt in der „75th Annual Convention for the völlig freaked out“, wo die ehemals hoffnungslosen Fälle als geheilt präsentiert werden.
Es gibt also eine Handlung, aber tatsächlich ist die vollkommen nebensächlich. Wichtig sind die fünf Hauptdarsteller, die in der aktuellen Tour von Ray Entertainment hochrangig besetzt sind: Der schüchterne Detlef wird vom ehemaligen Kaiserin-Mörder Alex Melcher gespielt und auch der Gloria Gaynor-Fan Sharona ist mit Katja Berg (Sophie in „Mamma Mia!“) sehr gut besetzt. Jeremy Cummins (Pepper in „Mamma Mia!“) gibt einen optisch wie stimmlich beeindruckenden Charles. Susanne Hayo („Freaked Out!“ seit der Uraufführung) und Lars Stockmann (ab August bei „Elisabeth“ in Wien) finden am Schluss der Show als Angie und Robert doch noch zueinander.
Die Voraussetzungen könnten besser kaum sein: Junge, stimmgewaltige Darsteller, die Spaß (und Erfahrung darin) haben, mit dem Publikum allabendlich eine Riesenfete zu feiern. Songs wie „Born to be alive“, „Killer Queen“, „Do you think I’m sexy“ und „I will survive“ sind geniale Showstopper, die von allen individuell interpretiert und von den vier Tänzerinnen und Tänzern optisch ausgeschmückt werden. Für die leisen Töne sind – oh Wunder – vor allem Alex Melcher und Susanne Hayo zuständig, die mit „Nights in white Satin“, „Sailing“ oder „We’ve only just begun“ das Publikum durchatmen lassen, bevor der nächste Mitklatsch- und Mittanz-Hit angestimmt wird.
Während die Show im ersten Akt durchaus Längen hat, ist der zweite Akt – wohl auch durch die farbenfrohen und originellen Kostüme der Hauptdarsteller – noch um ein Vielfaches schwungvoller. So schlägt Lars Stockmanns große Stunde bei Songs wie „I am I said“ und „Forever in Blue Jeans“. Mit viel Gefühl zeigt er, dass sein Bühnen Alter Ego Robert Selbstvertrauen gewonnen hat und liefert seine Soli souverän ab. Auch Susanne Stockmann (Angie) erblüht im zweiten Akt und legt mit „I was made for lovin’ you“ eine sexy Performance hin. Alex Melchers Verwandlung von eher unattraktiven rot-gelockten verklemmten Bubi zum extrovertierten Star-Manager Detlef entlädt sich in „Saturday night’s alright for fighting“, wo er endlich zeigt, dass er doch eine ziemlich Rockröhre hat.
Schließlich ist da noch Katja Berg, die von ihrem Engagement im Operettenhaus sicherlich profitiert hat– denn als Sharona heizt sie dem Publikum mit „Hot Stuff“ und „Lady Marmalade“ kräfitg ein. Die Zugabe „Waterloo“ dürfte sie aus dem ff kennen, denn schon bei „Mamma Mia!“ war das ein Garant für enthusiastische Beifallsstürme.
Doch das Highlight dieser Show ist Jeremy Cummins, der in ausgefallenen Outfits mit schier endlosen Beinen und einem nicht enden wollenden Rückenausschnitt die Blicke (und den Neid so mancher Frau) auf sich zieht. Die „Killer-Queen“ glaubt man ihm sofort, und auch in der „Bohemian Rhapsody“ überzeugt er vollends.
Fazit: Eine Show die mit fast dreißig 70er Jahre Hits prädestiniert ist für gute Laune, mit einem Ensemble, das sich sehen und hören lassen kann.
Michaela Flint
veröffentlicht auf musicalzentrale.de
Theater: Delphi Palast, Hamburg
Besuchte Vorstellung: Juni 2004
Darsteller: Katja Berg, Jeremy Cummins, Susanne Hayo, Alex Melcher, Lars Stockmann