Zum 20. Geburtstag der Hanauer Brüder Grimm Festspiele vertont Alexander S. Bermange unter dem Namen „Die Schöne und das Biest“ ein eher unbekanntes Märchen der Grimmschen Brüder.
Oder kennen Sie „Das singende, springende Löweneckerchen“? Der Versuch dieses verschachtelte Märchen kurz zusammen zu fassen, muss zwangsläufig misslingen, da sich immer mehr folgenreiche Handlungsstricke aus einer einzigen Entscheidung eines Königs entwickeln. So wird an dieser Stelle auf die Inhaltsangabe aus dem Programmheft zurückgegriffen:
„Prolog: Ein Zauberer und seine Tochter Scheherazade beherrschen die Menschen, da sie mit ihren magischen Kräften Einfluss auf alle Individuen nehmen können. Die Tochter des Zauberers ist durch die Macht des Vaters daran gewöhnt, alles zu bekommen, was sie sich wünscht. Aus Langeweile und Übermut verwandeln sie einen schönen Prinzen in einen Löwen. Nur des Nachts in völliger Finsternis bekommt er seine menschliche Gestalt zurück. Der Zauber ist nur durch uneigennützige Liebe wieder zu lösen.
Handlung: Die jüngste von drei Töchtern wünscht sich, dass ihr Vater ihr von einer Reise eine Löweneckerchen (eine Lerche) mitbringt. Als er eines fangen will, fordert ein Löwe dafür sein Leben oder das, was ihm daheim zuerst begegnet. Dies ist seine jüngste ihm liebste Tochter (Judith), die sich daraufhin dem Löwen ausliefert.
Der Löwe ist aber ein Prinz, der von der Tochter eines mächtigen Zauberers aus Langeweile verzaubert wurde und bei Nacht seine Menschengestalt erhält. Sie heiraten und leben glücklich in seinem Schloss. Eines Tages wird der Löwen-Gemahl durch einen Lichtstrahl in eine Taube verwandelt. Sieben Jahre muss er fortfliegen, bevor er von seiner Frau erlöst werden kann. Als er wieder zum Löwen wird, kämpft er mit einem Lindwurm, der die verwandelte Zaubererstochter ist. Seine Frau kann ihm durch die Hilfe der Gestirne zum Menschen zurückverwandeln, was aber auch mit dem Lindwurm geschieht. Die Zaubererstochter fliegt daraufhin mit dem Prinzen davon.
Nach weiterer Suche findet Judith ihren Mann im Schloss des Zauberers. Als er sie erkennt, können beide fliehen und kehren glücklich in sein Schloss zurück. Schlussendlich widersteht das junge Paar allen noch so bösartigen Ränkespielen des mächtigen Zauberers. Es gelingt ihnen, allen Schicksalsschlägen zu trotzen und zum Schluss ihre Freiheit wieder zu erlangen.“
Die Komplexität dieses Stücks ist auch einer der Knackpunkte der liebevollen Inszenierung. Vor der historischen Kulisse des Hanauer Schloss Philipsruhe wird das Stück in einem zeltbedachten Amphitheater aufgeführt. Auf der Bühne zieht eine große Treppe zwangsläufig die Aufmerksamkeit auf sich. Dass die Darsteller hier nicht stolpern oder gar stürzen, grenzt schon beinahe an ein Wunder, sind die Stufen doch äußerst steil. Links befindet sich eine kleine Drehbühne, die weitere Szenenbilder wie das Haus des Zauberers ermöglicht.
Das internationale Kreativ-Team hat sich alle Mühe gegeben, ein rundes Musical zusammen zu stellen. Doch als durchkomponiertes Musical kann dieses Stück nicht bezeichnet werden, dafür bedarf es zu vieler erklärender Dialoge, damit der Zuschauer der Handlung folgen kann. „Musiktheater“ ist eher die zutreffende Bezeichnung, denn so wird den umfangreichen Dialoge und zahlreichen Musiknummern Rechnung getragen.
Der australische Regisseur Marc Urquhart hat das Stück inszeniert. Die zehn Darsteller wirken jedoch leider in einigen Szene fehl platziert bzw. die ansatzweise vorhandenen Choreographien sind nicht zu Ende durchgetimed. Doch das ist – neben der durch die Open Air Veranstaltung Problem behafteten Akustik – auch schon der einzige Wermutstropfen dieser Produktion.
Die zehn Darsteller verfügen allesamt über ein großes Bühnenrepertoire. Nachhaltig im Gedächtnis bleiben Klaus Philipp, der als Löwe sehr ausdrucksstarke Soli hat, während er als Prinz fast schon zu lieb wirkt sowie Olivia Maria Bauer, die als die Schöne Judith das Publikum mit heller klarer Stimme fesseln kann. Auch Marc Ermisch als Zauberer und Thomas Müller-Brandes als Sänger und Erzähler haben ihre starken Momente. Durch die notwendigen Kürzungen können die Figuren nicht so sehr ausgearbeitet werden wie wünschenswert.
Komponist Alexander S. Bermange (London) versteht es, mit seinen wundervollen Balladen der Romanze die notwendigen Emotionen zu verleihen, die allein anhand der Texte von Dieter Stegmann nicht geweckt werden würden. Ansprechende UpTempo-Nummern für das ganze Ensemble machen Lust auf mehr, doch das stark gekürzte Buch beschneidet die musikalischen Möglichkeiten ein ums andere Mal. Doch insgesamt hat der junge Komponist die Herausforderung, passende Melodien auf bereits bestehende Texte zu erarbeiten, sehr gut gemeistert.
Auch wenn es sich bei „Die Schöne und das Biest“ um ein musikalisches Märchen handelt, ist dieses Stück ganz sicher kein Kindermusical. Zwar wurden mit der Eule (Corinna Maria Lechler) und dem schusseligen Diener Johann (Detlev Nyga) zwei Rollen etabliert, die das Zeug dazu haben, Kinder zu erfreuen, doch die Geschichte als solche ist für Kinder unter 12 Jahren wohl kaum (oder nur unter der aktiven Erklärungshilfe der Eltern) nachvollziehbar.
Die Idee, bekannte Märchen als Musical auf die Bühne zu bringen ist generell nicht zu verachten. Doch in diesem Fall wurden mit der Auswahl des Stücks schon große Barrieren aufgebaut, die auch durch noch so gute Darsteller und Kompositionen kaum eingerissen werden konnten. Schade…
Michaela Flint
veröffentlicht auf musicalzentrale.de
Theater: Amphitheater Schloss Philippsruhe, Hanau
Besuchte Vorstellung: Sommer 2004
Darsteller: Ensemble der Brüder Grimm Märchen Festspiele Hanau
Musik: Alexander S. Bermange
Fotos: Brüder Grimm Märchen Festspiele Hanau