home 2019 Ein konzertantes Try-Out mit Potential

Ein konzertantes Try-Out mit Potential

Maricel arbeitet schon lange an ihrem Herzensprojekt „Jeanne d’Arc“. Nach einer ersten Aufführung vor vielen Jahren war es lange Zeit still um sie geworden, doch im Juni hat sie ihre musikalische Fassung der „Jungfrau von Orléans“ im Theater Lüneburg mit einem großen Symphonieorchester und dem 24-köpfigen Theaterchor auf die Bühne gebracht.

Unterstützt wurde sie von John Vooijs als in Johanna verliebter Hauptmann Jean Metz und Ulrich Kratz als gegnerischer Herzog Bedford. Theater-Dramaturg Friedrich von Mansberg gab den Erzähler und versuchte die Songs thematisch in eine sinnvolle Abfolge zu kleiden. Maricel selbst sang die Titelrolle.

Thomas Dorsch hat „Jeanne d’Arc“ sehr voluminös arrangiert. Die Symphoniker haben in der Tat alle Hände voll zu tun, doch sie spielen mit großer Energie und Leidenschaft. Es wird deutlich, dass hier lange an den einzelnen Songs gefeilt wurde, um sie zur Perfektion zu bringen.

Nach einer etwas zu langen Ouvertüre, welche die musikalische Vielseitigkeit des Stücks unterstreicht, und einem ersten Chorgesang beginnt von Mansberg die Handlung zu verorten. Teilweise ist es etwas schwierig ihm zu folgen, da er Johanna auch direkt anspricht, um nicht zu sagen angreift und mit Vorwürfen überschüttet, die in dem jungen Mädchen arge Gewissensbisse hervorrufen.

Mit viel Nachdruck geben Maricel und Kratz ihre ersten Soli zum Besten. Das Publikum spürt, dass hier in kurzer Zeit mit sehr viel Engagement ans Werk gegangen wurde. Kratz legt eine überzeugende Intensität an den Tag und Maricel gelingt der Spagat vom verletzten und verwirrten jungen Mädchen zur kämpferischen Ikone sehr gut.

Wer möchte findet an diesem Abend musikalische Anleihen bei Frank Wildhorn („Wo bleibt unser Wunder“) oder Alan Menken („Lachen is gesund“), eine wirklich einheitliche Kompositionshandschrift kann man kaum erkennen. Da hilft auch der reichliche Einsatz von Flöten und Cembalo als Vertreter mittelalterlicher Melodien wenig. Doch es gibt mitreißende Stücke wie „Lebe das Leben wie ein Regisseur“, in dem der manipulative Charakter einiger Zeitgenossen Johannas sehr plakativ dargestellt wird. Auch das sich dramaturgisch aufbauende Finale des 1. Akts („Orléans“) sprüht vor Intensität und Motivation.

Die einmal mehr nicht gänzlich überzeugende Tontechnik im Theater Lüneburg sorgt mehrfach dafür, dass man das Gesungene nicht versteht oder dass die Sänger gegen das Orchester auch bei größter Lautstärke nicht ankommen. Dass Maricel und Vooijs mit Handmikrofonen singen, begrenzt sie zudem sehr in ihrer Interaktion. Den zusätzlichen Hall auf ihren Stimmen haben beide Sänger ebenfalls absolut nicht nötig, denn sie können auch ohne diese technische Raffinesse überzeugen.

Auch im zweiten Akt fehlen die Dialogszenen, was es dem Publikum sichtlich erschwert, der Handlung zu folgen. Doch hier stechen starke Songs wie „Die Seele schreit“, John Vooijs‘ „Du tanzt mit dem Feuer“ oder die Inquisition (mit sehr schnellem, pfiffigen Text) hervor.

Durch die vielen Melodiebrüche innerhalb der Songs fühlen sich einige Zuschauer verloren. Wenn man sich hier überlegt, dass gegebenenfalls noch Dialoge zwischen den verschiedenen Songelementen sind, die den Stimmungswechsel erklären könnten, wird einem zwar vieles klarer, aber man bedauert umso mehr, dass man diese Interaktion zwischen den Akteuren nicht zu hören bekommt.

Auch Maricels Johanna endet auf dem Scheiterhaufen. Ihre Zuneigung zu Jean Metz kommt über das Stadium der platonischen Freundschaft nicht hinaus und so begibt sich die „Jungfrau von Orléans“ mit einem versöhnlichen „Auf ruft die Stimme unseres Herzens“ in den Tod.

Das Publikum – zugegebenermaßen mit einem sehr hohen Fananteil – ist begeistert und applaudiert den Protagonisten sehr lang. Maricel ist zu Tränen gerührt, ihr „Baby“ nun auch einmal auf einer großen Bühne gezeigt zu haben.

„Jeanne d’Arc“ ist definitiv ein Stoff, der sich für ein Musical eignet: Er ist dramatisch, man hat viele Handlungsebenen und eine starke Titelfigur. Warum also nicht? Musikalisch bieten die symphonischen Klänge viel Abwechslung – vielleicht an einigen Stellen zu viel? Hier fehl ein wenig der rote Faden, an dem sich das Publikum festhalten kann.

Doch was Maricel, ihre Kollegen und das Theater Lüneburg an diesem Abend gezeigt haben, verdient Anerkennung und es ist sicherlich nicht das Ende von dieser speziellen „Jeanne d’Arc“.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Theater Lüneburg
Premiere: 13. Juni 2019
Darsteller: Maricel, John Vooijs, Ulrich Kratz, 
Buch / Musik: Maricel Wölk
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