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Ein Drama in zwei Akten

Das erfolgreichste deutschsprachige Musical als Tourfassung in einer neuen Inszenierung? Auch wenn Originalregisseur Harry Kupfer das Heft in der Hand und mit Pia Douwes und Uwe Kröger zwei Originaldarsteller der Wiener Uraufführung von 1992 für die Hauptrollen engagiert hatte, so hielten sich doch im Vorfeld einige Bedenken. Kann man eine Produktion, die von opulenten Kostümen und Großkulissen nur so strotzt, auf eine üblicherweise minimalistische Tournee-Version zusammendampfen? Können Douwes und Kröger ihre Paraderollen auch nach 16 Jahren noch glaubhaft über die Rampe bringen? Diese Vorbehalte sollten sich teilweise als sehr begründet darstellen, aber dazu später mehr.

Gleich vornweg: Wer gehofft hatte, dass in Berlin die positiven Effekte und Regiekniffe aus Essen, Stuttgart und Wien zu einem einheitlichen Ganzen zusammengefasst würden, der wurde enttäuscht. Die Berliner Inszenierung entspricht weitestgehend der Version, die bis Ende 2005 in Wien gespielt wurde.

Die Bühne hat sich optisch natürlich etwas verändert. Dort wo in Wien Bühnenfüllende Hintergrundvorhänge das Ambiente der Szene bestimmt haben, muss in Berlin eine mehrfach unterteilte Leinwand mit eher selten stimmigen Hintergrundprojektionen für Stimmung sorgen. Dies misslingt jedoch gründlich. Zum einen durch die Unterteilung der Leinwand, die notwendig ist, damit die Darsteller wie Figuren in einem Wetterspiel durch die Öffnungen „fahren“ können, zum anderen, da die projizierten Motive teilweise unpassend oder schlichtweg nicht zu erkennen sind (Es könnte auch irgendeine Kirche sind und nicht die Augustinerkappelle oder irgendein Schloss und nicht die Hofburg oder Schönbrunn).

Auch an pompösen Großkulissen wurden aus nachvollziehbaren Gründen gespart, handelt es sich doch nicht um eine Ensuite-Produktion der Stage Entertainment oder Vereinigten Bühnen Wien, sondern um ein Stück der LaBelle Musical Tournee GmbH (u. a. „Robin Hood“), deren einzige Spielorte bisher Berlin (bis 28. September) und Basel (ab 17. Oktober) sind. Dennoch sind Bühnenbilder und Kostüme für eine Musicaltournee absolut in Ordnung. Hat man jedoch den Vergleich fehlt einem die Liebe zum Detail, den Perücken sieht man den Rotstift an, den Kostümen fehlt es an den reichhaltigen Feinheiten, die man mit einem pompösen Adelshaus verbindet. Besonders ins Gewicht fallen die Sparmaßnahmen in einigen wichtigen Szenen:

  • Die Hochzeitsszene wurde komplett verschenkt, da keinerlei optische Hochzeitsausstattung zu erkennen ist – Elisabeth und Franz Josef sehen genauso aus wie die Hochzeitgäste. Ganz zu schweigen von einem roten Teppich, den man hier als Andeutung eines Kirchengangs komplett vermisst.

  • Wenn Elisabeth am Sarg ihres Sohns Rudolf zusammenbricht, wäre es durchaus hilfreich, dieses auch auf der Bühne zu sehen. Eine solche Szene ins Leere zu spielen, entbehrt jeglicher Seriosität.

  • Das Feldbett, das während „Die Schatten werden länger“ auf dem schwarzen Flügel-Gefährt des Todes platziert ist, ist mehr als nur unpassend. Es zieht die ansonsten sehr intensive Szene ins Lächerliche.

Sehr gut hingegen ist die Szene im „Wiener Kaffeehaus“: Während die lästernden Wiener in der österreichischen Inszenierung noch mit eher unpassend anmutenden Autoscootern über die Bühne fuhren, steuern die Darsteller in der aktuellen Produktion Podeste mit jeweils einem Tisch und mehreren Stühlen, die perfekt an die gemütlichen Kaffeehäuser erinnern.

Doch neben diesen optischen Anpassungen, mit denen man sich irgendwie noch arrangieren kann, ist es vor allem die glatte und kalte Regieführung, die diese neue „Elisabeth“ schwächt. Harry Kupfers Inszenierung ist emotionslos und unaufregend. Es scheint nicht mehr darum zu gehen, das dramatische Leben von Elisabeth zu erzählen; Gefühle spielen offenbar keine Rolle mehr.

Natürlich transportieren die herausragende Partitur von Sylvester Levay und die Texte von Michael Kunze alle nur erdenklichen Stimmungen, doch wenn diese schauspielerisch nicht aufgegriffen werden (dürfen), fragt man sich, warum man sich nicht einfach eine der CDs zur Show anhört.

Keiner der Darsteller berührt durch sein Schauspiel. Das ist sehr schade, denn nicht nur Elisabeth geht im Laufe des Musicals durch ein Wechselbad der Gefühle. Auch bspw. Erzherzogin Sophie hat und zeigt ihre schwachen Seiten („Bellaria“), doch in Berlin gibt Christa Wettstein eine hölzerne, verbitterte und missgünstige Kaisersmutter. Das majestätische und ehrfurchgebietende der ehemaligen Regentin lässt sie gänzlich vermissen. Auch gesanglich vermag sie die tiefe Liebe und Enttäuschung nicht zu vermitteln, die diese Frau geprägt haben.

Auch Oliver Arno vermag als Kronprinz Rudolf nicht zu überzeugen. Er ist kaum zu hören, bleibt in jeder Szene gleichermaßen blass und unscheinbar und hat einem Uwe Kröger nichts entgegenzusetzen.

Ebenso wenig zufrieden stellend sind die Auftritte von Bruno Grassini als Luigi Lucheni. Der Erzähler, der in anderen Inszenierungen das Publikum um den Finger wickelt, kämpft im Theater des Westens einen aussichtslosen Kampf: Seine Witze kommen nicht an, der Sarkasmus ist nicht pointiert und gesanglich hinkt er meilenweit hinter seinen Rollenvorgängern hinterher.

Positiv stechen da Markus Pol und Maike Katrin Schmidt hervor, die als Kaiser Franz-Joseph und Herzogin Ludovika / Frau Wolf rollendeckend agieren und ihre wenigen Songs schön und gefühlvoll interpretieren.

Bleiben noch die beiden Protagonisten des Stücks: Pia Douwes als Elisabeth und Uwe Kröger als der Tod. Beide haben ihre Rollen in der Weltpremiere kreiert und sind ganz sicher über jede Kritik erhaben. Beide haben in den letzten 16 Jahren eine enorme Karriere gemacht, die auch ihren Paraderollen zu Gute kommt. Pia Douwes hat die Rolle in vielen Inszenierungen perfektioniert. Rein vom Gesang her nimmt man ihr die 16-jährige Landprinzessin Sisi genauso ab wie die verbitterte Kaiserin auf der Flucht vor ihren Verpflichtungen. Optisch lässt sich der Altersunterschied nicht so gut kaschieren. Doch ab der 20. Reihe nimmt man nicht mehr wahr, dass die Hauptdarstellerin ihrer Bühnenfigur im ersten Akt gut 25 Jahre an Lebenserfahrung voraus hat. Leider krankt aber auch ihre Interpretation an der seltsam schnörkellosen Regie von Harry Kupfer. Nahezu leidenschaftslos und kalt spielt sich Douwes durch die einzelnen Szenen. Gänsehaut bei „Ich gehör nur mir“? – Fehlanzeige!

Auch die Szenen mit ihrem langjährigen Kollegen Uwe Kröger verhallen spannungslos. Verhaltener Applaus zeigt an, dass das Publikum emotional nicht gefesselt ist. Und dass, obwohl die Beziehung von Elisabeth und dem Tod musikalisch und textlich nur so Funken sprüht.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Uwe Kröger weder schauspielerisch noch gesanglich überzeugen kann. Er ist einfach Uwe Kröger, und das mit Inbrunst und Nachdruck. Doch der androgyne Tod, der Verführer und Liebhaber von Elisabeth? Nein, der ist er leider nicht mehr. Man hat häufig das Gefühl, dass Kröger versucht, sich aus der starren Regie zu befreien, indem er eigene Phrasierungen einfließen lässt. Doch Stimme und Bewegungen fehlt es an Leichtigkeit und jugendlichem Charme. Der Tod ist in der Tournee-Inszenierung weder bedrohlich, noch leidenschaftlich, sondern einfach Uwe Kröger.

Wäre nicht das herausragende Orchester unter der Leitung von Bernd Steixner, man würde sich wirklich fragen müssen, warum „Elisabeth“ so viele Preise abgeräumt hat. Doch Steixner treibt seine 25 Musiker zu Höchstleistungen an und macht aus dem Drama-Musical ein exzellentes Musiktheaterstück und entschädigt so für manchen Mangel auf der Bühne.

Ansonsten enttäuscht die überarbeitete „Elisabeth“ über lange Strecken. Schade, dass man die Chance nicht genutzt hat, das Beste aus den bisherigen Inszenierungen zusammenzutragen.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Theater des Westens, Berlin
Premiere: April 2008
Darsteller: Pia Douwes, Uwe Kröger, Markus Pol, Bruno Grassini, Oliver Arno
Regie / Musik: Harry Kupfer / Sylvester Levay
Fotos: LaBelle Musical Tournee GmbH