Es gibt wohl kaum einen passenderen Ort als eine Kirche, um das von Dieter Falk und Michael Kunze 2010 neu arrangierte Poporatorium „Die 10 Gebote“ aufzuführen. Die Hamburger Hauptkirche St. Michaelis, die ihre musikalische Kompatibilität jährlich zu Weihnachten eindrucksvoll unter Beweis stellt, ist optisch ein wundervoller Spielort: die mehr als 500 Chormitglieder finden auf den beiden großen Balkonen Platz, das Publikum verteilt sich auf der restlichen Empore und im nahezu ausverkauften Kirchenschiff.
Das stimmungsvolle Lichtdesign hüllt den Altarbereich in Goldtöne. Die andächtige Stimmung überträgt sich sofort auf das Publikum – in Kirchen benimmt man sich eben (auch heutzutage). Anstatt von Notenbüchern tragen die beiden Erzähler (Yosefine Buohler und Paul Falk) überdimensionale Bibeln mit sich herum. Sie sind modern gekleidet und begegnen den Zuschauern so auf Augenhöhe. Die übrigen Darsteller tragen rollenkonforme Kostüme – am aufwendigsten ist dabei das farbenfroh schillernde Pharaokostüm.
Dass eine Kirche für jeden Tontechniker eine Herausforderung darstellt, merkt man auch am 13. September 2014 nur allzu deutlich. Schon bei den ersten gemeinsamen Songs sind die Solisten kaum zu hören und kommen gegen den Chor nicht an. Auch das mehr rockig als poppig aufspielende Orchester übertönt die Solisten nahezu gänzlich. Man stellt sich unweigerlich die Frage, ob es sich nicht vielleicht doch um ein Rockoratorium handelt, denn die Botschaft der Sängerinnen und Sänger gehen leider unter und der Konzertcharakter überwiegt.
Einzig Stefan Poslovski schafft es, sich als Pharao durchzusetzen. Bei „It’s hard to be a God“ kommt man in den Genuss der durchaus pfiffigen Texte von Michael Kunze. Einen ähnlich guten Eindruck hinterlässt Jonathan Agar als Naroch. Beide sind in ihren Uptempo-Songs gut zu verstehen. Warum Sascha Krebs (Moses) und Frank Logemann (Aaron) von der Technik vernachlässigt wurden, verwundert doch arg. Denn die beiden sind nun wahrlich nicht für ihre dünnen Stimmchen bekannt. Vor allem Logemann hat unter der Tontechnik zu leiden, da während seines großen Solos sein Mikrofon komplett ausfällt und die Tontechniker es nicht schaffen, das Problem in den Griff zu bekommen.
Was dem Publikum den Genuss dieses Oratoriums verdirbt, ist einzig die miserable Tontechnik: kratzende Mikros, zu spät geöffnete Ports, Echo, zusätzlicher Hall und ein mumpfiges Schlagzeug sind nur die Spitze des Eisbergs.
Schöne inszenatorische Ideen von Regisseurin Doris Marlis, wie beispielsweise Moses, der von der Kanzel die 10 Gebote verkündet, die zudem von den Erzählern in zeitgenössische Sprache „übersetzt“ werden, geraten hier leider ins Hintertreffen.
Dass es nicht so einfach ist, ein Publikum zum Mitklatschen zu animieren, zumal wenn ein Titel musikalische Rhythmusbrüche hat, müssen alle Darsteller leidvoll erfahren. Dabei hilft es dann auch nicht, dass auch und gerade die Chormitglieder, an denen sich vermutlich viele Zuschauer orientieren, keinen einheitlichen Klatschrhythmus haben. Das Ganze mündet in furchtbar chaotischem Klatschen zum Finale „Liebe ist das Gebot“. Vielfach sind zudem die Applauspausen nicht klar und es tritt eine beklemmende Stille ein.
Das Fazit kann an diesem Tag leider nur lauten: Idee sehr gut, Umsetzung mangelhaft. Das Orchester unter der Leitung von Doris Vetter grooved über weite Teile des Konzerts, die Darsteller bemühen sich redlich, die riesige Kirche akustisch zu füllen, was aus den genannten Gründen misslingt.
Wirklich überzeugen kann am Ende nur Stefan Poslovski als exaltierter Pharao, was man auch am aufbrandenden Schlussapplaus erkennt.
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Theater: St. Michaelis, Hamburg
Premiere: 13. September 2014
Darsteller: Sascha Krebs, Stefan Poslovski, Jonathan Agar, Frank Logemann, Yosefine Buohler, Paul Falk
Regie / Musik: Doris Marlis / Dieter Falk, Michael Kunze
Fotos: Krafft Angerer