BB Promotion brachte in diesem Sommer Maury Yestons größten Erfolg „Titanic“ in der englischen Originalfassung nach Deutschland. Die Premiere fand ausgerechnet in Hamburg statt – der Stadt, in der die Stage Entertainment im Jahr 2003 nach nicht einmal 10 Monaten mit demselben Stück baden ging. Vielleicht war das der Grund, warum nur wenige Tage nach Beginn der Sommerspielzeit die Hamburgische Staatsoper halb leer war.
Ein Schiffsuntergang in einer Hafenstadt zu zeigen, zumal auf Englisch, funktioniert auch in der drittgrößten Musicalmetropole der Welt leider nicht.
Die 25 Darsteller schlüpfen in die Rollen der Besatzung sowie die der Passagiere der 1., 2. und 3. Klasse und zeichnen anhand der ausgefeilten Charaktere die zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschende Mehrklassengesellschaft nach – in all ihren dramatischen Facetten.
Das Bühnenbild besteht aus einem Balkon mit Reling sowie einer fahrbaren Treppe. Auf diesen beiden Ebenen (Bühne und Balkon) spielen sich die tragischen Ereignisse vom 14. April 1912 ab. David Woodhead (Set & Costume Design) erreicht hier mit minimalem Aufwand die größtmögliche Wirkung. Auch die Kostüme sind ihm sehr gut gelungen, auch wenn einige Hosen der Herren doch etwas zu weit sind und einige Mäntel der Damen etwas sehr voluminös.
Der Sound ist für die Hamburgische Staatsoper überraschend gut. Sounddesigner Andrew Johnson hat hier ganze Arbeit geleistet. Dennoch bleiben einige Szenen, wie gerade auch die Ankunft der Passagiere, etwas drucklos. Doch dies gleichen gute Einfälle von Regisseur Thomas Southerland und seinem Associate Director Franny Anne Rafferty, wie beispielsweise die von den Passagieren durch Zerreißen ihrer Tickets selbst erzeugten Papierschnipsel, die beim Auslaufen geworfen werden, wieder aus.
Während Niall Sheehy als Frederick Barrett sehr sympathisch und gefühlvoll über die Rampe kommt, fehlt es Philip Rahm als Captain Smith leider an Autorität und Stattlichkeit, die man beispielsweise bei einem Michael Flöth (Captain Smith in Hamburg und Bad Hersfeld) schon bei dessen Betreten der Bühne spürt. Jacinta Whyte hat als Alice Bean eine der dankbarsten Rollen und wird dem Komikfach weitgehend gerecht. Als sehr freche und selbstbewusste Kate McGowan ist Victoria Serra zu erleben. Dass sie mit dieser Rolle hinter ihrem Können zurückbleibt, merkt man mehrfach.
Wie in Opern üblich wird auch „Titanic“ mit deutschen Texten übertitelt. Hier handelt es sich erfreulicherweise auch nicht um arg zusammengekürzte Übersetzungen von Google Translate, sondern es werden weitgehend die Originaltexte von Wolfgang Adenberg gezeigt.
Southerland hat eine sehr ruhige Inszenierung erschaffen, in der Musik und Charaktere im Vordergrund stehen. Keine reißerischen, überdramatischen Momente, sondern der sehr dosierte Einsatz von Emotionen und Gestik machen diese Show erlebenswert. Wenn man sich vollends auf Yestons raumgreifende Kompositionen einlässt und den Einzelschicksalen folgt, kann man einen schönen Musicalabend genießen.
Herausragende Szenen sind das Duett von Heizer und Funker (Sheehy und Oliver Marshall) sowie der Heiratsantrag, den Kate McGowan ihrem Jim (Chris McGuigan) macht. Auch die Schuldzuweisungen von Ismay (Simon Green) gegenüber Andrews (Greg Castiglioni) und dem Captain sind gelungen. Weniger stimmungsvoll sind die Dinnerszenen und der sehr belanglose „Ragtime“.
Erwähnen sollte man noch Kieran Brown, der seine Schuldgefühle als 1. Offizier Murdoch nicht verarbeiten kann, was in einer sehr beklemmenden Szene zum Ausdruck kommt. Auch Castiglionis „Autum“ ist wunderschön. Hier wirkt auch das gen Himmel aufsteigende Heck, das Andrews langsam herunterrutscht, sehr eindrücklich.
Wie so häufig bei UK (Tour) Produktionen ist die gesangliche Qualität sehr hoch und die Abstimmung mit der Band (ein Orchester sucht man im Orchestergraben vergeblich) vorzüglich.
Wenn die Überlebenden am Schluss die Bühne verlassen und dort eine bühnenfüllende Auflistung aller Opfer zurücklassen, haben nicht wenige Zuschauer einen Kloß im Hals.
Der umgehend einsetzende Applaus und die stehenden Ovationen zollen der Leistung der Darsteller Respekt und zeugen von der Begeisterung für dieses Stück. Maury Yestons Melodien haben die Menschen berührt, keine Frage.
Aber Hamburg ist und bleibt der falsche Standort für dieses Musical!
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Besuchte Vorstellung: 11. August 2018
Regie / Musik: Thom Southerland / Maury Yeston
Fotos: Scott Rylander