home 2003 Die schrille Autoren-Biographie in München

Die schrille Autoren-Biographie in München

Zum ersten Mal verlässt „Poe“ die heiligen Saarbrücker Hallen und begibt sich ausgerechnet nach München. Auf dem Tollwood Winterfestival – ein zu Kirmes mit Theater und Musicalzelt verkommenes Kulturfestival – feierte Frank Nimsgerns Musical am 24. November Premiere und wurde vom Publikum – wie sollte es anders sein – begeistert aufgenommen.

Die Kompositionen von Nimsgern sind abwechslungsreich und eingängig, die Besetzung ist eingespielt und hat sich mehrfach bewährt – wo also soll man nach dem Haar in der Suppe suchen? Ganz klar: in der Location. Sei es nun die Akustik oder der sehr begrenzte Spielraum oder das Klima – ein (mobiles) Zelt ist einfach kein adäquater Spielort für ein anspruchsvolles Musical.

Edgar Allan Poes letzte Nacht, sein letzter Traum, ist Thema des Musicals Poe. In sieben Bildern, die thematisch zwar seinem Werk entlehnt sind, aber auch ohne deren Kenntnis eine eigene Kraft und Logik entwickeln, wird die Geschichte eines Paktes mit dem Teufel in Form des mysteriösen Dr. Pilatus erzählt.

Für den Preis angeblicher Heilung und eines letzten großen Erfolgs überlässt Poe seine so kraftvolle wie überbordende Fantasie dem Teufel. Auch im letzten Duell zwischen Poe und Pilatus erkennt Poe nicht die Wahrheit: Er selbst ist Pilatus. Er erschießt seinen Feind und damit auch sich.

Die Stimmen von Darius Merstein-Macleod, der als Pilatus an Exzentrik nicht zu überbieten ist, Poe-Darsteller Henrik Wager und Aino Laos (Virginia) sind – wie man sich u. a. auf dem Showalbum überzeugen kann – kräftig, durchdringend und perfekt für die Charaktere. Im Tollwood-Zelt kommen davon jedoch nur Bruchteile beim Publikum an. Die schlechte akustische Isolierung des Musicalzelts schluckt viele Details und man muss miterleben, wie die Darsteller dagegen ankämpfen.

Das intensive musikalische Rock-Spektakel wird durch ein gutes, phasenweise verwirrend schrilles Bühnenbild (Detlev Beaujean) ergänzt. Die teilweise sehr offenherzigen Kostüme (Angela C. Schuett) der Damen auf der Bühnen erfreuen die Herzen der männlichen Zuschauer. Für die Charaktertiefe sind bei Poe die Herren zuständig: Pilatus ist von der ersten bis zur letzten Minute Ehrfurcht gebietend und Angst einflößend – man merkt, dass sich Darius Merstein-Macleod in dieser Rolle gefällt und die Bösartigkeit hinter Mysterischem zu verstecken weiß. Henrik Wager, der Titel“held“, der keiner ist, versucht sich vergeblich gegen Pilatus und dessen vermeintliche Intrigen zu wehren, erliegt aber schließlich seinen eigenen Phantasien.

Aino Laos als Virginia Usher verfügt über eine angenehme Ausstrahlung und setzt die Waffen einer Frau gewinnbringend ein. Als Madeline Pfaahl/Psychezenobia ist Helena Hellqvist zu erleben, die mit schöner Stimme ihren sehr schrägen Charakteren Ausdruck verleiht.

Die vierköpfige Band unter der Leitung von Frank Nimsgern sorgt vor allem bei Showstoppern wie „Meister der Nacht“, „Sieh mich an“ und „Poemanie“ für satten Sound. Ruhigere Stücke wie „Auf den Flügeln der Nacht“ werden von der dürftigen Akustik leider arg in Mitleidenschaft gezogen.

Auch wenn die Zeltproduktion von „Poe“ nicht an die Originalinszenierung aus dem Saarbrücker Staatstheater herankommt, ist damit der lange überfällige Schritt getan, diese Show außerhalb des Saarlandes zu präsentieren.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Tollwood, München
Premiere: 8. Dezember 2003
Darsteller: Darius Merstein-Macleod, Henrik Wager
Musik: Frank Nimsgern
Fotos: Tollwood München