Nach der herausragenden Start-Produktion „Hedwig & The Angry Inch“ legt Off-Musical Frankfurt nur drei Monte später mit der Deutschlandpremiere von Green Days „American Idiot“ nach.
Als Spielstätte wurde der Rock-Club „Batschkapp“ ausgewählt. Komplett bestuhlt und mit einem langen Laufsteg durch das halbe Parkett wirkt die „Batschkapp“ ganz ungewohnt. Doch die links und rechts auf der Bühne platzierte 6-köpfige Band und die große durchsichtige Spiegelwand als Bühnenhintergrund ließen erahnen, dass hier etwas Ungewöhnliches bevorstand.
Die Handlung des von Billie Joe Armstrong (Green Day) und Michael Mayer (Regisseur von „Spring Awakening“ und „American Idiot“ am Broadway) geschriebenen Musicals lässt sich sehr kurz zusammen: Die drei Freunde Johnny, Will und Tunny haben genug vom spießigen Kleinstadtleben und wollen in die große, weite, spannende und so verlockende Welt aufbrechen. Doch Will macht kurzfristig einen Rückzieher, weil seine Freundin schwanger ist, Tunny wendet sich dem Militär zu und kommt mit posttraumatischer Belastungsstörung zurück, und so bleibt nur noch Johnny, der aber nach ausgiebigen Drogenerfahrungen ebenfalls zurückkehrt in die so verpönte Heimatstadt.
Mehr passiert nicht. Mit dieser sehr überschaubaren Handlung 100 Minuten durchkomponierte Spielzeit füllen zu wollen, ist sehr ambitioniert. Da müssen die Musik und charismatische Darsteller schon in die Bresche springen. Doch auch hier muss man leider feststellen, dass dies nur ansatzweise gelingt, was aber zu einem sehr großen Anteil der miserablen Tontechnik zuzurechnen ist.
Der Band unter der Leitung von Dean Wilmington fehlt es an dem nötigen Druck, um die bekannten Green Day Songs überzeugend über die Rampe zu bringen. Punk Rock muss in den Ohren brennen! In der „Batschkapp“ bekommen die Zuschauer, von denen nicht wenige Green Day-Fanshirts tragen, jedoch sehr weichgespülte Versionen von „American Idiot“, „Boulevard of broken dreams“ und „Wake me up when September ends“ auf die Ohren. Das ist sehr bedauerlich und wird dadurch noch verschlimmert, dass die zehn Darsteller stimmlich gegen die Band nicht ankommen. Ob die deutsche Fassung der Songs (Titus Hoffmann) funktioniert, kann man kaum beurteilen, da es phasenweise kaum deutlich wurde, ob deutsch oder englisch gesungen wurde.
Die fünf Darstellerinnen und fünf Darsteller sind in wunderbar exzentrischen Rollen zu sehen, doch leider lässt es das schwache Buch nicht zu, dass auch nur ein einziger dieser Charaktere wirklich greifbare Form annimmt. Die rebellische Haltung der jungen Menschen wird beim Medley „Jesus von Suburbia“ sehr deutlich. Auch der Kostümwechsel von grau-schwarz zu blau-rot-schwarz unterstreicht die Auflehnung gegen das Spießertum. Das Gesamtbild, das Sarah-Katharina Karl mit Bühnenbild und Kostümen geschaffen hat, ist stimmig und durchdacht. Genauso gekonnt sind die modernen, den jugendlichen Anarchogedanken angepassten Choreographien von Ludwig Mond. Sie sind energiegeladen, raumgreifend und absolut passend zum Punk Rock (u. a. „Die letzte der American Girls“).
Immer wieder fühlt man sich an „Hair“ erinnert: Eine Gruppe Jugendlicher lehnt sich gegen das Establishment auf, stößt auf viele Hindernisse, macht Grenzerfahrungen im Bereich Sex und Drogen und kehrt am Schluss geläutert wieder in die sichere Heimat zurück. Dasselbe erlebt man bei „American Idiot“: Philipp Büttner gibt den Rädelsführer Johnny, kommt aber eher als Schwiegermamas Liebling über die Bühne. Dennis Hupka ist Will, der mit seinem Kampf gegen die Drogen und der Auseinandersetzung mit der plötzlichen Verantwortung als werdender Vater sichtlich überfordert ist (gut gespielt von Hupka). Tunny, der nach seinem Kriegseinsatz krank in die Heimat zurückkehrt, wird von Sebastian Smulders mit viel Gefühl gegeben. St. Jimmy, Johnnys Dealer, der am Broadway von Green Day Frontman Billie Joe Armstrong gespielt wurde, wird von Robert Lankester optisch sehr überzeugend dargestellt und hat das Potential zu einer einprägsamen Figur. Doch am überzeugendsten ist an diesem Abend Claudio Gottschalk-Schmitt als „Lieblingssohn“: Er trifft jeden Ton, hat genau die richtige punkige Attitude und tanzt auch die Choreographien auf den Punkt (u. a. „Zu viel zu früh“)! Genau so eine Besetzung hätte man sich in allen Rollen gewünscht.
Bei den Damen hängt Lisa Antoni als Johnnys Drogenliebe „Whatsername“ alle anderen ab. Sie spielt und singt überzeugend. Paulina Plucinski als Alysha ist die meiste Zeit im Hintergrund und singt keine fünf Zeilen solo, aber dieser kurze Soloeinsatz macht definitiv Lust auf mehr, denn ihre Rockröhre ist unverkennbar. Laura Friedrich Tejero spielt die schwangere Heather und überzeugt vor allem mimisch. Die „Abgefahr’ne Frau“, Tunnys Betreuerin nach dessen Heimkehr aus dem Krieg, wird von Lena Weiss sehr einfühlsam gegeben. Bleibt noch Yvonne Braschke, die nicht nur optisch aus dem Ensemble hervorsticht und ihrer Rolle als Dance Captain alle Ehre macht. Ihre Energie ist ansteckend!
Insgesamt bleibt diese „American Idiot“ Inszenierung jedoch etwas unrund, trotz guter Ideen von Regisseur Thomas Helmut Heep, der die Darsteller zu Beginn im Publikum platziert und sie am Ende des Stücks auch wieder dorthin zurück schickt. Auch dass diese Show so gar keine Botschaft hat (obwohl mit „Kampf jeder Gewalt“, im Original „21 Guns“, der perfekte Song hierfür vorhanden ist), trägt zum verwirrenden Gesamteindruck bei.
Auffallend ist das hohe Tempo dieser Show, das nicht nur das Publikum atemlos zurücklässt, sondern auch die zehn Darsteller mehrfach lautstark schnaufen und sichtlich pumpen lässt, da Heep sie ohne Atempause durch die kompletten 100 Minuten schickt.
Wären nicht die einschränkenden Tonprobleme und die wenig charismatischen Charaktere – die Show würde durch die Decke gehen. Doch so kann man Off-Musical Frankfurt nur für ihren Einsatz danken und sich darauf freuen, was die kleine, aber sehr talentierte Truppe rund um Marina Pundt und Stephan Huber in der nächsten Spielzeit für uns vorbereiten wird.
Michaela Flint
Premiere: 17. Januar 2018
Regie / Choreographie: Thomas Helmut Heep / Ludwig Mond
Fotos: Agnes Wiener / Niklas Wagner