Man kann sagen, was man will, aber es ist lange überfällig, das die erfolgreichen Musical Comedys aus dem Ausland auch endlich in Deutschland gezeigt werden. Mit „Honk!“ haben Anthony Drewe und Georges Stiles, die in der Folge auch eigene Songs zum West End Musical „Mary Poppins“ beisteuerten, die bekannte Geschichte vom „Hässlichen Entlein“ für die Musicalbühne aufgearbeitet und zeichnen die bekannte Handlung mit schrägen Charakteren, eingängigen Kompositionen, viel Textwitz und natürlich dem obligatorischen moralischen Zeigefinger nach. Nicht ohne Grund erhielten sie 2000 für ihr Werk den begehrten Laurence Oliver Award als Bestes Musical.
Am 28. April feierte nun die Deutschlandpremiere dieses Stücks im Casino Hohensyburg ihren Einstand. Produzent Marcel Dries konnte für dieses Projekt zahlreiche erfahrene Musicaldarsteller gewinnen, Namen wie Bernie Blanks (Kater), Chris Brewer (Gnomy = hässliches Entlein) und Maaike Schuurmans (Moni u. a.) sprechen für sich. Weitere zehn Darsteller (Stefanie Connah als Entenmama Ida, Mariano Scroce als Papa Erwin, Alexandra Gehrmann, Felix Grüning Sonja Hebestadt und Stefanie Lämmerhirt als Geschwister des hässlichen Entleins sowie Michèle Connah, Tracy E. Lord, Sven Menningmann und Arno Maubachin in zahlreichen Ensemblerollen) haben sich vor allem in deutschen Stadttheatern verdient gemacht und ebenso wie die drei erstgenannten viel Energie in dieses ehrgeizige Projekt gesteckt.
Das Kreativteam um Marcel Dries verfügt über eigene Bühnenerfahrung als Darsteller, wechselte für „Mein lieber Schwan-HONK!“ aber nicht zum ersten Mal die Seiten. Heike Werntgen (Regie) und Inga Riebel (Choreographie) haben gemeinsam mit den Darstellern die deutsche Bühnenfassung erarbeitet. Das dabei der sichtbare rote Faden verloren ging, ist leider allgegenwärtig. Aber dazu später mehr.
Die sechsköpfige Liveband unter der Leitung von Christoph Böneker spielt die fröhlichen, eingängigen Melodien schwungvoll und ist sicherlich eines der Highlights der gesamten Inszenierung.
Dass als erste Spielstätte ein Casino ausgewählt wurde, ist sicherlich ungewöhnlich und stellt gerade an die Ausstattungsbereiche große Herausforderungen. Das Bühnenbild als solches kommt jedoch so funktional daher, dass man sich keinerlei Sorgen über einen Spielortwechsel machen brauchte. Bedauerlich ist eine derartige, zweifelsohne legitime, simple Anlage der Kulissen nur dann, wenn dem Zuschauer sich dadurch an Schulaufführungen erinnert fühlt. So praktikabel die Schilfbeete auf Rollen und das durch eine Treppe dominierte Gerüst, vor dem gespielt wird, sind, so wenig wird daraus gemacht. Man hätte aus den mobilen Elementen deutlich mehr unterschiedliche Blickwinkel und Szenenwechsel herbeiführen können als geschehen. So begnügen sich die Darsteller damit, die Rollwagen mit den Pompeseln und Schilfrohren (sichtbar aus einfachen, grün angemalten Plastikrohrer gefertigt) in ein oder zwei Szenen von links nach rechts zu schieben, wodurch sich das Bühnenbild nicht wirklich verändert.
Die verschiedenen Kostüme sind vom Ansatz her gut gedacht und unterstreichen durch ihre Unterschiedlichkeit die verschiedenen Vogelarten auf dem Hof, doch auch hier sind leider Elemente zum Einsatz gekommen, die eher Theater AG Niveau haben als ein professionelles Musicalproduktionslevel.
Kommen wir zu dem, was diese Aufführung dennoch sehenswert macht: Die 13 Darsteller auf der Bühne.
Unter den teilweise recht skurrilen Charakteren gibt es dennoch viele Sympathieträger – Ähnlichkeiten zur Menschenwelt sind durchaus gewünscht. Herausragend ist Chris Brewer, der die Entwicklung vom hässlichen Entlein namens Gnomy hin zum wunderschönen Schwan glaubhaft und liebenswert nachzeichnet. Er hat zwar die dankbarste Rolle von allen, aber auch daraus muss man erst einmal etwas machen… Auch Stefanie Connah als besorgte Entenmama Ida legt viel Herz in ihre Interpretation. Die Gesangsnummern der beiden sind eine wahre Freude und man lauscht ihnen gern.
Michèle Connah, bekannt aus zahlreichen Produktionen der Schmidt Theater in Hamburg, stellt erneut ihr ausgeprägtes Talent für schrullige Charaktere unter Beweis und hat somit die meisten Lacher des Abend sauf ihrer Seite. Auch Maaike Schuurmans zeigt, dass sie nicht nur brave, eindimensionale Rollen spielen kann, sondern spielt von der Entendiva bis hin zur Frau eine Gänsemajors alle Rollen glaubhaft und mit viel Leidenschaft.
Überhaupt ist es Leidenschaft, die das Ensemble auszeichnet. Alle 13 gehen in ihren Rollen auf, selbst wenn diese nur sehr schwach ausgearbeitet wurde, wie beispielsweise die Geschwisterküken oder das Schwanenpaar. Der einzige, dem die ungenügende Charakterbildung zu einem deutlichen Nachteil gereicht, ist Bernie Blanks. Sein Kater, der eigentlich der Bösewicht sein soll, kommt es blass über die Rampe. Zwar belegen Gestik und Mimik in Anlehnung an einen gerissenen Mafioso, dass er nichts Gutes mit dem Entlein im Schilde führt, doch etwas Bedrohliches oder gar Gefräßiges geht von ihm nun wahrlich nicht aus. Zudem hat man ihm sein finales Solo gestrichen, was der Rolle sehr geschadet hat.
Die Kompositionen von Stiles und Drewe ergeben kein zusammenhängendes Ganzes, aber jeder Song kann einzeln für sich bestehen. Das gilt jedoch nicht für die Regie. Recht einfallslos reihen sich die Szenen aneinander, die Handlung wird nicht durch die Regie getragen, sondern von dem charismatischen Titelhelden, der mit seinen lauten „Honk!“-Ausrufen immer wieder verdeutlicht, warum das Stück so heißt. Es ist einfach nur schade zu erleben, wie wenig sich Regisseurin und Choreographin für das Stück engagiert haben. Die Energie und Leidenschaft, die von den Darstellern ausgeht, hätte sich eindeutig übertragen müssen, um eine schwungvolle und abwechslungsreiche Inszenierung zu kreieren. So jedoch plätschern die meisten Szenen vor sich hin. Das mag auch an den holprigen Texten liegen, die ebenso simpel wie weit entfernt von jeglichen Wortwitz ebenfalls auch Schultheater-Niveau bleiben.
Die Botschaft von Hans Christian Andersens Märchen und dem Musical von Stiles und Drewe, dass anders sein okay ist und man sich nicht zu verstecken braucht, wird nur ganz beiläufig aufgelöst. Auch dieses Manko kann man ebenso wie die unausgeprägten Charaktere gut und gern der Regie zuschreiben. Dreht man an dieser Stellschraube lässt sich aus „Mein lieber Schwan-HONK!“ sicherlich viel mehr herausholen.
Bedauerlicherweise haben wir in Deutschland keine Off-Kultur, wie sie sich am Broadway und im West End etabliert hat. Nicht nur diese Tatsache, sondern auch die Wahl der Spielstätten mitten in Nordrhein-Westfalen anstatt in den Musicalhochburgen Deutschlands, sind ein Grund dafür, dass eine Vielzahl von Tourterminen bereits kurz nach Premiere abgesagt wurden. Dennoch muss dem Mut für ein solches Projekt Respekt gezollt werden. Die deutsche Musicalszene braucht diese Impulse.
Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical
Premiere: 28. April 2007
Darsteller: Bernie Blanks, Chris Brewer, Maaike Schuurmans
Buch / Musik: Anthony Drewe / Georges Stiles
Fotos: Casino Hohensyburg