Viel falsch machen kann man bei Howard Ashmans und Alan Menkens 1980er Jahre parodistischem Horrormusical nicht. Insofern hat man bei den Burgfestspielen Bad Vilbel mit seiner zweiten Produktion in diesem Jahr auf eine sichere Bank gesetzt. Nachdem „Evita“ zumindest bei den Kritikern nicht ganz so gut wegkam, können die Untertanen von Audrey II in vielen Bereichen punkten.
Die große Drehkulisse, der Blumenladen von Mr. Mushnik, bildet inmitten auf der ansonsten recht kleinen Bühne den Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung. Mr. Mushnik (Theodor Reichardt) sieht richtig schön fies aus und behandelt Seymour (Krisha Dalke) entsprechend von oben herab. Reichardt könnte aber durchaus noch etwas gemeiner sein.
Audrey (Julia Elena Heinrich) überragt die beiden Männer im Blumenladen um Kopfeslänge. Sie spielt die hübsche, aber sehr tumbe Blondine überzeugend und ihre bewusst völlig überzogene Mimik sorgt immer wieder für Lacher.
Dalke überzeugt in erster Linie gesanglich. Sein angenehm voller Tenor schmiegt sich ganz ausgezeichnet an die wenig herausfordernden Songs von Menken. Doch es gelingt ihm auch, die Wandlung vom schüchternen Ziehsohn zum selbstbewussten Blumenhändler glaubhaft nachzuzeichnen.
Audrey II, auch liebevoll Zwoey genannt, wächst in drei Etappen und ist schon in der zweiten Stufe von beachtlicher Größe. Sonja Herrmann steckt in bzw. hinter der Monsterpflanze und verleiht den blutrünstigen Gelüsten akustischen Ausdruck. Sie singt zwar nicht so soulig wie man es sonst von Audrey II kennt, aber sie überzeugt durch Stimmgewalt und nervtötende Penetranz. Ihr „Ich will es haben“ hat eine gute Energie und funktioniert sehr gut.
Raphael Koeb gibt den wunderbar exzentrischen, phasenweise komplett durchgeknallten Zahnarzt Orin. An Lachgas zu schnüffeln scheint ziemlich viele Gehirnzellen zu zerstören, denn wie sonst wäre es zu erklären, dass Orin seinen Patienten Seymor geradezu bespringt als dieser bei ihm auf dem Stuhl sitzt? Die Szenen mit Koeb sind immer für eine Überraschung gut und sorgen für jede Menge guter Laune.
„Mushnik und Sohn“ ist einer der Songs, die in jeder Hinsicht gefallen. Dalkes Mimik ist herausragend und Reichardts ausladende Gestik ergänzt das besondere Verhältnis der beiden Protagonisten perfekt. Auch gesanglich harmonieren die beiden sehr gut.
Das Duett von Audrey und Seymour zum Auftakt des zweiten Akts ist ebenfalls sehr schön. Auch die Stimmen von Dalke und Heinrich ergänzen sich hervorragend. Auch wenn die Szene ob des Größenunterschieds der beiden Darsteller unfreiwillig komisch wirkt, kommt man nach der Pause mit Schwung wieder zurück ins Stück.
Die Bühne, gestaltet von Oliver Kostecka, gibt dem Stück den richtigen Rahmen. Die nahezu Drehbühnenfüllende Audrey II ist beeindruckend und wird insbesondere in den Fressszenen von Mr. Mushnik und Orin in ein sehr gutes, mystisches Licht getaucht.
Über weite Strecken ist Christian H. Voss’ Regie treffsicher. Während er in der Szene in der Zahnarztpraxis dicht am Aushaltbaren entlangschrammt, sind die TV-Show und der Chef der Marketingfirma, der in Steppschuhen umherstolziert, die ihren Zweck aber nicht erfüllen, eindeutig zu viel. Man spürt, dass Voss sich sehr auf die Protagonisten fokussiert hat, was zu einem sehr guten Ergebnis geführt.
Ein sehr süßer Einfall ist auch, dass die drei die Handlung begleitenden Sängerinnen (Janice Rudelsberger, Stefanie Smailes, Anja Backus) kurz vor dem Ende des Musicals einige Ableger von Audrey II im Publikum verteilen und so die Zuschauer noch mehr in die Handlung einbinden.
Sehr schräg ist jedoch das Finale, bei dem die „Gefressenen“ in Lumpen und Fetzen wieder aus Audrey II herausklettern und dann in einer Tanzsequenz, die an eine Mischung aus „Rocky Horror Show“ und „Tanz der Vampire“ erinnert, (Choreographien: Martin Ruppel) vor dem Publikum performen.
„Der kleine Horroladen“ ist auch in Bad Vilbel kurzweilige Unterhaltung mit vielen sehr guten Ideen. Das Publikum verlässt gut gelaunt die Burgruine. Was kann man sich als Produzent, Kreativer und Darsteller Besseres wünschen?
Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin
Premiere: 8. Juli 2016
Darsteller: Krisha Dalke, Julia Elena Heinrich, Raphael Koeb, Theodor Reichardt, Janice Rudelsberger, Stefanie Smailes, Anja Backus
Musik / Regie: Alan Menken / Christian H. Voss
Fotos: Eugen Sommer