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Creators 2017 – die Vorrunden

Nach der Auftaktverleihung 2015 findet der „Creators“-Wettbewerb in diesem Jahr zum zweiten Mal statt. Aus rund 70 Bewerbungen hat die 13-köpfige Jury unter dem Vorsitz von Corny Littmann 10 vielversprechende Stücke ausgewählt, von denen an zwei Abenden im April und Mai jeweils 20-minütige Ausschnitte gezeigt wurden.

Jede einzelne Bewerbung zeigte einmal mehr, dass unter dem weitgefassten Dach „Musical“ Schubladendenken und 08/15-Melodien keinen Platz haben. Von Revue bis Krimi, Satire bis Science Fiction war alles dabei. Schon die Auswahl der Teilnehmer am Vorentscheid stellte die Jury vor Herausforderungen, da die Beiträge so unterschiedlich waren, dass man kaum einen gemeinsamen Maßstab finden konnte. Doch „Creators“ ist ein Autoren- und Komponistenwettbewerb, bei dem es eben genau darum geht, Neues zu finden. Adaptionen vorhandener Stoffe (Bücher, Filme) sind ausdrücklich nicht gestattet und so ließen sich Jury und Publikum am 3. April völlig vorurteilsfrei auf die Beiträge der ersten fünf Teilnehmer ein.

Den Auftakt machte „Bulli“ von Tobias Sasse, der als Gitarrist die siebenköpfige Liveband komplettierte. Wir lernen Tom und Paul kennen, die sich schon im Kindesalter anfreunden. Paul macht planmäßig Abitur und bekommt von seinem Vater einen Bulli geschenkt. Tom, dem das Lernen nicht so liegt, will damit sofort auf große Tour gehen. Gesagt, getan und schon sind die beiden unterwegs durch Deutschland. Als sie bei einer Bekannten von Paul in Bamberg übernachten, kommt es zur „zweitgrößten Katastrophe“ dieses Trips: Nach einem durch einen Streit ausgelösten Frustsaufen erbricht sich Tom ausgiebig in der Wohnung der abwesenden Freundin und beim Versuch, die beschmutzte Wäsche zu reinigen, gerät die Wohnung in Flammen. Die beiden flüchten Hals über Kopf gen Norden und lernen nach einem weiteren Zwischenfall, der sie auf St. Pauli ins Gefängnis bringt, die Glücksspielerin Toni kennen, mit der sie nach Sylt weiterreisen. Dort buhlen die beiden um die Gunst der so ungewöhnlichen Frau und beschließen, dass sie sie nur gemeinsam halten können. Als die Jungs nach der gemeinsamen, choreographisch sehr ansprechend dargestellten Nacht erwachen, ist Toni weg und mit ihr der Bulli. Wie es weitergeht, erfahren die Zuschauer an diesem Abend nicht.

Musikalisch besticht „Bulli“ durch Punk-Rock-Klänge, die auch mal sehr groovig werden, sowie sehr authentische Darsteller (Albrecht von Weech, Nick Naujoks, Sarah Dorsel). Die zeitgenössische, junge Sprache kommt beim Publikum gut an. Die von Tom aufgebrachte Frage nach dem Sinn des Lebens und ob Sicherheit das wichtigste Lebensziel sein kann, kommentiert der Erzähler mit der rhetorischen Frage: „Sind wir nicht alle ein bisschen Tom und Paul?“

„Mach Schau“ von Eric Emmanuele und Alfred Schüch erzählt eine ganz andere Geschichte: Tante Rosi ist Klofrau im Star Club der 1960er Jahre. Sie erlebt natürlich so einiges mit und lässt die Zuschauer nur zu gern daran teilhaben. Die Teenager von damals – Jungs wie Mädchen – erinnern stark an die Cliquen aus „Grease“. Auch Habitus und Sprache sind ähnlich oberflächlich. Mauerblümchen Uschi verliebt sich in den beliebten Ulf. Dann wird plötzlich noch Jack auf sie aufmerksam, der Star der „Beatboys“, die sehr stark an die „Beatles“ erinnern. Uschi weiß nicht ein noch aus und sucht Rat bei Tante Rosi.

So pomadig die Frisuren der „Beatboys“, so sanft plätschern die Balladen daher. Die Uptempo-Nummer sind den 1960er Jahren entsprechend vom Rock’n’Roll geprägt. Uli Große hat sich sehr treffend am Zeitgeist orientiert. Das Kiez-Umfeld und die Hamburger Schnauze von Tante Rosi und den Barmbeker Kids kommen im Schmidt Theater naturgemäß gut an.

Spannend wurde es mit dem nächsten Beitrag. In „Pendelton und die Theaterleichen“ steht der erfolglose Detektiv Pendelton im Mittelpunkt, der sich nach einem Zeitungsbericht freiwillig zur Aufklärung einer Mordserie im heimischen Theater meldet. Irgendwie erscheinen alle verdächtig. Pendelton selbst ist hin- und hergerissen zwischen seinem Ermittlungsehrgeiz, der Bewunderung für einen Schauspielhelden seiner Jugend und der Zuneigung zu der hübschen Kassiererin Magdalena.

Konstantin Georgiou und Chris Brewer haben sich eine witzige Geschichte ausgedacht, die blitzschnell zwischen den verschiedenen Spielebenen (Gedankenwelt von Pendelton sowie Realität) hin- und herspringt. Für diese Kurzpräsentation haben sie dem Schmidt-Publikum bestens bekannte Darsteller (u. a. Charlotte Heinke, Robin Brosch, Dörthe Thiel) gewinnen können und die Inszenierung stammt von Nik Breidenbach, der für den Wettbewerbsbetrag auch die Songs eingesungen hatte.

Der swingende, jazzige Grundtenor der Musik steckt das Publikum sofort an und man schnipst unweigerlich mit. Die pointierte Situationskomik sorgte zudem für viele Lacher und unterstrich den Unterhaltungswert dieser musikalischen Krimikomödie bestens. Um hier mitzubekommen, wer sich jetzt welchen Vergehens warum schuldig gemacht hat, muss auch das Publikum auf Zack sein!

„The Wicked Witch of the Web“ nahm die Zuschauer mit auf eine Reise in virtuelle Welten. Untermalt von Klavier und Cello sowie mithilfe eines amüsant mit der Handlung verflochtenen Erzählers müssen der Online-Aktivist Tumblus, der Zwerg Ligof Legends und die Beauty-Bloggerin L’Oréaley (genannt Lori) ihren komfortablen Baum verlassen, da die Wicked Witch of the Web dafür gesorgt hat, dass ihr neuer „Wünschelrouter“ nicht so funktioniert wie erwartet. Florian Miro hält der vielzitierten „Generation Y“ den Spiegel vor Augen und zeigt auf, dass es auch noch ein Leben außerhalb des Internets, abseits von Online-Spielen und Blogs gibt. Dies gelingt ihm nicht nur musikalisch sehr treffend (er macht unüberhörbare Anleihen bei Stephen Schwartzs Hexen-Musical „Wicked“), sondern vor allem durch eine große Portion Wortwitz und unzählige Anspielungen. Manuela Bäcker, Susanna Panzner, Stephan Möller, Fabio Niehaus und Dennis Marquez gelingt es, die skurrilen Charaktere anfassbar zu machen. Die Wicked Witch of the Web überzeugt durch jede Menge Dramapotential.

Den Abschluss machte am ersten Abend „Bitte nicht im Stehen kacken“. Mirko Klos hat in seine Flugbegleiter-Revue eigene Erfahrungen einfließen lassen. Insofern ist dieser plakative Titel durchaus ernst zu nehmen, denn das Publikum lernt schnell, dass solche Missgeschicke auf Langstreckenflüge in andere Kulturkreise durchaus nicht selten vorkommen. Er spielt mit den zahllosen Klischees über den Flugbegleiterberuf und überschreitet mehr als einmal Grenzen. Doch das Publikum teilt seinen Humor und schüttet sich aus vor Lachen. Die Songs sind eindrücklich, offenbaren aber Luft nach oben.

Dies bemerkte auch die Jury in ihrem Urteil. „Nicht im Stehen kacken“ ist einer von drei Teilnehmern, die es an diesem Abend ins Finale geschafft haben. Doch der Hinweis, dass es in der Jury und auch außerhalb Komponisten gibt, die Mirko Klos gerne bei der musikalischen Weiterbearbeitung seines Stücks unterstützen, war deutlich. Ähnlich klar fiel das Urteil zu „The Wicked Witch of the Web“ aus: Die Jury beschied Florian Miro eine überzeugende musikalische Ausarbeitung und eine schöne Idee. Doch wo genau die Reise hingeht und was aus den drei Protagonisten sowie der Wicked Witch wird, muss Miro bis zum Finale im Oktober genauer ausarbeiten.

Einzig „Pendelton und die Theaterleichen“ wurde ohne weitere Kritik direkt ins Finale durchgewinkt.

Am 1. Mai folgten den drei glücklichen Teilnehmern des ersten Vorentscheids noch zwei weitere Produktionen ins Finale: „Be A Star“ und „Back into the Closet“ konnten die Jury an diesem Abend überzeugen. Letzteres Stück erreichte sogar ein einstimmiges Votum, während „Be A Star“ nach einer Mehrheitsentscheidung weitergewählt wurde. Insgesamt blieb die Jury aber ihrer selbstgelegten Messlatte treu und entschied auch nach dem rein subjektiven Kriterium von welchem Stück man mehr sehen und hören wollte.

Doch der Reihe nach…

Zunächst bediente „Summer of Love“, ein weiterer Beitrag von Tobias Sasse, bekannte Klischees von Mädchen, die von der großen Bühne träumen, und vermischte diese später mit der LSD-schwangeren Gleichgültigkeit der Hippie-Bewegung. Anna möchte auf die Musicalbühne – und das gegen den Willen ihrer Eltern. Sie zieht nach Hamburg, verliebt sich in den Musiker Tom, verpatzt eine Audition nach der anderen und macht schließlich ausführliche Erfahrungen mit Drogen. Als Tom sie auf seine anstehende Deutschland-Tour mitnehmen möchte und ihren Berufswunsch Musicaldarsteller geringschätzt, platzt bei Anna der Knoten. Sie lässt Tom ziehen, strengt sich richtig an und kommt doch nicht an ihr Ziel. Der romantisch-verklärt beginnende Titelsong „Summer of Love“ endet in einem „Hair“-ähnlichen Happening. Plötzlich taucht ein geläuterter Tom auf und Anna fällt ihm in die Arme. Die Musik ist ganz ansprechend und mit einer charismatischen Nachwuchsdarstellerin kann man sich dieses Stück sehr gut vorstellen, doch so ganz überzeugt die Handlung das Publikum nicht.

Auch der folgende Beitrag, „Eine Nacht in der Stadt“, ist sehr speziell. Charlotte kommt aus dem Jahr 1880 in die Gegenwart, um ihren Bruder Richard davon abzuhalten, eine magische Uhr zu stehlen, mit der dieser die Zeit zurückdrehen könnte. Gemeinsam mit Tom, den sein 30. Geburtstag in eine leichte Krise stürzt, verfolgt sie Richard und es kommt zu einem Showdown auf einem nebelverschleierten Friedhof. Die Story ist kreativ, aber schwer zugänglich, auch wenn die Charaktere durchaus sympathisch sind und Freya von Massow, Volker Diefes sowie Marc Ennert diese gut über die Rampe bringen. Michael Mass, der dieses Stück geschrieben hat, kann vor allem mit seiner Kernkompetenz, der Musik, punkten. Die Zusammenstellung verschiedenster Stile (Pop, Rock, Swing) macht es den Zuschauern zwar ähnlich schwer einen Zugang zum Stück zu finden, wie die ungewöhnliche Handlung. Doch sein musikalisches Handwerkszeug beherrscht Mass unbestreitbar. Ein roter Faden – wahlweise musikalisch oder im Buch – würde hier sehr helfen, dieses Können besser wertzuschätzen.

Der dritte Teilnehmer an diesem Abend kam von Pamina Lenn, Benedikt Vogel und Hans Tilmann Rose, die als „Broadway Entertainment“ schon seit Jahren erfolgreich Musicals wie „Dracula“ oder „The Addams Family“ im hessischen Roßdorf auf die Bühne bringen. „Mahina“ ist die Geschichte des gleichnamigen Sternenmädchens, das auf die Erde kommt, um Schokolade und damit Glück zu finden. Sie lernt einen Schokoladenverkäufer kennen, den sie so lange bekniet, bis er ihr seine Geschichte erzählt. Auch diese Geschichte ist sonderbar, reist Mahina doch in die Jugend des Verkäufers zurück, verliebt sich dort in den jungen Mann und steht irgendwann vor der Frage: Was ist Glück wirklich? Man spürt, dass die drei Kreativen mit Herzblut dabei sind, sie beherrschen ihr Handwerk. Die gewählte Präsentationsform (Reading) und der auf Dialoge anstelle von Gesang gelegte Schwerpunkt machte es den Zuschauern schwer, die an sich sehr liebevolle Mahina besser kennenzulernen.

Der vorletzte Teilnehmer an diesem Abend war Karl Lindner mit seiner musikalischen Satire „Be A Star“. Er knöpft sich die allgegenwärtigen Casting-Shows vor und rechnet mit übermotivierten Müttern und Teenagern voller Selbstzweifeln ab. Dies alles mit spitzem Humor, den man aus Wiener Produktionen nur allzu gut kennt. Der Plan geht auf und das Publikum wird gut unterhalten. Regina Mallinger kommt an diesem Abend die Doppelrolle von sich anbiedernder Mutter und peinlich berührter Tochter zu. Ihr Gespür für Komik, ihre Bühnenpräsenz und ihre mal kraftvolle, mal zerbrechliche Interpretation von Lindners Songs überzeugen. Dass die Mutter letztlich ihre eigenen Träume auf ihre Tochter projiziert, ist wenig überraschend. Die Bandbreite von rockig-poppigen Melodien, die sich mit typisch voluminösen Musicalsongs abwechseln und mal auf Deutsch, mal auf Englisch gesungen werden, holt viele Zuschauer ab.

„Back into the Closet“ spielt auf erschreckend aktuelle Weise mit der „Umpolung“ von homosexuellen und transgender Menschen. Schaut man nach Amerika oder Tschetschenien fällt es schwer, die überzogenen Charaktere auf der Bühne mit der gebotenen Leichtigkeit anzunehmen. Es geht um David, der nach der unerwarteten Trennung von seinem Freund in die Fänge der christlichen Psychologenvereinigung „Salve Moribus“ (zu Deutsch: „Sei willkommen alter Brauch / Seid gegrüßt alte Gepflogenheiten“) gerät. Dort im beschaulichen bayerischen Geißbach sollen homosexuelle Männer an ein Leben an der Seite einer Frau gewöhnt werden, um sich wieder als Teil der Gesellschaft zu fühlen: „’Coming-Out’ und ‚Out of the Closet’ war gestern, gehen Sie zurück in den Schrank!“

Natürlich sind die Figuren herrlich schräg, die Handlung klischee-überladen und die Texte wunderbar spitz formuliert. Es ist ein spezielles Thema, das beileibe nicht nur ein spezielles Publikum interessiert bzw. interessieren sollte. Doch im Schmidt Theater hat dieses Stück von Peter AufderHaar und Matthias vom Schemm ein Heimspiel. Kein Wunder, dass auch die Jury das große Potential dieses Stücks erkannte.

Für das Finale am 16. Oktober bekommt jeder der Finalisten 10.000 Euro, um eine einstündige Fassung seines Werks zusammenzustellen. Die Tatsache, dass die Siegerproduktion 2015, „Zzaun!“ von Tilmann von Blomberg und Alexander Kuchinka, noch in diesem Jahr an der Staatsoperette Dresden uraufgeführt wird, ist den Finalisten sicherlich ein großer Ansporn. Denn das Ziel des „Creators-Wettbewerbs“, neue Musicals zu entdecken, wird nachweislich erreicht.

Die Finalisten im Überblick:

„Pendelton und die Theaterleichen“ (Chris Brewer, Konstantin Georgiou)
„Bitte nicht im Stehen kacken – The Faboulous Life of a Saftschubse“ (Mirko Klos)
„The Wicked Witch of the Web“ (Florian Miro)
„Back into the Closet“ (Peter Aufderhaar, Matthias vom Schemm)
„Be A Star“ (Karl Lindner)

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Schmidt Theater, Hamburg
Vorrunden 1 & 2: 3. April & 1. Mai 2017
Fotos: Oliver Fantitsch