home 2016 Charakterstarke Umsetzung von Delos W. Lovelace’s Roman

Charakterstarke Umsetzung von Delos W. Lovelace’s Roman

Das 50 Plätze fassende theo im Hildesheimer Theater für Niedersachsen ist ideal, um kleine neue Musicals auszuprobieren. Das Publikum ist nah dran am Geschehen und aufgrund der räumlichen Begrenzung werden Kulissen so sparsam eingesetzt, dass die Zuschauer nahezu zwangsläufig ihre Phantasie einsetzen müssen, um die Bühnenbilder in ihren Köpfen zu erschaffen.

Das ist auch bei Paul Graham Browns (Musik) und James Edward Lyons (Buch) „King Kong“ nicht anders. Bereits 2009 feierte das Stück seine Premiere in Berlin. Seither wurde es auf einigen Bühnen im deutschsprachigen Raum zur Aufführung gebracht. Auch das Theater für Niedersachsen sicherte sich den Stoff aus der kreativen Feder des eingespielten Teams Brown / Lyons.

04_king-kong_brehm-mu%cc%88ller-pangel_heidrichDer erste Akt beginnt mit dem erfolglosen Regisseur Carl Denham, der vergeblich versucht, einigen Produzenten sein neues Projekt schmackhaft zu machen: Er möchte ein Schiff chartern, um in der Südsee dem sagenumwobenen King Kong nachzujagen. Er stößt jedoch auf klare Ablehnung. Der Zufall will es, dass ihm die ebenso glücklose Schauspielerin Ann Darrow in die Arme läuft, die er schlussendlich davon überzeugen kann, ihm in dieses Abenteuer zu folgen. Das Schiff, das die beiden mit ihrer geheimnisvollen Ausrüstung gen Süden bringen soll, ist der Seelenverkäufer von Kapitän Jack Driscoll.

Die beiden Männer bilden widerwillig eine Zweckgemeinschaft, während Ann versucht, ihr Können den Wünschen ihres Regisseurs anzupassen. Driscoll versucht, Denham von seinem Vorhaben anzubringen und erliegt währenddessen langsam aber sicher Anns Charme. Als sie schließlich auf der Südseeinsel an Land gehen, ist er sehr um Anns Sicherheit besorgt. Er ist es, der sie schließlich aus den Armen King Kongs rettet, während Denham zu allen Mitteln greift, um seinen Film noch spannender zu machen.

King Kong wird gegen Anns und Driscolls Protest betäubt und von den Dreien nach New York verfrachtet, wo er als Broadway-Attraktion die Kassen klingeln lassen und Denhams Ruf aufpolieren soll. Ann ist gefangen zwischen ihrer Liebe zu Driscoll, ihrer Zuneigung zu dem vermeintlichen Monster und ihrem Wunsch nach Ruhm und Anerkennung als Schauspielerin.

Nach King Kongs Ausbruch gipfelt das Ganze in einer martialischen Jagd auf das Biest, dessen Ermordung auch Ann und Driscoll nicht verhindern können. Währen die beiden aber noch sich haben, verliert Denham einmal mehr alles.

03_king-kong_pangel-ann-darrow-mu%cc%88ller-carl-denham-brehm-jack-driscoll_heidrichDas Stück von Lyons und Brown stellt die Charaktere und deren Beziehung zueinander in den Mittelpunkt des Geschehens. Entsprechend ausgeprägt sind auch die Dialoge im Vergleich zu den gesungenen Passagen. Musikalisch begleitet werden die drei Akteure von Kathryn Bolitho am Piano.

Als erfolgshungriger, machtbesessener Regisseur Denham wurde Tim Müller gecastet. Sein „neuer Stern am Broadway-Himmel“ ist Sandra Pangl. Jürgen Brehm schippert die beiden als Kapitän Driscoll über den Atlantik. Der gigantische Kong wird in dieser Inszenierung durch einen Kunstfellvorhang angedeutet.

Alle drei haben ihre ganz starken Momente: Müller, wenn er im Duett mit Brehm seine Liebe zu Ann entdeckt. Auch als er dem anwesenden Publikum seinen neuesten Coup „King Kong“ präsentiert, kann er überzeugen.

Brehm zeigt viel Gefühl, deutet stimmlich an, dass noch wesentlich mehr in ihm steckt und kann insbesondere den Beschützerinstinkt gegenüber Ann gut umsetzen. Pangl übertrifft ihre beiden Kollegen aber bei weitem: Ihre Mimik in der ersten Drehszene auf dem Boot beeindruckt mit großer Ausdrucksstärke. Ihr energisch-verzweifeltes „Jetzt bin ich mal dran“ erreicht rotz schwierigen Texts die Zuschauer. Vor allem jedoch ihr Spiel mit dem Fellvorhang, in den sie sich mal einwickelt, mal festklammert, ist sehr gelungen. Wenn sie von Kong durchgekitzelt wird, vergisst das Publikum nahezu, dass sich hinter dem Vorhang niemand versteckt, der ihn bewegt. Pangl alias Ann sagt auch den bogenschließenden Satz „Eines Tages wird jeder zu mir aufschauen!“ Ganz stark ist Pangl als sie auf dem Empire State Building das Geschehene reflektiert („Hoch auf dem Gipfel der Welt“).

Inszeniert wurde das Musical von Björn Schäffer, der auch die Ausstattung federführend verantwortete. Er lässt seinen Kollegen, mit denen er im TfN parallel auch auf der großen Bühne stand und steht, viel Raum zur Interpretation, was dem Stück sehr zugute kommt. Ausstattungstechnisch begnügt er sich mit drei Quadern und einigen Kisten. Wie er selbst im Interview im Programmheft sagt, lässt er den Zuschauern damit viele Möglichkeiten, das Bühnenbild individuell zu vervollständigen. Jedoch wirkt die Wahl dieser Kulissen an einigen Stellen unfreiwillig komisch: Der Balanceakt von Driscoll und Ann über die Schlucht, symbolisiert durch ein auf dem Boden liegendes Seil, sorgt doch für einige Lacher. Dafür gelingt der schnelle Wechsel von Kongs dramatischer Festsetzung hin zum Broadway-Theater ausgesprochen gut.05_king-kong_pangel-ann-darrow_heidrich

Auch wenn am Ende die akustische Untermalung von Kongs Sturz deutlich zu kurz ausfällt und der rituelle Tanz der Eingeborenen zu Beginn des zweiten Akts eher merkwürdig – obwohl tänzerisch durchaus ansprechend – wirkt, ergibt sich am Schluss ein rundes Bild.

Brown hat dramatische, an den leicht eindimensionalen Klang von 30er Jahre Stummfilmen erinnernde Popsongs komponiert. Die gewählten Reprisen (bspw. „Jetzt bin ich / sind wir mal dran“) funktionieren. Manches Mal hört man arge Disharmonien, die aber auch durch die anspruchsvollen Texte zu erklären sind.

„King Kong“ kann man sich definitiv in einer größeren Inszenierung mit einer breiteren Orchestrierung vorstellen. Mehr Darsteller braucht es nicht. Wichtig ist jedoch, dass die drei Protagonisten nicht nur gesanglich gut, sondern auch schauspielerisch exzellent sind. Denn „King Kong“ ist ein Musical der Charaktere, die allesamt sehr stark ausgeprägt sind. Diese Besonderheit will und muss bedient werden. In Hildesheim gelingt dies nicht in Gänze, aber es gibt zahlreiche Szenen, in denen großes Potential aufblitzt.

Michaela Flint
gekürzt erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: TfN – Theter für Niedersachsen, Hildesheim
Besuchte Vorstellung: 19. Juni 2016
Darsteller:  Jürgen Brehm, Sandra Pangl, Tim Müller
Musik / Regie:  Paul Graham Brown / Björn Schäffer
Fotos:  Clemens Heidrich
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