home 2016 Ansprechende, kreative Inszenierung mit einer Schwachstelle

Ansprechende, kreative Inszenierung mit einer Schwachstelle

Andrew Lloyd Webbers musikalischer Beitrag zum Irland-Konflikt wird (nicht nur hierzulande) sehr selten gespielt. Umso schöner ist es, dass sich das Theater Koblenz gemeinsam mit dem Koblenzer Jugendtheater dieses dramatischen Stoffs angenommen hat. Schon bei „Jesus Christ Superstar“ hat Intendant Markus Dietze zusammen mit Dramaturgin Juliane Wulfgramm ein Händchen für stimmige Regiearbeit bewiesen (siehe Ausgabe xy).

Auch die Inszenierung von „The Beautiful Game“ gelingt den beiden gut. Ein Erzähler führt mit seiner eigenen Geschichte in die Handlung ein und ordnet im Laufe des Abends das Geschehen immer wieder historischen Gegebenheiten zu. Die Geschichte wie aus den Mitgliedern einer lokalen Fußballmannschaft erbitterte Feinde und aus einem Teenager-Pärchen ein sich durch die Umstände entfremdetes Ehepaar wird, ist packend.

Der Irland-Konflikt und die Attentate der IRA sind keine 40 Jahre her und es gibt leider auch heute noch zahlreiche Orte und Länder, in denen die Bevölkerung aus religiös und politisch motivierten Gründen ähnlich zerrüttet ist. Damit das eher junge Publikum dies alles verstehen kann, gibt es im Programmheft ein umfangreiches Glossar und zwei Berichte von Zeitzeugen. Eine Songliste und ein Abriss der Handlung fehlen hingegen.

Alles beginnt mit einer motivierten Fußballtruppe, die – trainiert von dem katholischen Father O’Donnell – eigentlich ganz normal wirkt. Wären da nicht die Nicklichkeiten von einigen katholischen Jungen gegenüber ihren protestantischen Mitspielern. Im Verlauf intensiviert sich der offenbar von den Katholiken ausgehende Zwist und während die Jugendlichen einem Marsch von Protestanten und Soldaten durch ihr Belfast zusehen müssen, eskaliert es auch innerhalb der Gruppe: Thomas schlägt sich – getrieben von Rachsucht – auf die Seite der IRA, bringt im Affekt den ehemaligen Fußballkumpel Ginger um, John verhilft ihm zur Flucht und wird dafür von der Polizei ins Gefängnis gesteckt. Johns Frau Mary, die schon immer pazifistisch war und versucht hat, ihren Freund und späteren Gatten von den Protesten und Krawallen fernzuhalten, muss nach der Geburt ihres Sohns und Johns Entlassung aus dem Gefängnis feststellen, dass ihr Mann im Knast von der IRA rekrutiert wurde und es ihm wichtiger scheint, deren Aufträge auszuführen als zu seiner Familie zurückzukehren.

Das Stück wurde von Dietze auf vier Spielebenen umgesetzt: Im Vordergrund der Bühne stehen zwei Bänke, die mal in einer Umkleide, mal auf der Straße, vor einer Mauer oder im Gefängnis stehen. Im hinteren Bereich der Bühne finden die Fußballspiele und der Protestmarsch statt. Auch die Band ist auf der Hinterbühne platziert.

Darüber, auf einer Art Brücke versammeln sich mal die Fußballfans, mal ist dort der Chor auf einer Beerdigung platziert oder es findet sich dort der Eingang zu Marys Wohnung. Die vierte Ebene, das Hotelzimmer, in dem Mary und John ihre Hochzeitsnacht verbringen, wird zu Beginn des zweiten Akts aus dem Bühnenboden heraufgefahren. Christian Binz hat hier – genauso wie bei den sehr authentischen 1970er Jahre Kostümen – gute Arbeit geleistet.

Umrahmt wird das junge Ensemble nicht nur von der Statisterie und dem Opernchor, sondern auch von sehr treffenden Videoprojektionen, die das Belfast der späten 1960er und früher 1970er Jahre zeigen. Beklemmend, Kinder im Schatten von Stacheldraht-Barrikaden spielen zu sehen, während um die Ecke schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren. Auch der Marsch der Protestanten in Belfast verfehlt in Kombination mit den Videos der brennenden Häuser seine Wirkung nicht.

Reinhard Riecke verleiht Father O’Donnell eine glaubhafte, strenge Ausstrahlung. Seine akzentuierte Ausdrucksweise unterstreicht sein Auftreten als Respektsperson sehr treffend.

Lena Fuhrmann spielt Mary sehr gut. Auch der Wandel von der friedlich protestierenden Schülerin zur verbitterten Ehefrau gelingt ihr gut. Leider ist sie der Rolle gesanglich nicht gewachsen. Schnelle Songs mit viel Text führen fast immer dazu, dass sie schreit anstatt zu singen. Aber auch Balladen wie „God’s Old Country“ sind für sie im wahrsten Sinne eine Nummer zu hoch.

Hingegen kann Paul Mannebach als John durchaus überzeugen. Sein Schauspiel ist treffend und auch gesanglich kann der Nachwuchsdarsteller mit Andrew Lloyd Webbers Kompositionen mithalten. Sehr gut gelingt ihm das Solo im Gefängnis.

Dafür, dass die Texte manchmal etwas holprig oder flach sind (bspw. „Mag Dich nicht“, Song nach dem Sieg („Saufen“)) können die Sänger ja nichts. Die gezeigte deutsche Fassung stammt von Anja Hauptmann. Sie funktioniert über weite Strecken ganz gut, doch an einigen Stellen zuckt man unweigerlich zusammen, wenn sich Liedtexte nicht reimen oder soviel Botschaft in die Songs gequetscht wird, dass sie schon fast unsingbar sind.

Dass die Mitglieder des Koblenzer Jugendtheaters alle unterschiedliche Stärken und Schwächen haben, sieht das Publikum auch in den Tanzszenen. Catharina Lühr hat schöne Ideen entwickelt (bspw. „Bock auf Spaß“), doch ihr Ensemble scheint damit großteils doch etwas überfordert.

Eine sehr gelungene Szene ist die Beerdigung von Ginger. Dem Chor gelingt es, Gänsehausschauer auszulösen, und zum ersten Mal wird die kompositorische Opulenz dieses Musicals deutlich. Dazu trägt natürlich auf die Botschaft „Weil Liebe siegt und Frieden wird“ nicht unerheblich bei.

Die Hochzeitsnacht von John und Mary sorgt für viel Schmunzeln im Saal. Die Gedanken, die man sich vor dem ersten Mal macht, die Bedeutung, die man diesem „Ereignis“ beimisst, das mangelnde Talent, mit dem man den Akt selbst dann angeht – dies alles wird von Mannebach und Fuhrmann mit einem gewissen Hang zur Komik sehr gut nachgezeichnet.

Das anschließende Duett von John und Thomas (Ian McMillan) hat gesanglich nicht die Intensität, die es musikalisch hat, doch die Zuschauer spüren, dass hier gerade etwas in die ganz falsche Richtung zu laufen droht.

Der zweite Akt ist deutlich schauspiellastiger als der erste. Es fällt schwer, hier noch von Musical zu sprechen. Doch die jungen Künstlern meistern den dramatischen Stoff gut, insbesondere die Monologe von David Prosenc sind hier zu erwähnen. Es mag sein, dass dieser Schwerpunkt auch die Ursache dafür ist, dass Marys Solo, nachdem Thomas bei ihr aufgetaucht ist, gänzlich emotionslos ist. Da sie aber eigentlich mit ihrem Schicksal hadert, ist diese Härte hier unangebracht und auch nicht nachvollziehbar.

Das finale Aufeinandertreffen von John und Thomas unterstreicht ebenfalls ihre schauspielerische Stärke: Thomas’ Aggressivität und Überheblichkeit ob seines Deals mit der Polizei, der John ins Gefängnis gebracht hat, sind beklemmend und Johns Gewissensbisse sind greifbar. Soll er seinen Rachegelüsten nachgeben und damit seine Familie endgültig verlieren?

Nach der ersten mäßig erfolgreichen Spielzeit in London hatte Andrew Lloyd Webber das Stück überarbeitet und im Sommer 2014 dort erneut zur Aufführung gebracht. Es fällt insbesondere auf, dass der Showstopper „Our kind of love“ fehlt, den er mit anderem Text zur Titelmelodie von „Love Never Dies“ gemacht hat. Insgesamt ist das Stück deutlich düsterer geworden und der Terror der IRA, der sich in jeden Lebensbereich erstreckte, bekommt mehr Gewicht.

Wenn es stimmt, dass die Menschen heutzutage ins Theater gehen, um dem Alltag zu entfliehen und schöne Dinge zu sehen, am besten noch mit einer positiven Botschaft am Ende, dann ist „The Beautiful Game“ sicherlich nicht die beste Wahl. Und doch kann das Stück mit seinen schönen, irisch inspirierten Ensemblenummern in der Koblenzer Fassung einen positiven Eindruck hinterlassen. Trotzdem kommt man nicht umhin den Kreativen im Koblenzer Jugendtheater nahezulegen, den Bereich Gesang noch stärken auszubauen, denn hier gibt es ganz eindeutig die größten Schwachstellen.

Michaela Flint
gekürzt erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Theater Koblenz
Premiere: 3. November 2016
Darsteller: David Prosenc, Paul Mannebach, Lena Fuhrmann, Ian McMillan, Dustin Leonhard Grieß, Reinhard Riecke, Max Aschenbrenner, Nora Beisel, Gianluca Cantara, Isabel Mascarenhas
Musik / Regie:  Andrew Lloyd Webber / Markus Dietze & Juliane Wulfgramm
Fotos: Matthias Baus