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Ethan Freeman über Gegenwart und Zukunft

Von November bis Ende Dezember 2004 stand Ethan Freeman als Che für fünfeinhalb Wochen auf der Bühne des von ihm lieb gewonnenen Bremer Musicaltheaters am Richtweg. Die Produzenten dieser sehr kurzen „Evita“-Inszenierung mit namhafter Besetzung (Anna Maria Kaufmann in der Titelrolle), Meineke Event, wagten sich in komplettes Neuland, da sie zuvor noch kein Musical auf die Bühne gebracht hatten. „Man hatte gedacht, dass aufgrund der fehlenden Erfahrung Probleme geben könnte. Aber ich hatte viele intensive Gespräche mit den Produzenten, wie es nicht laufen sollte. Es ist immer leichter, Dinge zu kritisieren, aber ich denke, so haben wir alle viel dazu gelernt.“ erläutert Ethan Freeman, einer von Deutschland bekanntesten Musical-Darstellern.

Der für eine Ensuite-Produktion ungewöhnlich kurzen Spielzeit ging eine ebenso kurze Probenzeit von nur vier Wochen voraus. Einen großen Vorteil der Bremer Inszenierung sieht Freeman, in der Erfahrung, die er, Anna Maria Kaufmann, der Regisseur Christian von Götz sowie der Choreograph Stefan Brauer mitbrachten: „Wir alle haben schon für „Evita“ gearbeitet. Anna Maria und ich haben unsere Rollen schon früher gespielt. Mit diesem Wissen konnten wir gemeinsam tatkräftig an die Proben herangehen. Jeder wusste, es ist nur wenig Zeit und so mussten wir straff arbeiten. Sicherlich hätte man mit mehr Probentagen noch saubere Resultate hinbekommen können, doch heutzutage ist es Luxus, bei einer so kurzen Spielzeit, längere Proben zu ermöglichen. Ein solch enormes Budget stand uns hier nicht zur Verfügung.“

Nach 11 Jahren hat Ethan Freeman die Rolle des Che oberflächlich betrachtet nur aufgefrischt und viel über den jungen Revolutionär gelesen, um sich dem Charakter noch mehr zu nähern. „Der Part ist sehr gut konstruiert und geschrieben.

Che ist eine komplexe Rolle, aber es macht sehr viel Spaß ihn zu spielen. Christian von Götz hat mir genügend Raum gegeben, den Che so anzulegen, wie ich mir das vorstellte.

Die Herausforderung bestand für mich vor allem im Gesang. In meinen letzten Engagements als Dracula oder auch Leopold Mozart habe ich eher in tieferen Stimmlagen gesungen. An Che musste ich mit Vorsicht herangehen, da er doch um einiges höher ist. Doch auch dank der hervorragenden Tontechnik hier im Theater hat dies alles super geklappt.“

Das Bremer Publikum hat seinen Dr. Jekyll/Mr. Hyde nicht vergessen. „Evita“ spielte jeden Abend vor nahezu ausverkauftem Haus. Ethan Freeman sieht darin die Bestätigung, dass das, was für „Jekyll & Hyde“ künstlerisch und kulturell geleistet wurde, nicht umsonst war, sondern einen tiefen Eindruck hinterlassen hat: „Ich fühle mich vom Bremer Publikum immer wieder sehr willkommen. Mir schlug jeden Abend eine unglaubliche Sympathie entgegen. Che ist eine Rolle, die viel Sympathie gewonnen kann und soll und das kommt mir hier in Bremen doppelt entgegen.“

 Die Hauptrolle in „Jekyll & Hyde“ ist eine Figur, die in Deutschland unauslöschlich mit Ethan Freeman verbunden ist. Auch Freeman stimmt zu, dass diese Rolle vom gesanglichen und schauspielerischen Anspruch für einen Musicaldarsteller wohl unübertrefflich sei, „doch es gibt viele interessante Persönlichen, wie beispielsweise Dracula, die auf mich und das Publikum gleichermaßen eine unglaubliche Faszination ausüben. Jekyll war schon eine großartige Rolle und ob es für mich noch eine Traumrolle gibt, ist schwer zu sagen. Das Phantom der Oper habe ich auch viele Jahre gespielt und nach acht Jahren Pause könnte ich mir auch vorstellen, das mal wieder zu machen. Aber irgendwie geistert in meinem Kopf dann „Sweeney Todd“ herum oder „Der Mann von La Mancha“, wo ich gern mal mitspielen würde. Ansonsten hoffe ich auf viele neue Musicals und Figuren, die ich gern spielen würde.“

Gerade „Der Mann von La Mancha“ gehört in Deutschland zum Repertoire mutigerer Stadttheater-Intendanten. Auf einer großen Bühne war dieses Stück bisher nicht zu sehen: „Das Stück ist sehr schwer gut zu inszenieren. Es hat Brüche und wenn man als Regisseur nicht aufpasst, kann das leicht ins Kitschige abdriften.“ Darüber hinaus gibt es auch im Ausland einige Stücke, die Freeman reizen: „“Hairspray“ oder „The Producers“ sind fantastische Stücke, die ich jedoch nicht im deutschsprachigen Raum sehe. Gespannt bin ich auch, wie „Wicked“ seinen Weg über den Atlantik finden wird. Selbst zwischen Broadway und West End bestehen – auch ohne Sprachbarrieren – große Unterschiede in der Akzeptanz neuer Musicals. Ich bin sehr für neues, intelligentes Unterhaltungstheater. So etwas funktioniert dann auch in Deutschland einwandfrei. „Mamma Mia!“ passt zum Beispiel wunderbar in diese Definition. Allerdings wäre es katastrophal, wenn Komponisten oder Autoren aufgrund des momentanen Erfolgs von Popmusicals aufhören würden, eigene Ideen umzusetzen.“

Mit den zurzeit so beliebten Popmusical à la „We Will Rock You“ und „Mamma Mia!“ spricht Freeman eines der ganz spannenden Themen an: Quo vadis Musical? Sind es wirklich die tendenziell eher schlichten Popmusical mit Ohrwurmgarantie oder vielleicht nicht doch die dramatischeren Stücke mit Tiefgang, die die deutsche Musicalszene braucht? „Alle Sparten haben ihre Daseinsberechtigung, solange sie gesund bleiben. Es soll eine Stage Holding geben, die rein kommerzielle Musicals auf die Bühne bringt, aber es soll auch Stadttheater und Produzenten wie Meineke Event geben. Was wir brauchen sind experimentierfreudige Produzenten, die bereit sind, ein Risiko einzugehen und klug genug, es klein und fein zu umzusetzen. Es ist genug Platz für alle da! Natürlich gibt es schon risikofreudigere Produzenten; sie sollten ihren Horizont etwas weiter stecken als nur bis „West Side Story“, „Anatevka“ oder „Evita“ Es gibt viele kleine Theater, die sich gut für neue Produktionen eignen.

Die großen Theater brauchen natürlich gewichtige Shows uns namhafte Darsteller, um das Haus wirklich zu füllen. Aber da sehe ich uns als bekannte Darsteller auch in der Pflicht. Wir sollten gern die Zugpferde für riskantere Stücke sein. Ich weiß zum Beispiel von Uwe Kröger, dass er „The Wild Party“ unheimlich gern gemacht hat. Und ähnlich ist es bei mir auch. Ich arbeite gern unter Bedingungen wie bei „Evita“, wo ein noch unbekanntes Produzententeam ohne jegliche staatliche Subventionierung eine Musicalinszenierung auf die Beine stellt, die Erfolg hat.“

 Ethan Freeman ist einer der wenigen Darsteller, der auch die amerikanische und englische Musicalszene aus eigener Erfahrung kennt: „Die Theatermenschen in den Kulturen, die ich kenne, sind alle ähnlich. Der einzige Unterschied, der sich auch auf die konkrete Bühnenarbeit auswirkt ist, dass es in den USA und London nach wie vor mehr Konkurrenz gibt, was die Kollegen zu Höchstleistungen anspornt. Auch hier in Deutschland gibt in inzwischen reichlich guten Nachwuchs. Allerdings führt dieser Druck auch zu Situationen, in denen 27-Jährige schon ihre erste Midlifecrisis bekommen, weil sie denken, sie seien zu „alt“. Für die jungen Musicaldarsteller ist es heutzutage besonders hart: Sie brauchen nicht nur jede Menge Talent, sondern auch sehr viel Glück, wenn sie im Musicalbereich Karriere machen wollen. Da ist es für uns ‚alte Hasen’ dann doch gut, in die nächste Generation zu rustschen. Hier gibt es gute Rollen, die ein 25-Jähriger einfach noch nicht spielen kann.“

Die kurze Spielzeit von „Evita“ war keine Eintagsfliege. Bereits in diesem Herbst, genauer von 6.-23. Oktober wird es eine Wiederaufnahme in Bremen geben. Bedauert Ethan Freeman, dass das Stück nur so kurz gelaufen ist! „Jein! Ja, weil Che eine fantastische Rolle ist, die mit viel Spaß gemacht hat und mir auch vom gesanglichen Aspekt her sehr entgegen kommt. Ja auch, weil wir jeden Abend vor ausverkauftem Haus gespielt haben, was ich in letzter Zeit, auch hier in Bremen, selten erlebt habe. Außerdem kommt die Show nach 40 Vorstellungen gerade in die ‚besten Jahre’ und es ist schade, jetzt aufzuhören. Nein, weil das Haus nur deshalb so voll war, gerade weil es nur diese fünfeinhalb Wochen gab. Produktionen wie „König der Löwen“ oder „Mamma Mia!“ haben enorme Etats für alles, also auch für Werbung. Das gab es für „Evita“ nicht: Wir hatten mit verhältnismäßig wenig Mitteln einen großen Erfolg erzielt. Und mir ist es lieber kurz, hart und gut zu spielen als einen langsames Auslaufen eines Stücks miterleben zu müssen.“

Nachdem Ethan Freeman schon bei „Musical On Ice“ mit von der Partie war, gehört er auch bei der beliebten „Sommernacht in Dinslaken“ zu den Darstellern auf der Bühne. Parallel bereitet er sich auf „Bonifatius“ vor, wo er im Juni und Juli die Hauptrolle übernimmt. Ob er im Herbst wieder als Che bei „Evita“ zu sehen sein wird? „Dazu kann ich noch nichts sagen. Es gibt viele Projekte und Pläne, aber Papier ist geduldig und solange nichts unterschrieben ist, möchte ich davon wirklich noch nichts an die Öffentlichkeit geben.“ Das verstehen wir. blickpunkt musical ist gespannt, welche künstlerischen Neuigkeiten aus dem Hause Freeman uns im Jahr 2005 noch erwarten werden.

Mehr Informationen unter www.ethanfreeman.de

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical