home Interviews mit Kreativen Ralf Schaedler: Wenn man selbst schlecht ist, mögen die Zuschauer die ganze Show nicht

Ralf Schaedler: Wenn man selbst schlecht ist, mögen die Zuschauer die ganze Show nicht

Der ehemalige Hauptdarsteller aus Tanzmusicals wie „Miami Nights“ und „Saturday Night Fever“ hatte sich bereits vor einiger Zeit von Ensuite-Produktionen verabschiedet, um sich kleineren Projekten wie den Festspielen in Tecklenburg oder der von ihm ins Leben gerufenen Produktion von „Grease in Concert“ zu widmen. „Wenn ich noch mal bei einer Long-Run-Produktion mitwirke, muss das schon etwas sein, was mich persönlich sehr reizt.“ sagte sich der Neu-Hamburger im letzten Sommer. So ziemlich jeder kennt den Kultfilm von 1987 und wenn „Dirty Dancing“ vermusicalt würde, wollte Ralf Schaedler gern dabei sein: „Wir kannten zwar alle die Show in Australien nicht, aber es hörte sich auf jeden Fall erst einmal so an, als ob es in dem Stück sehr viel zu tanzen, singen und schauspielern gäbe.“

Doch der Musicaldarsteller und Tänzer hörte nicht erst beim offiziellen Audition-Aufruf von „Dirty Dancing“ in Deutschland, sondern nahm bereits im Sommer bei einem Workshop der Stage Entertainment teil, auf dem dem Kreativ-Team und den australischen Produzenten die Top Ten der Darsteller präsentiert wurden, die sich aus Sicht des deutschen Musicalkonzerns für eine männliche Hauptrolle empfahlen.

Wer sich wie blickpunkt musical darüber wundert, warum Ralf Schaedler dann als Billy, ein Charakter, der im Stück weder singt noch tanzt, zu sehen ist, dem sei gesagt, dass dies ganz so nicht geplant war: „Bei den Workshops ging es natürlich in erster Linie um Johnny. Von der künstlerischen Kompetenz, also dem Tanzen, Singen und Schauspielen, hätte ich durchaus für diese Rolle besetzt werden können. Aber vom Typ passte das in meinen Augen nicht ganz. Da ist Martin van Bentem schon die perfekte Besetzung. Also habe ich von vornherein gesagt, dass ich mich für Billy bewerbe. Dass die beiden Hauptdarsteller nicht singen würden, war bekannt, doch Billy sollte im ursprünglichen Konzept auch der Band-Sänger sein und Songs wie „Do you love me“ singen. Genau das hat die Rolle für mich spannender gemacht als den Johnny.“

In reinen Tanzrollen wie Tony Manero o. ä. hat Ralf Schaedler schon überzeugt. Doch mit dem Wassermelonen tragenden Billy scheint er sich eindeutig unter Wert zu verkaufen. „Das sehe ich ähnlich. Doch wie gesagt – es war ja am Anfang alles anders geplant. Während die Show für Hamburg von der Autorin konzipiert wurde, hat sich noch vieles geändert.“ Eleanor Bergstein, die bereits den Film schrieb und mitproduzierte, arbeitet sehr filmisch. Von daher hat Ralf Schaedler durchaus Verständnis für die vorgenommenen Änderungen. „Wenn es nicht passt, dass Billy nicht nur als ‚Mädchen für Alles’ arbeitet, sondern auch tanzt und singt, macht das aus künstlerischer Sicht durchaus Sinn.“ Es ist nur schade, dass gerade diese Rolle den Änderungen so massiv zum Opfer gefallen ist und so verwundert es wenig, dass es für den Darsteller Ralf Schaedler recht frustrierend ist, dass er „nur noch“ Wassermelonen tragen und kein Wort singen darf.

Knapp acht Wochen vor der Premiere fiel der Startschuss für die Proben. Der 23. Januar hielt für das Ensemble einige Überraschungen bereit: „Zum ersten Mal bekamen wir das Buch in die Hände. Bis dahin wussten wir nicht viel über die Show. Einige hat es dabei kalt erwischt. Die so genannten weiteren Hauptrollen, zu denen ja auch Billy zählt, sind meines Erachtens sehr hochkarätig besetzt. Doch leider wird das Können von mir und meinen Kollegen nicht wirklich abgefordert. Es gibt tolle Sänger hier, die nicht singen und großartige Tänzer, die nicht tanzen dürfen. Wenn am Anfang klar gewesen wäre, wie die Rollen nachher in der Show aussehen, hätte nicht nur ich mich anders entschieden.“ Hintergrund ist ganz klar, dass für Eleanor Bergstein die Charaktere und das Schauspiel im Mittelpunkt standen. „Nur leider hat sie keine Schauspieler, sondern Musicaldarsteller gecastet.“ Dieses Problem hat seine Ursache darin, dass „Dirty Dancing“ von der Stage Entertainment produziert wird. „Wenn die Stage Entertainment Rollen für eine neue Show ausschreibt, bewerben sich nun einmal in erster Linie Musicaldarsteller und nicht Schauspieler.“ Dieses Thema führt unweigerlich zu der Frage, was „Dirty Dancing“ eigentlich ist: ein Musical, eine Tanz-Show, ein Theaterstück? „Das Konzept von „Dirty Dancing“ hat es so in Deutschland noch nicht gegeben, es war alles ganz neu.“ Nur eines war sehr schnell klar: „Dirty Dancing“ ist weder ein Musical noch eine Tanz-Show. „Was es genau ist, weiß ich auch nicht. Wir haben die richtige Schublade für unsere Show noch nicht gefunden. Aber vielleicht gibt es die auch gar nicht.“

Üblicherweise können Musicaldarsteller in Deutschland ihren Bühnen-Charakteren ihren persönlichen Stempel aufdrücken. Das ist bei „Dirty Dancing“ nicht so. „Wir hatten nur sehr eingeschränkt die Möglichkeit, uns kreativ in die Gestaltung der Rollen mit einzubringen, da Eleanor Bergstein eine sehr genaue Vorstellung hat, wie jeder Charakter dargestellt werden soll.“ Die Zusammenarbeit mit der Autorin barg also durchaus auch Konfliktpotential? „Sie konnte uns Darstellern sehr gut vermitteln, was sie von uns möchte. Das erleichterte die Arbeit ungemein.“ Ein weiterer Grund hierfür ist das Buch, das sehr filmisch angelegt ist. Während bei einem normalen Musical eine Szene durchaus 3-4 Minuten dauern kann, sind die Szenen bei „Dirty Dancing“ sehr viel kürzer, teilweise nicht länger als 20 Sekunden. „Dadurch wird die ganze Show sehr technisch. Wer sich in dem Genre auskennt, weiß, dass es nicht schwierig ist, eine Szene an sich zu proben, sondern wie man von einer Szene in die nächste kommt. Wenn man also im Durchschnitt 50 Szenenwechsel hat, muss man sehen, wie man die elegant löst. Bei „Dirty Dancing“ haben wir bestimmt das Zehnfache an Szenenwechseln.“ Das bedeutete für alle Beteiligten, dass man sich zunächst – genau genommen die gesamte Probenzeit – nur damit befasste, wie man den Ablauf der Show flüssig auf die Bühne bekommt. Im Gegensatz zu anderen Shows konnte „Dirty Dancing“ auch nicht vorab von den Bühnentechnikern in einem so genannten ‚dry tech’ gefahren werden. Das ganze Konzept wurde nach und nach mit dem Ensemble gemeinsam erarbeitet. „Wer kommt wann von wo, wie schnell muss sich die Drehbühne bewegen, wo kommt welche Kulisse hinzu usw. Das heißt, die Gestaltung der Rollen lief erst einmal einfach nebenher. Zum Glück sind hier sehr viele erfahrene Darsteller dabei, die damit – obwohl es für uns alle neu war – umzugehen wussten und sich ihren Charakter selbständig erarbeiten konnten.“

Bereits vier Wochen nach dem Probenstart konnte das Ensemble schon auf der Hauptbühne der Neuen Flora proben. Für die Musicalwelt sind vier Wochen Proben auf der richtigen Bühne eine lange Zeit, unter den gegebenen Umständen und mit den speziellen Anforderungen von Eleanor Bergstein und ihrer Show „Dirty Dancing“ waren vier Wochen deutlich zu kurz. „Anfangs haben wir pro Tag nur 3-4 Minuten Show geschafft, weil viel Zeit auf die Gewerke, die Drehbühne, die Versenkungen, die LED usw. verwendet wurde. Die Übergänge mussten sehr oft wiederholt werden bis alles gestimmt hat und da sind wir nur sehr langsam vorwärts gekommen.“ Erst am letzten Tag vor der ersten Preview hatte das Team alle Szenen einmal komplett fertig gestellt. Wenn man Previews als öffentliche Proben ansieht, ist es kein Problem, dass während dieser Zeit noch viele Übergänge holprig waren, es Textänderungen gab und die Show nicht flüssig wurde, aber „wir sind gerade so fertig geworden.“

Eine besondere Erfahrung war für alle die direkte Zusammenarbeit mit Film- und Show-Autorin Eleanor Bergstein. „Sie hat mit ihrem Film einen unglaublichen Welterfolg erzielt. Und keiner weiß wirklich, woran das gelegen hat. Sie hat unglaublich viel filmische Erfahrung, was die Arbeit sehr spannend und ungewohnt gemacht hat. Aber wenn Sie so erzählt, wie sie das Buch damals geschrieben hat und von der Arbeit am Filmset, war das sehr beeindruckend. Mit der gleichen Frau zusammenzuarbeiten, die damals die Rollen im Film kreiert hat, das ist natürlich Information aus erster Hand. Das ist eine tolle Erinnerung an diese Produktion.“ Die Zusammenarbeit mit einer Buchautorin, die Filmerfahrung hat, und jetzt fürs Theater inszeniert, bringt natürlich Spannungen mit sich, aber Ralf Schaedler sieht es ganz pragmatisch: „Ich bin hier als Schauspieler engagiert, also mache ich das, was Regisseur und Künstlerischer Leiter mir sagen. Selbst wenn ich das auf der Bühne stehend manchmal nicht verstehe – aus dem Saal betrachtet, machen viele Anweisungen Sinn.“

Ungewohnt ausführliche technische Proben, ein filmisches Buch, eine allgegenwärtige Autorin und zusätzlich der Druck bei der ersten „Musical“-Europapremiere der Stage Entertainment dabei zu sein – all diese Elemente könnten für zusätzliches Lampenfieber am Premierentag sorgen. Doch Ralf Schaedler war am 26. März kein bisschen angespannt. „Das lag vor allem daran, dass ich diesmal keine Verantwortung zu tragen hatte. Bei „Hair“ oder „Saturday Night Fever“ hatte ich als Hauptdarsteller die Verantwortung, die Handlung voran zu bringen und die Show zu tragen. Wenn man selbst schlecht ist, mögen die Zuschauer die ganze Show nicht. Hier hatte ich diese Belastung nicht. Ich wusste, ich kann herkommen, eine gute Show abliefern und meinen Spaß haben. Das war schön.“

Auf der einen Seite glaubt man dem Künstler sofort, dass er sich mit dieser geringeren Verantwortung wohl fühlt, aber jemand, der ganze Shows geleitet hat, ist der wirklich zufrieden mit dem Tragen von Wassermelonen? „Man muss natürlich als Schauspieler immer sehen, wie man eine Rolle füllen kann. Und das muss man können, egal wie groß oder klein die Rolle ist. Natürlich fehlt mir hier etwas, dafür singe und tanze ich einfach viel zu gern.“

Das, was er bei „Dirty Dancing“ vermisst, holt sich Ralf Schaedler durch parallele Projekte wie „Grease in Concert“ oder ab Sommer mit der neuen Show „Rockymania“ und einer 20er Jahre Show zurück. Den Vorteil, nicht in einer eigentlichen Hauptrolle auf der Bühne zu stehen, nutzt der engagierte Künstler auf diese Weise sehr gut aus. Als Initiator und Botschafter von „Fans for Kids e. V.“ arbeitet er an einer Benefizgala zugunsten krebskranker Kinder und deren Familien, die im Sommer in der Neuen Flora stattfinden wird. „Wer „Mission 007“ in Düsseldorf gesehen hat, weiß, dass wir hochkarätige Kollegen und ein großartiges Galakonzept bieten werden.“ Worum es sich thematisch genau handeln wird, wollte Ralf Schaedler noch nicht verraten. Bis dahin wird er als Cousin Billy noch viele Wassermelonen über die Bühne tragen.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical