home London Marguerite

Marguerite

Die Zutaten für einen Musical-Erfolg? Die Handlung basiert auf der weltbekannten Geschichte der Kameliendame von Alexandre Dumas. Die Musik stammt von keinem Geringeren als Michel Legrand („Yentl“), das Buch wurde von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg („Les Misérables“, „Miss Saigon“) geschrieben; die Songtexte stammen von Herbert Kretzmer („Les Misérables“). Der erfahrene Opernregisseur Jonathan Kent übernahm die Regie. Ruthie Henshall („Les Misérables“) wurde für die Titelrolle verpflichtet.

Wenn das nicht nach einer hitverdächtigen Komposition klingt!

Die Handlung ist schnell erzählt: Marguerite (Ruthie Henshall) lebt als Mätresse eines hochrangigen Wehrmachtsoffiziers Otto (Alexander Hanson) im besetzten Paris. Die ehemalige Sängerin feiert ihren 40. Geburtstag und lässt es sich in den Kreisen der gehobenen Pariser Gesellschaft gut gehen. Doch dann trifft sie auf den halb so alten Pianisten Armand (Julian Ovenden), der sich unsterblich in sie verliebt. Eine zeitlang versucht sich Marguerite gegen diese Liebe zu wehren, doch dann verfällt auch sie dem jungen Untergrundkämpfer. Es kommt zu den vorhersehbaren Verwicklungen, Otto erpresst Marguerite als er von der Affäre erfährt, schließlich erschießt Armand den Offizier und beide fliehen, doch auch Marguerite wird ein Opfer des Krieges, der als Rahmenhandlung dieser Ménage à Trois dient.

Das Bedauerliche an diesem Stück ist, dass die Handlung nicht abendfüllend erzählt wird. Im Prinzip könnte man die Show auf eine Stunde zusammenkürzen, da sich in ihren – zwar eigentlich schon recht dürftigen – 120 Minuten so manche Länge verbirgt. Auch die Parallelhandlung mit dem Lucien (Simon Thomas) und Annette (Annalene Beechey), Armands Schwester, wird nur angerissen und wirkt so mehr verwirrend als dem Verständnis für die Situation der Protagonisten zuträglich.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Handlung im Prinzip nur durch fünf Personen bestritten wird. Die restlichen 14 Darstellerinnen und Darsteller fallen außer in einigen Ensemble-Gesangs- oder Tanznummern kaum weiter auf.

Von den erwähnten fünf Protagonisten sind lediglich die Charaktere von Marguerite und ihrem Geliebten Armand weiter ausgearbeitet. Die anderen drei werden halbherzig umrissen und wirken unfertig.

Die Musik wäre das nächste Element, das dieses Musical retten könnte. Aber leider wird auch diese Chance vertan. Legrand Kompositionen plätschern erschreckend unaufregend dahin. Kaum, dass sie die vorhandene Dramatik in den verschiedenen Soli oder Duetten transportieren. Und dabei hat Legrand mehrfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass er mit dramatisch-tragischen Stoffen umzugehen weiß. In diesem Fall bleibt jedoch keine einzige Melodie im Gedächtnis und die Musik – immerhin 18 Songs – ist lediglich Beiwerk, zu einem wenig gelungenen Stück.

Dem gegenüber steht eine durchaus clevere Kulissenarbeit von Paul Brown. In zahlreichen Theaterstücken hat er gezeigt, dass er zweckmäßige Szenenhintergründe mit Pfiff schaffen kann. Das gelingt ihm auch bei „Marguerite“ sehr schön. Mit wenigen Mitteln verwandelt sich ein nächtlicher Pariser Platz in einen opulent ausgestatteten Festsaal in der Villa des Offiziers. An der optischen Aufbereitung des Themas kann es also nicht liegen, dass man sich phasenweise regelrecht langweilt.

Die Darsteller mühen sich redlich, aus ihren Rollen das Beste zu machen und ihren Charakteren Tiefgang zu verleihen, doch außer Ruthie Henshall und Julian Ovenden will dies so recht keinem gelingen. Henshall überzeugt sowohl als souveräne Mätresse als auch in den schwachen Momenten, in denen sie Armand erliegt. Sie zeigt einerseits das divenhafte, was die Mätresse Marguerite zu mehr als nur einem schmückenden Beiwerk des Offiziers macht, andererseits legt sie aber auch unendlich viel Gefühl in die intensiven Liebesszenen mit Armand. Gesanglich ruft die Künstlerin ein großes Repertoire ab, aber auch damit kann sie nicht über die schwache Partitur hinwegtäuschen. Viel zu selten nimmt die Musik das auf, was an Gefühl im Schauspiel gezeigt wird. Man kann dem Produktionsteam jedoch nur gratulieren – mit Ruthie Henshall wurde hier die perfekte Wahl getroffen.

Julian Ovenden erinnert einen in Ausdruck und Tonalität stark an den jungen Michael Ball. Er wäre ohne Zweifel die perfekte Besetzung für den schüchternen Marius in „Les Misérables“. Auch sein aus geprägtes Vibrato passt um einiges besser zu dem Musical-Hit von Boublil und Schönberg als zu ihrem neuesten Werk. Dennoch ist er ein hübsch anzusehender Pianist (er hat im Übrigen eigens für „Marguerite“ Klavierspielen gelernt) und zeigt viel Gefühl und Einsatzwillen bis in den Tod, um seine Liebe zu retten.

Alexander Hanson, den man schon in zahlreichen Musical- und Theaterproduktionen in London gesehen hat, übernimmt die undankbare Rolle des schmierigen deutschen Offiziers, dem jedes Mittel Recht ist, um Marguerite an sich zu binden und seinen Ruf nicht zu verlieren. Schade nur, dass die Figur so wenig facettenreich angelegt wurde. So bleibt Hanson wenig Spielraum und er kann lediglich eine solide Leistung abliefern.

Kann man die ganze Schuld für diese Misere auf Regisseur und Co-Autor Kent schieben? Sicherlich nicht, aber dennoch trägt seine Arbeit maßgeblich dazu bei, dass es „Marguerite“ gänzlich an Spannung fehlt. Grundsätzlich liefert Dumas’ Kameliendame sicherlich ausreichend Material, um für 2 Stunden Spannung und Brisanz zu sorgen, aber daraus wurde leider kein Potential geschlagen. Man spürt eindeutig den opernhaften Einschlag in der Regie. Es wurde sich scheinbar blind darauf verlassen, dass die Musik die Handlung tragen wird. Doch im Musical geht dieses Konzept in den seltensten Fällen so einfach auf.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Haymarket Theatre, London
Besuchte Vorstellung: Mai 2008

Darsteller: Alexander Hanson, Ruthie Henshall, Julian Ovenden
Musik / Buch: Michael Legrand / Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg
Fotos: Tristram Kenton