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Avenue Q

Trotz der vermeintlich niedlichen Umsetzung mit Handpuppen ist die Grundhandlung von „Avenue Q“ sehr realitätsnah – geht es doch um die Perspektivlosigkeit von Twens und Mit-Dreißigern in einer Großstadt. Die fehlende Perspektive reicht vom Jobverlust über Single-Frust bis hin zu versteckter Homosexualität und Anflügen von Rassismus.

Akustisch ist die West End Fassung des Lopez/Marx-Musicals ein 1:1 Klon der Tony Awards dekorierten Broadway-Version. Man hört kaum einen Unterschied zwischen Castaufnahme und Live-Performance im Noel Coward Theatre. Der Spaßfaktor wird hierdurch aber nicht geschmälert.

„Avenue Q“ ist eine Show für Erwachsene, denn Themen wie Arbeitslosigkeit, Pornographie, Rassismus usw. werden mehr als eindeutig verbalisiert. Auch die Bettszene zwischen Kate Monster und Princeton lässt keine zwei Schlüsse zu. Spätestens wenn die niedlichen Bären sich als intrigante und hinterhältige Zeitgenossen entpuppen, hätte man seinen Kindern viel zu erklären. Von daher tut man gut daran, Kinder in diese Show nicht mitzunehmen.

Bemerkenswert ist, dass man mit der Zeit ausblendet, dass hinter und in den Puppen Sänger stecken, die mit auf der Bühne stehen. Man achtet weniger auf die Mimik der Menschen als auf die Bewegungen der Puppen. Das liegt zum einen daran, dass die Darsteller im Gegensatz zu den farbenfroh gekleideten Puppen in schwarz daherkommen. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass die Darsteller mehrere Figuren singen, teilweise sind diese sogar zeitgleich auf der Bühne. Beispielsweise werden Kate Monster und ihre vermeintliche Widersacherin, Lucy The Slut, in der Gunst von Princeton von Julie Atherton gesungen. Durch eine andere Stimmfarbe kann man viel erreichen. Manchmal kommt die Stimme aus dem Off und die Puppe wird von einem Kollegen gespielt, manchmal bedient Atherton die Kate-Puppe und ein Kollege nimmt sich Lucy an. Bei Gesangsszenen dreht Atherton dann einfach den Kopf weg, um die Verwirrung im Publikum im Keim zu ersticken.

Stimmliche Wandlungsfähigkeit beweist auch Simon Lipkin als Nicky und Trekkie Monster. Während Nicky als normaler erlebnisorientierter Twen daherkommt, igelt sich Trekkie zuhause mit seinen Pornos ein. Von seiner normalen Singstimme in die tiefsten Tiefen eines Trekkie Monster fordern seiner Stimme sicherlich sehr viel ab.

Jon Robyns spielt die Hauptfigur Princeton, der in der Avenue Q strandet und dort neue Freunde findet. Seine zweite Rolle ist der verklemmte Homosexuelle Rod, der sich erst kurz vor dem Finale outet.

Giles Terera, Siôn Lloyd und Naoko Mori (bis Anfang November noch Ann Harada) stehen als einzige als Menschen unter Puppen auf der Bühne. Während Terera als Vermieter nur sehr wenige Auftritte hat, sind Lloyd und Mori als Paar Brian und Christmas Eve fest mit in die Handlung integriert. So ist Christmas die Therapeutin von Rod und entpuppt sich als – zugegeben etwas kratzbürstige – gute Seele der Straße.

Mehrere parallele Handlungsstränge ermöglichen es jedem Zuschauer, sich seinen persönlichen Liebling auszusuchen: Ist es Kate, die sich in den schönen Princeton verliebt, deren Selbstbewusstsein aber so gering ist, dass sie ihn kampflos der Schlampe Lucy überlässt? Ist es Rod, der seinen Mitbewohner Nicky liebt, sich aber nicht eingesteht, dass er auf Männer steht? Sind es Brian und Christmas Eve, die aufgrund seiner Arbeitslosigkeit und ihrer Dominanz eine spannungsgeladene Ehe führen? Sind es die beiden Bären, die immer wieder auftauchen und Unfrieden stiften? Ist es Nicky, der plötzlich obdachlos wird? Oder ist es doch Trekkie Monster, dessen Leidenschaft Internet-Pornos sind und der sich zum Wohltäter entwickelt als es darum geht, Kate’s Monsterschule zu gründen? Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt.

Die Spielfreude der sehr jungen Cast überträgt sich sofort auf das Publikum. Das liegt aber nicht zuletzt auch an den wortwitzigen Texten. Darsteller zum Anfassen bekommen die Zuschauer bei der von Princeton organisierten Sammlung für Kate’s Monsterschule. Zum „Money Song“ werden im Publikum Spenden gesammelt – eine Aktion, die im Foyer nach der Show fortgesetzt wird.

Das zweckdienliche Bühnenbild, das die Wohnhäuser darstellt, wird von Zeit zu Zeit durch Einblendungen auf Screens links und rechts der Bühne bereichert. Dies sorgt vor der Pause für Lacher und unterstützt bei dem Song „Schadenfreude“ – ein Wort, das im Englischen aus dem Deutschen übernommen wurde. Im Auftakt zu dieser Szene wird natürlich das Wort erläutert und – wenig überraschend – kommen die Deutschen dabei nicht sonderlich gut weg. Wer aber jetzt denkt, das deutsche Volk seien die einzigen, die ihr Fett weg bekommen, dem sei gesagt, dass von Rassisten, perversen Single-Männern, Schlampen bis hin zu George W. Bush einfach alles thematisiert wird, was junge Erwachsene heutzutage beschäftigt.

„Avenue Q“ macht gute Laune – und das zur Abwechslung mal mit neuen spritzigen Songs. Der Mut und die Beharrlichkeit von Robert Lopez und Jeff Marx haben sich gelohnt. Ihre eigenen Erfahrungen haben gereicht, eine ansprechende Handlung zu schreiben und ein erfolgreiches Musical auf die Bühne zu bringen.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Noel Coward Theatre, London
Besuchte Vorstellung: 25. Oktober 2006
Darsteller: Julie Atherton, Ann Harada, Jon Robyns
Musik / Regie: Robert Lopez / Jeff Marx
Fotos: Tristram Kenton