home 2019 Verträumte Ostalgie trifft auf gnadenlose Schlagerbranche

Verträumte Ostalgie trifft auf gnadenlose Schlagerbranche

Kathi Damerow ist seit vielen Jahren ein festes Mitglied der Schmidt-Familie. „Heiße Ecke“ und „Wir“ sind nur zwei Beispiele, welche die Wandlungsfähigkeit der im mecklenburgischen Hagenow aufgewachsenen Vollblutmusicaldarstellerin belegen.

Ihre nasale Stimme, ihr Talent bitterböse Satire trocken über die Rampe zu bringen, ihre allgegenwärtige Frechheit – Damerow macht einfach Spaß!

Am 29. November 2019 wurde ihre Show „Gabi Mut“ zum 61. und vorerst letzten Mal im Schmidtchen gezeigt. Damerow hat die One-Woman-Show über die (ebenfalls) in Hagenow geborene Gabi selbst geschrieben. Maarten Flügge übernahm die Regie und Lukas Nimschek steuerte die Musik zu dieser Schlager-Satire bei.

Die kleine Gabi träumt von einer Gesangskarriere. Aber sie verbockte den entscheidenden Auftritt im DDR-Fernsehen und sah ihren Traum jäh platzen. Doch dann verspricht ihr Werner von der Stasi, dass er ihr helfen kann, wenn sie der Stasi hilft. Gabi wirft ihre ausgeprägten Zweifel über Bord und gewinnt die TV-Abstimmung. Das war 1983. Bis 1989 geht es mit ihrer Karriere gut voran, sie bekommt ein Haus in Berlin, tritt im Fernsehen auf und gibt viele Konzerte.

Doch dann kommt der Mauerfall und mit ihm das jähe Ende ihrer Engagements. Ost-Künstler sind einfach nicht mehr gefragt. Als dann noch die Ehefrau eines früheren Gesangspartners (und -liebhabers) publik macht, dass Gabi für die Stasi aktiv war, ist sie gänzlich am Ende.

Das Publikum erlebt im Zeitraffer das Weltgeschehen, während sich Gabi von Möbelgeschäftseröffnungen über Auftritte anlässlich 100. Geburtstage nach ganz unten arbeitet. Irgendwann zählt sie die Mahnungen, sammelt Flaschen und bekämpft ihren Frust mit Wodka. Sie schöpft nochmal kurz Hoffnung, also sie nach einem Anruf bei Radio Ostalgie einen Auftritt bei einer Firmenfeier angeboten bekommt. Schnell stellt sich heraus, dass diese Firma ein Neonazi-Vereinigung ist. Gabi lässt kein Fettnäpfchen aus…

Ihre Freundin Hella aus Kindheitstagen ist ihr Fels in der Brandung und so stürzt sie nicht ganz ab, versucht u. a. mit Tupperparties und eigenen Songs immer wieder auf die Beine zu kommen. Wenn man eines über Gabi sagen kann, ist es, dass sie sich nicht unterkriegen lässt! Das Finale bildet ein Interview bei RTL Explosiv, das auch nicht sehr positiv verläuft. Doch Gabi hat ihre Mitte gefunden und singt weiter…

Kathi Damerow kokettiert ganz wunderbar mit den Klischees über Ostdeutschland und hält dem Publikum den Spiegel vor. Ossis sind ganz offenbar auch 30 Jahre nach der Wende noch eine wunderbare Quelle für jeden noch so überheblichen Spott aus dem Westen. Dabei war im Osten nicht alles schlecht, auch wenn die kleine Gabi immer gespürt hat, dass es mehr geben muss als die in Erdtönen gehaltene Wohnung der Eltern und den Sandmann…

Herausragend komisch sind ihre Besuche im Parkett. Nicht erfahrene Schmidts-Besucher sind arg irritiert, wenn sie gebeten werden, Wodkaflaschen von Gabi fernzuhalten, als Gäste einer Tupperparty mit auf die Bühne zu kommen oder kurzerhand zu Gabis stalkendem Fanclubvorsitzenden Bernd gemacht werden. Doch für die übrigen Zuschauer ist es nur umso lustiger. Wenn Damerow einen Gast bittet, eine Postkarte vorzulesen und diese – schließlich befindet man sich ja im Osten – in sächsischer Lautschrift verfasst hat, verfehlt dieser Schenkelklopfer sein Ziel ins Lachzentrum nicht. Man nimmt Damerow die naive junge Gabi genauso ab, wie die verbitterte Alkoholikerin im Plattenbau – eine beachtliche schauspieleriche Bandbreite!

Musikalisch wird das Publikum von 1980er Deutsch-Pop über den in den 1990er Jahren beliebten Synthesizer-Schlager bis hin zu Songs im Stil von Andrea Berg und Helene Fischer auf eine spannende Reise mitgenommen. Nimschek verarbeitet die verschiedenen Stile sehr gelungen und Damerow intoniert – oder vielmehr lebt – jeden einzelnen Song auf ihre unnachahmliche Art, inklusive urkomischer Choreographien.

Als Gabi nach einem neuen Hit sucht, der sie aus der Misere führen soll, formuliert sie es so: „Ich brauch ein Lied, mit `nem richtig beschissenen Beat, der bei drei Promille noch zieht…“ Der Song ist schmissig und das Publikum geht sofort mit. Der Text macht mehr als deutlich, dass die Aussage eines Schlagers im Grunde vollkommen egal ist, wenn die Zuschauer mitklatschen oder -tanzen können. Diese nicht allzu subtile Abrechnung mit der banalen, aber ungemein erfolgreichen Volkspop- und Schlagerwelt der heutigen Zeit kann man nur als sehr gelungen bezeichnen.

Szenen wie diese oder die Tupperparty sind ungemein komisch, leben von Damerows Improvisationstalent und holen das Publikum sehr gekonnt ab. Ernstere oder dramatischere Szenen, wie die Erpressung oder die Alkoholsucht, führen zu Fremdscham. Das Auf und Ab von Gabis Leben machen an diesem Abend auch die Zuschauer mit, was nicht selten zu einem leicht stockenden Handlungsablauf führt.

Es war spannend zu sehen, ob es Kathi Damerow, deren Stärken in der Interaktion mit Kollegen auf der Bühne und ihrer Spontaneität liegen, gelingen würde, ein abendfüllendes Programm überzeugend zu bestreiten. Man kann dies ganz klar mit einem „teils-teils“ beantworten: In manchen Momenten schüttet sich das Publikum aus vor Lachen oder fordert frenetische Zugaben der Songs. Andererseits hat das Stück ein paar Längen, welche die Zuschauer nur schwer verdauen können. Für eine satirische Sozialstudie über das Künstlerleben vor und nach der Wende fehlt es „Gabi Mut“ an Tiefgang. Die Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Beschreibung der Wirklichkeit für viele Sänger in den letzten 30 Jahren, gelingt leider nicht gänzlich überzeugend.

Michaela Flint

Theater: Schmidtchen, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 29. November 2019
Darsteller: Kathi Damerow
Regie / Buch / Musik: Maarten Flügge / Kathi Damerow / Lukas Nimschek
Fotos: Oliver Fantitsch