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Wicked

Seit 15 Jahren ist das Apollo Victoria Theatre die Heimat von sprechenden Tieren, Munchkins, Glinda, Elphaba und dem Wizard of Oz. Die Landkarte von Oz mit der strahlenden Emerald City in der Mitte und dem sie überragenden Drachen empfängt die Zuschauer in dem über 2.300 Plätze fassenden Theatersaal und sorgt sofort für eine magische Stimmung.

Magie spielt eine große Rolle bei „Wicked“. Winnie Holzman hat “Wicked: The Life and Times of the Wicked Witch of the West” von Gregory Maguire für die Musicalbühne adaptiert und erzählt die Geschichte einer besonderen Freundschaft, von Neid und Eifersucht, Starrsinn und Liebe. Es geht um Elphaba und Glinda, die Kinder als die gute und böse Hexe aus dem „Zauberer von Oz“ kennen. Glinda ist eine wohlerzogene, sehr von sich überzeugte junge Frau, die es gewohnt ist, dass alle nach ihrer Pfeife tanzen. Elphaba kämpft wegen ihrer grünen Hautfarbe zeitlebens gegen Vorurteile und Ablehnung. Beide treffen an der Universität aufeinander und freunden sich trotz ihrer deutlichen Verschiedenheit an. Dies geht solange gut, bis Elphaba beginnt, das Handeln des allmächtigen Wizard of Oz zu hinterfragen, und eskaliert als Glinda feststellen muss, dass sich ihr Auserwählter Fiyero in Elphaba verliebt hat. Aus Freundinnen werden erbitterte Feinde, auch wenn es beiden sehr leidtut, dass die frühere Freundin nicht mehr zu den eigenen Überzeugungen passt.

Glinda handelt grundsätzlich sehr opportunistisch und kann es nicht ertragen, nicht beliebt zu sein. Elphaba ist es gewohnt anzuecken und steht zu ihrem polarisierenden Äußeren. Diese beiden konträren Charaktere werden von Mme. Morrible zu Zimmerkameradinnen gemacht. Glinda hat Mitleid mit Elphaba und macht sie zu ihrem neuen Projekt („Popular“). Elphaba, die eigentlich nur auf der Uni ist, um ihre Schwester Nessarose zu unterstützen, fühlt sich geschmeichelt. Doch die Veränderungen an der Uni – der Verweis von sprechenden Tieren als Lehrkräfte – treiben sie sehr um. Ihre „magischen“ Wutausbrüche bringen jede Menge Schrecken mit sich, doch Mme. Morrible erkennt Elphabas Talent und fördert sie. Elphaba bekommt die Chance, den Wizard of Oz kennenzulernen und merkt sofort, dass der alte Mann eine Mogelpackung ist. Sie sagt dem ach so großartigen Zauberer den Kampf an („Defying Gravity“) und wird dank ihrer Unbeugsamkeit von Mme. Morrible zur „Wicked Witch of the West“ erklärt, die es einzusperren gilt. Im Gegenzug wird Glinda als „Glinda the Good“ postuliert.

Elphaba weiß Fiyero an ihrer Seite und fühlt sich stark genug, ihre Schwester mithilfe von Magie aus dem Rollstuhl zu befreien, an den sie seit ihrer Geburt gefesselt ist. Nessarose freut sich so sehr, dass sie hofft, nun endlich Boqs Liebe zu gewinnen. Doch als dieser die Gelegenheit nutzt, um sich von seiner Pflicht als Nessas „Bediensteter“ zu entsagen, versucht sie ihn mit einem Zauberspruch an sich zu binden. Doch dies misslingt und Boqs Herz wird zu Stein. Elphaba versucht ihn zu retten und macht ihn zum Blechman (Tin Man). Keine Frage, dass weder Nessarose noch Boq mit dieser Lösung glücklich sind und Elphaba die Schuld an allem geben.

Elphaba ist verzweifelt und geht nochmal zum Wizard of Oz, der ihr erneut eine Zusammenarbeit anbietet. Doch als sie ihren ehemaligen Lehrer Dr. Dillamond in einem der unterdrückten Tiere erkennt, platzt ihr der Kragen und sie flieht mit Fiyeros Hilfe. Um sie aus ihrem Versteck zu locken, lässt Mme. Morrible einen Wirbelsturm wüten, der zu Nessas Tod führt. In dem Haus, das Nessa erschlägt, befanden sich Dorothy und ihr Hund Toto. Als Elphaba herausfindet, dass Glinda Dorothy die roten Schuhe ihrer Schwester geschenkt hat, sperrt sie das Mädchen in einem Verlies ein, bis diese ihr die Schuhe zurückgibt.

Es kommt zum Showdown als Glinda versucht, die trauernde Elphaba in eine Falle zu locken. Fiyero, inzwischen zum Captain der Wachen befördert, verhindert dies, wird daraufhin aber selbst festgenommen. Auch ihm versucht Elphaba mit einem Zauberspruch zu helfen, was erneut misslingt. Inzwischen hat Mme. Morrible ganz Oz gegen Elphaba aufgehetzt („March of the Witch Hunters“). Da alles, was sie an guten Taten in Angriff nimmt, nicht klappen will, schwört sie, sich nur noch ihrem Ruf entsprechend zu verhalten („No Good Deed“).

Glinda versucht Elphaba ein letztes Mal ins Gewissen zu reden. Die Hexen erkennen, das beide Fehler gemacht haben. Insbesondere Glinda muss erkennen, dass sie Mme. Morrible und den Wizard falsch eingeschätzt hat. Als Elphaba die Nachricht von Fiyeros Tod erhält, gibt sie auf. Glinda muss tatenlos mit ansehen, wie es Dorothy gelingt, einen Eimer Wasser über Elphaba auszuschütten, so dass sie sich in Luft auflöst.

In Oz kann wieder Ruhe einkehren und eine sichtlich geläuterte Glinda muss den Bürger die Geschichte von der „Wicked Witch of the West“ immer wieder erzählen.

Doch sowohl Fiyeros als auch Elphabas Tod waren eine List: Die beiden treffen sich in einem versteckten Schloss von Fiyeros Familie wieder und leben fortan als Vogelscheuche und Hexe zusammen. Wissen darf davon natürlich niemand…

Es ist wundervoll zu erleben, wie phantasievoll die Geschichte hinter dem weltbekannten „Zauberer von Oz“ auf der Musicalbühne erzählt wird. Schon die Bühne (Eugene Lee) mit Zahnrad-Konstruktionen links und rechts, einer großen Brücke, Glindas „fliegender Seifenblase“, dem „Thron“ des Wizard und nicht zuletzt Elphabas Flug am Ende des 1. Akts sind beeindruckend. Wunderschön sind auch die Kostüme, die Susan Hilferty entworfen hat: Es sind wirklich alle Schattierungen von grün dabei. Spannend sind die zahlreichen Details, denn kein Kleid sieht aus wie das andere. Gleiches gilt auch für die Perücken und Hüte (Tom Watson). Natürlich sticht Glinda mit ihren zunächst pinkfarbenen, später hellblauen Kleidern und Pumps aus der Masse hervor. Aber auch Elphabas durchgehend schwarze Kleider sind in dieser Show „besonders“.
So prachtvoll die Damen ausgestattet sind, so schlicht schaut es bei den Männern aus. Klassische Schnitte und Uniformen bilden einen gelungenen Gegenpol zu all dem smaragdfarbenen Prunk der Ozians.

Nicht zuletzt sind es aber Stephen Schwartzs mitreißende, abwechslungsreiche Songs, die diese Show zu einem Dauerbrenner am Broadway und im West End machen. Auch seine Texte sind mal spitze, mal lustig, mal einfühlsam, und tragen somit dazu bei, dass man sich gern mit den Charakteren befasst.

Am Ende steht und fällt „Wicked“ aber mit der Besetzung der Hauptrollen. Idina Menzel und Kristin Chenoweth haben die Rollen von Elphaba und Glinda 2003 am Broadway kreiert und jede nachfolgende Hexe muss sich an ihnen messen lassen. In London hat man mit Nikki Bentley eine exzellente Künstlerin als Elphaba engagiert. Sie verfügt über eine unglaubliche Stimmkontrolle und legt viel Gefühl in ihre Interpretation. Ihre intensive Mimik und ihr Gespür für Pointen begeistern. Natürlich ist „Defying Gravity“ DER Showstopper dieses Musicals, aber Bentleys „No good deed“ ist derart raumgreifend und eindringlich, dass man fast das Atmen vergisst. Helen Woolf verleiht Glinda ein fast schon zu strenges Auftreten. Doch sie spielt schön überdreht (“Popular“) und sammelt einige Sympathiepunkte.

Idriss Kargbo bleibt als Boq leider etwas blass, dabei kann man auch aus der Rolle des unsterblich in Glinda verliebten Munchkins einiges herausholen. Mme. Morrible ist streng und sehr herablassend. Kim Ismay spielt diese Rolle in Perfektion, wenn sie auch gesanglich nichts ganz überzeugen kann. Den großväterlich-liebevollen Wizard gibt Andy Hockley, doch es schwingt ganz klar mit, dass der Wizard nicht ganz ungefährlich ist. Als Glindas Objekt der Begierde und Elphabas Beschützer Fiyero steht Alistair Brammer auf der Bühne. Er ist hübsch anzusehen, setzt aber keine Akzente, was insbesondere im Hinblick auf seine gesanglichen Fähigkeiten (u. a. Chris in „Miss Saigon“) sehr bedauerlich ist.

Das Ensemble reißt das Publikum mit. Wayne Cilento (Musical Staging) und James Lynn Abbott (Dance Arrangements) nutzen die gesamte Bühne in Breite und Tiefe. Die Choreographien sind genauso phantasievoll wie das Stück selbst. Sie sind raumgreifend und ausladend. Die schwingenden Röcke werden von beiden sehr gelungen in Szene gesetzt.

Die mehr als 25 Orchestermusiker unter der Leitung von Adam Rowe sorgen für satten Klang. Genauso klingt ein Broadway-Hitmusical! „Wicked“ ist ein Beleg dafür, dass es auch heute noch erfolgreiche Long-Runs gibt, denn in London wurde am 10. Oktober 2019 der 10-millionste Besucher begrüßt und am Broadway überholte „Wicked“ nur wenige Tage später „Les Misérables“ als dort am fünflängsten gespieltes Musical (6.681 Shows am 28. Oktober 2019).

Musik, Story, Bühne, Kostüme, Choreographien und herausragende Darsteller bilden hier ein unwiderstehliches Gesamtkunstwerk, dem sich niemand entziehen kann!

 

Michaela Flint

Theater: Apollo Victoria Theatre, London
Besuchte Vorstellung: 5. Oktober 2019
Darsteller: Nikki Bentley, Helen Woolf, Idriss Kargbo, Kim Ismay, Andy Hockley, Alistair Brammer
Musik / Kostüme: Stephen Schwartz / Susan Hilferty
Fotos: Matt Crockett