home 2016 Fesselnde Location, gute Regie-Einfälle, falsche Sprache

Fesselnde Location, gute Regie-Einfälle, falsche Sprache

Andrew Lloyd Webbers Musicalversion der letzten Lebenswoche von Jesus findet sich vermehrt auch in deutschen Stadttheatern. Das Theater Koblenz bringt den Klassiker in diesem Sommer Open Air im Innenhof der Festung Ehrenbreitstein zur Aufführung. Die massigen Festungsmauern oberhalb des Rheins bilden eine prachtvolle Kulisse. Lloyd Webbers Rockmusical hält nicht minder beeindruckende Songs bereit.

Doch gleich zu Beginn werden die Zuschauer enttäuscht: Der „11-Apostel-Band“ unter der Leitung von Karsten Huschke gelingt es nicht, den wuchtigen Klang der Kompositionen in den Zuschauerbereich zu bringen. Das mag zum einen daran liegen, dass die Musiker im hinteren Bereich der Bühne hinter einer schwarzen Wand platziert sind. Darüber hinaus lässt die Tontechnik auf dieser Open Air Bühne sehr zu wünschen übrig. Das Orchester klingt durchgehend zu blechern und Bässe sucht man vergebens. Auch die Sänger haben ihre Mühe, sich Gehör zu verschaffen.

JCS_KoblenzDass hier aber auch durchaus Könner im Kreativteam sitzen, sieht man vor allem an den durchdachten Kostümen (Apostel in zeitgenössischen Outfits in Blautönen, Pilates in Schwarz mit gelben Schuhen und gelben Haaren, die Priester von Caiaphas in Beerentönen) und der Bühne (beides Christian Binz), die mit vier rollbaren Treppenelementen als Kulissen auskommt. Auch das Licht und die Videoinstallationen auf der Hintergrundfüllenden LED-Wand (Georg Lendorff) funktionieren gut.

Markus Dietze und Juliane Wulfgramm zeichnen für die Inszenierung und Dramaturgie verantwortlich. Vieles, was die beiden sich überlegt haben, gefällt. Insbesondere die herrlich überzogene Szene mit Kind Herod (André Wittlich). Er erinnert zwar in Habitus und Ausstrahlung arg an Frank’n’furter, aber seine goldgewandeten Tänzer und die kuscheligen Babykatzen auf der Leinwand geben dieser Szene etwas Besonderes. Auch der in einer gelben 20er Jahre Atmosphäre inszenierte Titelsong, den Judas mit der eindringlichen Botschaft verbindet, dass es dieser Welt an sozialem Gewissen mangelt, wirkt in sich stimmig.

Eine glatte Fehlinterpretation seitens des Regisseurs liegt leider beim letzten Abendmahl vor: Anstatt ihre Trauer und Verwirrung über Jesus’ baldigen Tod auszudrücken, feiern die Apostel und Mary Magdalena ausgelassen und lachend ein Happening. Das passt zur eigentlichen Aussage dieser Szene überhaupt nicht.

Ebenfalls ungewöhnlich ist, dass Pilates Jesus nicht selbst die 39 Schläge verpasst, sondern ihn von den Priestern und dem Volk schlagen lässt. Auch dies verändert den Inhalt der Szene. Dass Jesus nach seiner Kreuzigung die hell erleuchtete Bühne auf den eigenen Beinen verlässt, ist genauso befremdlich.

JCS_Koblenz_3Dass man aber schon zur Hälfte des erstes Akts ungeduldig auf die Uhr schaut, liegt nicht an den optischen Rahmenbedingungen. Diese lassen sich im Großen und Ganzen gut konsumieren. Wesentlich schwerer fällt ins Gewicht, dass man sich seitens des Theaters – wie in Deutschland durchaus üblich – für die englische Fassung des Stücks entschieden hat. Auf Übertitel wird verzichtet. Wer möchte, kann dem Geschehen mithilfe des Programmhefts folgen, in dem alle Szenen kurz beschrieben sind. Bedauerlicherweise ist kaum einer der Darsteller in der Lage, die englischen Texte fehlerfrei zu singen. Hier wäre Phonetikunterricht dringend angeraten gewesen. Der ausgeprägte deutsche Akzent vieler Darsteller führt nicht selten dazu, dass das Publikum nicht versteht, was gesungen wird. Warum man nicht auf die deutschen Texte zurückgegriffen hat, bleibt fraglich.

Die Protagonisten mühen sich redlich, ihren Rollen Authentizität einzuhauchen. Marcel Hoffmann überzeugt als Jesus vor allem im zweiten Akt. Er hat eine interessante Stimmfarbe, eigentlich zu tief für Jesus, aber mit „Gethsemane“ sorgt er beim Publikum für Gänsehaut. Christof Maria Kaiser begeistert vor allem durch sein ausdrucksstarkes Spiel. Gesanglich hechelt er dem Orchester häufig hinterher, was aber auch auf die Sprachbarriere zurückzuführen sein kann. Georg Lesokovich gibt einen stattlichen, starken Pilates. Es gelingt ihm sehr gut, die Hin- und Hergerissenheit des Statthalters zu verkörpern. Auch Jongmin Lim weiß als Caiaphas vor allem mit seinem tiefen Bass zu überzeugen. Hervorheben muss man Mario Mariano, der als Annas schlangenhaft spielt und schön giftig singt. Eine rundum gelungene Interpretation des intriganten Priesters. Charlotte Irene Thompson ist als Mary Magdalena zu erleben. Sie spielt etwas robuster als man es kennt, so gerät auch ihr „I don’t know how to love him“ etwas härter als erwartet. Doch insgesamt überzeugt sie.

Diese Produktion von „Jesus Christ Superstar“ hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck: Einerseits erzeugt die Regie ein weitgehend stimmiges Gesamtbild. Hoffmann ist ein ausgesprochen eindrucksvoll leidender Jesus und Kaiser gibt einen starken Counterpart. Doch die phonetischen Schwächen machen so viel kaputt, dass einige Zuschauer schon während der Pause den Heimweg angetreten haben. Hier wurde viel Potential verschenkt.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Festung Ehrenbreitstein, Koblenz
Premiere: 8. Juli 2016
Darsteller: Marcel Hoffmann, Christof Maria Kaiser, Georg Lesokovich, Charlotte Irene Thompson
Musik / Regie: Andrew Lloyd Webber / Markus Dietze & Juliane Wulfgramm
Fotos: Matthias Baus