home 2018 Shakespeares Liebeskomödie in pseudo-modernem Musical-Gewand

Shakespeares Liebeskomödie in pseudo-modernem Musical-Gewand

Nach 2014 hat sich Daniel Karasek für das Kieler Sommertheater 2018 erneut einen Klassiker von William Shakespeare vorgenommen und diesen mit tatkräftiger Unterstützung von Martin Tingvall (Musik) und Regy Clasen (Texte) in ein abendfüllendes Musical verwandelt.

„Was Ihr wollt“ erzählt die Geschichte der schiffbrüchigen Viola, die sich unsterblich in ihren Dienstherrn Orsino verliebt. Der jedoch ist ebenso besessen von der um ihren Bruder trauernden Olivia, die dem Werben des Herzogs jedoch nichts abgewinnen kann. Stattdessen lässt sich Olivia den Kopf verdrehen von Cesario, Orsinos Botenjungen, in dessen Verkleidung niemand anderer steckt als Viola. Hinzu kommen noch ein paar Intrigen von Verwandten und Angestellten und fertig ist die perfekte Shakespeare-Komödie, die zudem noch ein ausgesprochenes Happy End hat. Denn Viola trifft ihren ertrunken geglaubten Zwillingsbruder Sebastian wieder, Olivia heiratet eben diesen und Orsino gibt Olivia endlich auf und wendet sich Viola zu.

Diese Handlung kann man je nach Ausarbeitung und Tiefe der verschiedenen Charaktere beliebig aufbauschen. Dies macht Regisseur Daniel Karasek auch in diesem Jahr. Er hält sich mit vielen kleinen Details und Szenen auf, die für die Handlung nicht entscheidend sind und den Fluss sogar stören.

„Was Ihr wollt“ wird als Step-Musical angekündigt. Nicht ohne Grund erinnert das Plakat mehr als nur entfernt als den Hollywood-Hit „La La Land“. Doch die wenigen Tanz- und Stepszenen wirken leider etwas deplatziert. Ela Steiner hat für die acht Tänzerinnen und Tänzer, die die Protagonisten weitgehend umtanzen (um deren Schwachstelle zu überdecken), schöne Abfolgen ersonnen, die in sich stimmig und ansprechend sind. Doch in die einzelnen Szenen einfügen, wollen sich diese Tanzelemente nicht wirklich.

Die Videowalls kamen auch schon in den letzten Jahren sehr ausgeprägt zum Einsatz. In diesem Jahr jedoch wird nahezu jeder Song mit Videos begleitet, die zusätzlich zur Handlung auf der Bühne noch weitere, ergänzende Szenen mit den singenden Protagonisten zeigen. Am Ende lenken diese Videos mehr von den Live-Akteuren ab, was sicherlich nicht im Sinn des Stücks ist.

Der schwedische Jazz-Pianist Martin Tingvall hat abwechslungsreiche Melodien zu diesem Musical beigesteuert, bei denen man nicht selten sofort mit den Füßen mitwippt. Die Texte der Singer-Songwriterin Regy Clasen bilden hiermit ein harmonisches Ganzes.

Schwierig ist der unstete Wechsel zwischen nahezu originalen Shakespeare-Texten, zeitgenössischen Adaptionen und normalem Straßenslang. Dieser ist weder an einzelnen Charakteren festgemacht noch gibt es hier einen roten Faden, anhand dessen sich die Sprache im Laufe des Stücks verändert.

Insgesamt wirkt „Was Ihr wollt“ ähnlich wie „Die Räuber“ in 2017 etwas überladen. Man vermisst den Mut, das Stück zu entstauben, um es für das Publikum leichter verdaulich zu machen. Stattdessen erleben die Zuschauer teils plumpe, aufgesetzte Dialoge und Szenen und fragen sich mehrfach, wohin das führen soll oder was sich der Regisseur dabei gedacht hat.

Die Besetzung ist aus früheren Inszenierungen gut bekannt. Rudi Hindenburg steht endlich mal in der ersten Reihe und gibt einen unnachahmlich leidenden Orsino, dem man seine Liebe zu Olivia abnimmt und dessen Leidenschaft sehr glaubhaft über die Rampe kommt. Leider scheint seine Stimmlage nicht ganz zu Tingvalls Kompositionen zu passen, denn mehrfach drängt sich hier eine Disharmonie in den Vordergrund. Gleiches gilt jedoch auch für Olga von Luckwald, die eine lebensfrohe, sympathische Viola gibt und auch als Diener Cesario eine überzeugende Leistung zeigt. Vielleicht ist es hier auch einmal mehr die Tontechnik, die es den Sängern unnötig schwer macht und sie klar und kalt über die Tribüne erschallen lässt, anstatt sie mit den entsprechenden Mitteln akustisch zu unterstützen.

Etwas fragwürdig ist die Besetzung von Olivia mit Yvonne Ruprecht. Dass Ruprecht schauspielerisch und auch gesanglich zu den besseren Mitgliedern dieses Ensembles gehört, hat sie in „Romeo & Julia“ (2014) und „The Full Monty“ (2017) gezeigt. Doch allein schon ob ihres Alters wirkt sie irgendwie fehl am Platz. Sätze von Orsino wie „Nur eine jüngere Frau ist die richtige Frau für einen Mann“ wirken bei diesem Paar schlicht unpassend.

Als Narr kann sich Marko Gebbert austoben und hat hieran sichtlich Spaß. Auch gesanglich passt er gut zu Tingvalls Songs. Jennifer Böhm als Hausmädchen Maria ist aus der Riege der Protagonisten die einzige, die auch tänzerisch überzeugen kann. Sie zieht im Hintergrund die Fäden sehr überzeugend und wickelt nicht nur die Männer auf der Bühne um den Finger.

Imanuel Humm, Zacharias Preen und Christian Kämpfer komplettieren Olivias Hausgäste. Während Humm als Malvolio der List von Maria auf den Leim geht und sich nur allzu bereitwillig aufs Glatteis führen lässt, können Preen und Kämpfer als Sir Toby und Sir Andrew leider nicht überzeugen. Ihre „Männerfreundschaft“ wirkt über lange Strecken unecht, was sehr bedauerlich ist, denn gerade im Zusammenspiel mit Böhm und Gebbert wäre hier viel mehr möglich gewesen.

Es ist mehr als bedauerlich, dass nach dem überzeugenden Sommer-Musical „Romeo & Julia“ der Anschluss nicht gefunden wurde. Denn seither können die Neuinszenierungen nicht überzeugen und lassen die Zuschauer mit mehr Fragezeichen als Begeisterung zurück. Eine Ursache ist sicherlich, dass man in der Inszenierung wenig Raum für Frisches geschaffen hat. Gute Musik, eine schöne Bühne und eine einmalige Naturkulisse reichen dafür leider nicht aus.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: MFG-5 Gelände, Kiel
Besuchte Vorstellung: 10. Juli 2018
Darsteller: Rudi Hindenburg, Olga von Luckwald, Yvonne Ruprecht, Marko Gebbert, Imanuel Humm, Zacharias Preen, Christian Kämpfer 
Regie / Musik: Daniel Karasek / Martin Tingvall
Fotos: Olaf Struck