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Heimsuchung der Hauptstadt

Seit 10. Dezember gibt es die vierte Produktion von Roman Polanskis „Tanz der Vampire“ auf einer deutschsprachigen Musicalbühne zu sehen. Die Gerüchteküche kochte im Vorfeld hoch, sollte es sich doch um eine abgespeckte Version handeln, die tourneefähig ist. Um es vorwegzunehmen: Die Hauptstadt-Vampire bewegen sich tatsächlich in neuen Kulissen, anderen Szenen und dennoch fehlt nichts.

Das um fünf Darsteller verkleinerte Ensemble besticht vor allem durch die erfahrenen „Tanz der Vampire“-Darsteller und die deutschsprachigen Hauptdarsteller. Gerade in Szenen wie die „Roten Stiefel“ oder der Albtraum-Sequenz fällt das kleinere Tanzensemble ins Gewicht. Die Szenen wirken nicht mehr ganz so beeindruckend wie noch in Hamburg. Doch die Protagonisten helfen über dieses Manko hinweg: Thomas Borchert spielt den Vampirgrafen tadellos. Seine Bühnenpräsenz ist einschüchternd und seine stimmliche Leistungsfähigkeit scheint unbegrenzt. Das Objekt seiner Begierde, Sarah, wird von der diesjährigen UdK-Absolventin Lucy Scherer gespielt.

Sie ist der einzige Schwachpunkt in der Cast. Sie wirkt zu jung und ihre mangelnde Erfahrung wird an einigen Stellen deutlich. Zudem hört man von ihr mehrfach schiefe Töne. Auch wenn sie optisch perfekt auf die Figur der Wirtstochter passt, fallen einem doch spontan einige ehemalige Zweitbesetzungen der Sarah ein, die ihre Stelle besser ausgefüllt hätten.

Veit Schäfermeier gibt einen anderen Prof. Abronsius als in Hamburg. Mit viel freieren Interpretationen gibt er der Figur mehr Substanz und grenzt sich deutlich von der überzogenen Albert Einstein Karikatur aus vorherigen Inszenierungen ab. Sein Assistent Alfred wird von Alexander Klaws gespielt. Im Vorwege musste sich der „Deutschland sucht den Superstar“-Gewinner viel Spott und Häme gefallen lassen. Keiner mochte ihm eine Musicalrolle so recht zutrauen. Doch er straft alle Kritiker Lügen: Mit angenehm tiefer Stimme gibt er dem schüchternen Alfred eine unerwartete Bodenständigkeit. Schauspielerisch kann er mit den Musicalprofis durchaus mithalten, auch wenn sein ewig leidender Gesichtsausdruck seinem Charakter das Selbstbewusstsein gänzlich entzieht.

Der gar nicht mehr so extrem tuntige Sohn von Graf von Krolock, Herbert, wird von dem Norweger Haldor Laegreid gespielt. Man neigt dazu das klischeehafte und extravagante an dieser Rolle zu vermissen, doch auch in dieser „normaleren“ Version funktioniert der Quoten-Schwule sehr gut. Eine sichere Bank ist erneut Stefan Büdenbender, der als Koukol das Publikum in seiner schaurigen Maske erschrecken darf. Dass der Hüne nach Stuttgart und Hamburg auch in Berlin wieder allabendlich über die Bühne und durch den Saal kraucht, nimmt ihm sein Rücken sicherlich über – seine Fans danken es ihm.

Die Eltern von Sarah, Chagal und Rebecca, werden von Ulrich Wiggers und Maike Katrin Schmidt dargestellt. Während Maike Katrin Schmidt eine tadellose, aber unauffällige Wirtsfrau gibt, fällt Ulrich Wiggers eher unangenehm auf. Natürlich müssen Veränderungen – wie auch bei dieser neuen „Tanz der Vampire“ Fassung – nicht grundsätzlich schlecht sein, doch in diesem Fall war es ein Fehler, den lüsternen Wirt durch einen Deutschen zu besetzen. Dass Wiggers komödiantisches Talent besitzt hat er sowohl in „Mamma Mia!“ als auch als Thénardier in „Les Misérables“ lachmuskel-strapazierend unter Beweis gestellt. Aber in der Rolle des jüdischen Gastwirts fehlt es ihm an Spritzigkeit. Zudem fehlt der charmante osteuropäische Akzent, der diese Figur so authentisch gemacht hat. Schade.

Bleibt noch Katja Berg, die als Magda optisch perfekt passt und auch die Wandlung von der belästigten Dienstmagd zu besessenen Vampirfrau sehr gut umsetzt. Stimmlich erstaunt sie durch einige ungewöhnliche Phrasierungen, die der Stimmigkeit der Rolle jedoch keinen Abbruch tun.

Akustische Überraschungen erlebt man auch beim Orchestersound. Bernd Steixner (Musikalischer Leiter) muss mit ganzen sechs Musikanten weniger auskommen. Wenn man bedenkt, dass ursprünglich noch wesentlich mehr Mitglieder aus dem Orchestergraben hätten verbannt werden sollen, ist das, was er daraus macht aller Ehren wert. Dennoch bleibt ein bitterer Beigeschmack, wenn Streicher fehlen, die den Kompositionen von Steinman das Symphonische geben oder die Intensität der Rocknummern etwas gedämpft daher kommt.

Die größte Veränderung in der Inszenierung betrifft Alexander Klaws als Alfred: Sein Solo „Für Sarah“ singt er nun direkt im Anschluss an die Albtraum-Szene und nicht erst nachdem er seine Angebetete in der Badewanne überrascht hat. Diese Umstellung passte hervorragend, nimmt sie der Szene doch das Langatmige. Apropos Badewanne: Der Schaum, in dem sich Lucy Scherer lasziv räkelt, ist zum ersten Mal echt, was sie durch das Wegpusten von Schaumflocken unterstreicht. Weitere kleine Neuerungen sind der gesprungene Spiegel, der die Tanzszene von Alfred und Herbert noch spannender macht, eine Spielebene weniger, was dazu führt, dass Prof. Abronsius und Alfred auf dem Weg zur Gruft keine Doubles mehr brauchen und eine neue Bibliothek, in der sich der Professor an den Büchern erfreuen kann.

Die beiden Großkulissen – Wendeltreppe und Wirtshaus – sind sehr gut umgesetzt. Die Wendeltreppe fährt von der Seite auf die Bühne. Das nimmt dem Szenewechsel zwar etwas die Imposanz, aber der Ballsaal ist noch genauso beeindruckend wie in Hamburg oder Stuttgart. Das Wirtshaus hingegen ist komplett neu. Es besteht nicht mehr aus einem Kulissenteil, das immer im hinteren Teil der Bühne steht und bei Bedarf nach vorn gefahren wird. Nein, es steht auf einer Drehbühne und ist somit von allen Seiten und auf allen Ebenen bespielbar. Nach der „Knoblauch“-Szene ist dieser überraschende Effekt einfach großartig. Im Anschluss an die roten Stiefel fehlt der Szene jedoch etwas mehr Kompaktheit, da das Haus nicht mehr kurz vor den Bühnenrand geschoben werden kann – was das Erdrückende und Einschüchternde an von Krolocks Macht verdeutlicht hat – sondern bei der Bühnenhälfte stehen bleibt.

Der Theatersaal des Theater des Westens ist deutlich kleiner als in Hamburg und Stuttgart, dennoch wurde bei der „Einladung zum Ball“ darauf verzichtet, die Vampire auf die vielen Türen und Gänge zu verteilen, die das Haus bietet. Stattdessen stehen zwei Vampirgruppen in den Logen rechts und links oberhalb der Bühne und „erschrecken“ das Publikum mit grünen Handschuhen. Über diese Änderung sollte man durchaus noch einmal nachdenken, denn Vampire mit grünen Händen sind nicht wirklich gruselig.

Alles in allem jedoch ist die neue Berliner Inszenierung sehr gelungen. Es wurden Längen im Handlungsablauf beseitigt, die meisten Rollen gut und damit sicher besetzt. Auch für Fans und all jene, die den „Tanz der Vampire“ bereits woanders gesehen haben, gibt es in Berlin viel Neues zu entdecken. Eigentlich kann also nichts schief gehen.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Theater des Westens, Berlin
Premiere: 10. Dezember 2006
Darsteller: Thomas Borchert, Alexander Klaws, Lucy Scherer, Veit Schäfermeier
Regie / Musik: Roman Polanski  / Jim Steinman
Fotos: Stage Entertainment