home 2007 Broadway-Feeling im Schwabenländle

Broadway-Feeling im Schwabenländle

Endlich kann auch Deutschland am weltweiten Hype um die beiden Hexen von Oz teilhaben. Seit 15. November ziehen die grüne Elphaba und die aufmerksamkeitsheischende Glinda das Publikum im Palladium Theater in ihren Bann.

Stephen Schwartz’ Kompositionen funktionieren auch mit einem deutlich kleineren Orchester als am Broadway, die Ozianer begeistern auch in geringerer Anzahl als im West End. „Wicked“ ist eine perfekte Show, bei der von Musik über Bühnenbild bis hin zu Story und Kostümen einfach alles stimmt. Die Zuschauer werden in die magisch-grüne Welt von Oz hineingezogen und verlassen das Theater wie verzaubert.

„Wicked“ bringt mehr als nur einen Hauch von Broadway ins beschauliche Stuttgart-Möhringen. Die Standortfrage wurde lange diskutiert und auch nach der Show darf man auf die längerfristige Akzeptanz der Show durch das schwäbische Publikum gespannt sein. Der Boden für einen großen Erfolg ist in jedem Fall bereitet.

Das deutsche Ensemble braucht sich hinter seinen internationalen Kollegen nicht zu verstecken. Angelika Wedekind gibt eine hervorragende Madame Akaber (im Original Mme. Morrible), die mit viel Wortwitz und unterschwelliger Intriganz von der ersten bis zur letzten Minute überzeugt. Carlo Lauber nimmt man den „seelenvollen Mann“ und Zauberer von Oz durchaus ab, ein bisschen mehr manipulative Hinterhältigkeit würde seiner Interpretation jedoch gut zu Gesicht stehen. Dass Lauber weder ein herausragender Sänger und Tänzer ist, kann man ihm verzeihen. Nicole Radeschnig beweist viel Leidensfähigkeit als Nessarose und bleibt trotz ihres noch sehr jungen Alters vor allem wegen ihres lupenreinen Gesangs in Erinnerung. Stefan Stara gibt den Moq (im Original Boq) leider sehr hart und abgeklärt. Das Sympathische, Naiv-Verliebte des Manschkin-Jungen und das Mitleiderregende des späteren Blechmanns gelingt ihm jedoch nicht zu transportieren. Auch gesanglich lässt sich aus seinen beiden Songs sehr viel mehr herausholen.

Kommen wir zu den drei Hauptpersonen, aus deren Dreiecksbeziehung sich eine Geschichte mit großer Tragweite für ganz Oz entwickelt.

Mark Seibert, der als Fiyero die Wahl hat zwischen der hübschen und beliebten Glinda und der grünen und aufmüpfigen Elphaba, gibt den Beau nicht ganz so vergnügungssüchtig du egozentrisch wie in anderen Inszenierungen. Doch das schadet der Figur keineswegs, im Gegenteil: Der zusätzliche Tiefgang macht den Fiyero bedeutender für den Fortgang der Geschichte und hebt diese eher undankbare Herrenrolle aus dem Dasein als hübsches Anhängsel heraus. Optisch wie gesanglich lässt Seibert es an nichts vermissen. Sein schöner warmer Tenor passt ausgezeichnet zu Schwartz’ Popkompositionen.

Die schöne, beliebte und am Schluss der Show offiziell als „gut“ geadelte Glinda spielt die junge Lucy Scherer. Ein Springinsfeld voll überbordender Energie und Lebensfreude, der versucht, alle in seine rosarote Prinzessinnenwelt zu ziehen. Die Freude am Spiel ist der Regensburgerin in jeder Szene anzumerken. Besonders überzeugend gelingen ihr Szenen wie „Heiß geliebt“ (im Original „Popular“), wo sie quietschend über die Bühne springt und versucht, Elphaba von ihrem Lebensstil zu überzeugen. Durch ihre fröhliche und mitreißende Interpretation verzeiht man ihr auch, dass sie nicht alle Gesangspassagen 100%ig meistert. Es passt einfach zu dem Bild der gar nicht s perfekten Glinda.

Bleibt noch Elphaba, deren Liebe zu Fiyero einen Keil zwischen sie und Glinda treibt und deren Einladung zum Zauberer von Oz die Eifersucht Glindas noch weiter schürt.

Mit der Holländerin Willemijn Verkaik hat die Stage Entertainment eine Künstlerin verpflichtet, die optisch – mit Eleganz und Bühnenpräsenz -, stimmlich – ihr „Frei und Schwerelos“ (im Original „Defying Gravity“) ist einer von Idina Menzel kreierten Rolle mehr als würdig -, und schauspielerisch – ihre ausdrucksstarke Mimik ist atemberaubend – schlichtweg zauberhaft ist. Einfach wundervoll!

Ohne Zweifel können sich beide deutschen Hexen mit ihren Kolleginnen in London messen und würden nicht verlieren…

Kleinere Änderungen machen die Show Deutschland-kompatibel: Zahlreiche Anspielungen und Erläuterungen zum „Zauberer von Oz“, dessen Handlung „Wicked“ teilweise nachgelagert ist, teilweise parallel dazu verläuft, sollen das Publikum noch weiter in die magische Welt von Oz integrieren. Doch eigentlich braucht es diese Anspielungen nicht, denn „Wicked“ ist auch ohne die Rahmenhandlung eine zauberhafte Geschichte um eine sehr spezielle Freundschaft zweier Hexen wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten.

Optisch hält man sich weitestgehend an die internationalen Produktionsvorgaben. Lediglich das Astgeflecht wurde noch weiter in den Saal hineingezogen und ermöglicht so den fliegenden Affen bei ihrer Befreiung auch über die Köpfe des Publikums zu entfliehen. Ein toller Effekt!

Davon abgesehen, überzeugen Kostüm-, Masken- und Bühnenbildabteilungen auch in Deutschland auf ganzer Linie. Obgleich keine Disney-Produktion ist „Wicked“ an Farbenfreude kaum zu überbieten und liefert in vielen Szenen ein optisches Feuerwerk.

Der größte Unterschied zu den internationalen Produktionen liegt natürlich in der Sprache. Man hat sich hierzulande daran gewöhnt, dass bei Broadway- oder West End Importen jedes Wort übersetzt wird. Manchmal gelingt dies sehr gut, wie bspw. im Fall von „We Will Rock You“, manchmal wird, wie im Fall von „Mamma Mia!“ die deutsche Sprache doch sehr verbogen, um passend gemacht zu werden.

Die Trennung der Übertragung von Dialog- und Songtexten hat sich hierbei sehr bewährt. Bei „Wicked“ zeichnet erneut Ruth Deny („3 Musketiere“, „Mamma Mia!“, etc.) für die Adaption der Dialoge verantwortlich. Ihr Gespür für Pointen stellt sie mehr als einmal unter Beweis und so verzeiht man ihr auch Stilblüten wie „Dorothy’s Hündchen Lotto, nee Toto“. Spitzfindig und geistreich liefern sich die Protagonisten ihre verbalen Schlagabtausche dank Ruth Deny.

Auch bei den Songtexten von Michael Kunze gibt es nur wenig auszusetzen. Wer das Original nicht kennt, fühlt sich mit den Adaptionen des erfahrenen Musicalautors sehr wohl. Kritisch wird es nur dort, wo die Bedeutung von Inhalten verändert wird. Wenn von einem „Tag in der grünen Smaragdstadt“ gesungen wird, fragt man sich unweigerlich, ob es auch gelbe, rote und blaue Smaragde gibt (im Original heißt es „One short day in the Emerald City“). Aus dem kämpferisch-herausfordernden „Defying Gravity“ ein fröhliches „Frei und Schwerelos“ zu machen, zielt auch deutlich an der eigentlichen Aussage des Songs vorbei. Und wenn die Bürger von Oz konstatieren „Keiner weint um Hexen“ (im Original „No one mourns the Wicked“) scheinen alle zu vergessen dass auch Glinda eine Hexe ist. Doch wir wollen die Liste nicht zu lang werden lassen… Durch diese Uminterpretationen verschieben sich Inhalte und Beziehungen zwischen den Charakteren, die Kennern des Originals nur bedingt gefallen. Der größte Fauxpas ist jedoch der krampfhafte Versuch, das Wort „Wicked“ in der Inszenierung unterzubringen. Am Schluss von Fiyeros und Elphabas Duett „Solang ich Dich hab“ sagt Elphaba im Original „For the first time of my life I feel … wicked!“. Funktioniert perfekt und jeder weiß, was gemeint ist. Auf Deutsch sagt sie dann folgerichtig: „Zum ersten Mal im Leben fühle ich mich … wicked!“ Wie bitte??? Die Bedeutung des Wortes „wicked“ im Englischen ist vielschichtig und sicherlich nicht leicht zu übersetzen, doch warum man in dieser Szene vollkommen inkonsequent das englische Wort benutzt und nicht ein weitaus zweckdienlicheres und verständlicheres „verzaubert“ einsetzt, erschließt sich nicht.

Doch trotz dieser kleinen textlichen Schwächen ist „Wicked“ eine Show, die man in Deutschland gern länger sehen würde. Auch wenn das Wetter am Premierenabend sehr frostig war und das Premierenpublikum zwar begeistert, aber wenig wirklich frenetisch war, hoffen wir, dass sich dieser Import lange auf deutschen Bühnen halten wird. Denn „Wicked“ ist eine Show, die man – nicht nur als Musicalfan – gesehen haben muss!

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Apollo Theater, Stuttgart
Premiere: November 2007
Darsteller: Lucy Scherer, Mark Seibert, Willemijn Verkaik
Regie / Musik: Joe Mantello  / Stephen Schwartz
Fotos: Stage Entertainment