home 2006 Bewegende Maury Yeston Konzerte in Hamburg

Bewegende Maury Yeston Konzerte in Hamburg

Kaum jemand in Deutschland kennt Maury Yeston. Mit Glück erinnert man sich daran, dass der Broadway-Komponist „Titanic“ geschrieben hat, das ja immerhin 10 Monate in Hamburg gespielt wurde. Dass Maury Yeston jedoch mit zu den erfolgreichsten Musical-Komponisten der heutigen Zeit gehört, ist den wenigsten bekannt: Neben dem Untergangsdrama hat er auch mit seiner eigenen Phantom der Oper-Version, „Grand Hotel“ und „Nine“ mehr als nur Achtungserfolge am Broadway und West End erzielt.

Die vier Konzerte, die Anfang Januar in Hamburg stattfanden, waren in zwei klar getrennte Abschnitte geteilt. Im ersten Akt stand die deutsche Erstaufführung der „December Songs“ im Mittelpunkt – Songs, die inspiriert wurden durch Franz Schuberts „Winterreise“ und von Maury Yeston für die amerikanische Schauspielerin und Sängerin Andrea Marcovicci geschrieben wurden.

Die elf Lieder zeigen einen gefühlsmäßigen Bilderbogen: Von Hoffnung und Liebe, über Sehnsucht, Erinnerung und Trauer drücken die in Deutschland bisher unbekannten Stücke eine große Bandbreite an Emotionen aus.

Die Intensität dieser Emotionen wurde vor allem getragen durch die feinfühligen Adaptionen der Texte durch Wolfgang Adenberg, der es vermied, die bestehenden Texte einfach zu übersetzen, sondern diese in eine zeitgemäße junge Sprache übertrug, die nicht nur dem Publikum bei genauem Hinhören die Tränen in die Augen trieb. Ein weiterer Faktor, der das Erlebnis der „December Songs“ nachhaltig beeinflusste war das großartige Ensemble bestehend aus Cornelia Drese, Charlotte Heinke, Valerie Link, Jens Janke, Jörg Neubauer und Artur Molin. Jede/r kehrte scheinbar sein Innerstes nach außen und konnte mit vielen Songs persönliche Erinnerungen verbinden (siehe Interview), die in Form von sichtbarer Ergriffenheit in die Interpretation jedes einzelnen Songs Ausdruck fanden.

Die schummrige Atmosphäre im stage club, das spartanische Bühnenbild (bestehend aus einem einzelnen Hintergrundbild), die stimmungsvolle Beleuchtung und die gespannte Erwartung des Publikums trugen ihr übriges dazu bei, den ersten Akt zu einem wahren musikalischen Hochgenuss zu machen. Die sparsam eingesetzte Regie von Daniel Witzke trug der emotionalen Tragfähigkeit dieses Liederzyklus Rechnung und verzichtete komplett auf das Erzählen einer Geschichte. Im ersten Akt saßen einfach alle sechs Künstler in düsteren Kostümen auf ihrem Stuhl auf der Bühne und nur der jeweils singende Akteur stand im wohl dosierten Rampenlicht vor seinen Kolleginnen und Kollegen.

Nachdem der letzte Ton der „December Songs“ verklungen war, brauchte das Publikum die wohlverdiente Pause, um die Vielfalt der dargebotenen Emotionen „zu verarbeiten“. Denn was nach der Pause kam, kann man getrost unter „leichter Kost“ verbuchen. Obgleich Maury Yestons Kompositionen nicht zu den eingängigsten der Musicalwelt gehören, so brachte die Auswahl der Lieder dem Publikum den Komponisten doch näher. Ein Highlight war „A call from the Vatican“, in dem Charlotte Heinke ihr komödiantisches Potential ausspielen konnte und als frivole Bar-Maus sichtbar viel Spaß am Telefon-Flirt mit ihrem „Guido“ hatte. Auch Cornelia Drese als zickige Operndiva, die ihrem Anspruch auf jede Erstbesetzung mit dem Song „Dies Haus ist mein“ Ausdruck verschaffte, war bemerkenswert.

Die etwas andere Art der Liebeserklärung lieferte Jens Janke mit „Love can’t happen“ aus „Grand Hotel“: Er kam als Vielreisender mit seinem Trolley in den stage club und liebkoste diesen nach allen Regeln der Kunst (und Komik) – einfach großartig! Valerie Link war für die leiseren Töne zuständig, bewies aber mit „I want to go to Hollywood“, dass ihr eine gewisse Aggressivität genauso gut zu Gesicht steht wie die liebevolle Enkelin im ersten Akt. Auch Jörg Neubauer, der das Hamburger Publikum aus dem Effeff kennt, hatte mit den für ihn ausgewählten Balladen wie „My true love“ leichtes Spiel: Gefühlvoll und souverän interpretierte er die nicht immer einfachen Songs aus Maury Yestons „Phantom“.

Bleibt noch der „Ersatzmann“ Artur Molin: Ursprünglich als Ersatz für den verhinderten Patrick Stanke engagiert, machte der Absolvent der Folkwang Hochschule deutlich, dass er als Ersatzmann eine komplette Fehlbesetzung war: Er war die ideale Erstbesetzung! Wie er seinem imaginären Sohn die „New Words“ beibringt, war einfach herzerfrischend.

Die letzten fünf Stücke standen ganz im Zeichen von „Titanic“: Jens Janke und der plötzlich doch verfügbare special guest Patrick Stanke schöpften aus dem Vollen und das Publikum dankte es mit jubelndem Applaus. Bei der Abschiedsmelodie „Wir sehn uns wieder“ schluckten nicht wenige im Publikum in Erinnerung an die großen Gefühle, die die musicalische „Titanic“ in Hamburg hervorgerufen hat. Unterstützung bekam das inzwischen siebenköpfige Ensemble während der letzten beiden Songs von Studenten des 3. Semesters der JvdEA, die sich hinter dem früheren „Titanic“-Ensemble nicht verstecken brauchen.

Gesanglich lässt sich aus diesem Ensemble niemand hervorheben: Alle sieben boten Unterhaltung und Gesang auf allerhöchsten Niveau.

Von solchen liebevoll umgesetzten Konzerten darf – und wird (soviel sei an dieser Stelle verraten) – es Zukunft gern weitere geben.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Stage Club, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 7. Januar 2017
Darsteller: Cornelia Drese, Charlotte Heinke, Valerie Link, Jens Janke, Jörg Neubauer, Artur Molin
Musik / Regie: Maury Yeston / Daniel Witzke
Fotos: Two for One Entertainment