home 2004 Shockheaded Peter – ein sehr gewöhnungsbedürftiges Musical…

Shockheaded Peter – ein sehr gewöhnungsbedürftiges Musical…

Struwwwelpeter ist eine musikalische Bearbeitung des berühmt-berüchtigten Buches von Dr. Heinrich Hoffmann. Die britischen Regisseure Julian Crouch und Phelim McDermott inszenieren die groteske Geschichte eines Theaterdirektors, der bei dem Versuch, dem Publikum unter Aufbietung süßlicher Musik einen netten Abend zu bereiten, selbst Opfer geheimnisvoller Vorgänge wird.

Kult oder nur die schrecklich verzerrte Bühnenfassung des fast 160 Jahre alten Kinderbuchs von Dr. Heinrich Hoffman? Soviel ist sicher: An der Struwwwelpeter-Bearbeitung von Julian Crouch und Phelim McDermott scheiden sich die Geister.

Seit November 2000 gehört die „groteske Geschichte eines Theaterdirektors, der von seiner Truppe im hohen melodramatischen, das heißt höchst unterhaltsamen Stil, das Drama eines erst herbeigesehnten, dann unheimlichen Kindes aufführen lässt“ – so die Inhaltsbeschreibung des Theaters – zum Repertoire des Hamburger Schauspielhauses.

Eröffnet wird das Stück von dem skurrilen Theaterdirektor (Alexander Simon), der das potentiell nervenschwache Publikum zunächst einmal eindringlich vor all den Scheußlichkeiten warnt, die es an diesem Abend erwarten darf. Die Rolle des Theaterdirektors erinnert in ihrer Verschrobenheit, ebenso wie in den sich explosionartig entladenden Stimmungsänderungen, durchaus an die Kultfigur des Frank’n’Furter aus der „Rocky Horror Show“. Alexander Simon erweckt diese furchteinflößenden, dem wahren Leben ziemlich entrückten Gestalt beklemmend viel Leben ein.

Die verschiedenen Episoden aus Hoffmans Kinderbuch werden in ca. eineinhalb Stunden ohne Pause präsentiert, wobei der Theaterdirektor als Moderator durch die Abend führt. Dargestellt werden Struwwwelpeter, Zappel-Philip, Paulinchen, Hans-Guck-In-Die-Luft und wie sie alle heißen von lediglich vier Darstellern und zwei Puppenspielern. Auch der Direktor schlüpft ein ums andere Mal in eine der schrägen Rollen.

Musikalisch untermalt und begleitet – falls man das bei der Musik der Tiger Lillies überhaupt so nennen darf – wird das Ensemble von einer fünfköpfigen Kapelle, die ihren Instrumenten teilweise mehr abverlangt als ein menschliches Gehör zu Fassen in der Lage ist. Der Gesang von Wiebke Puls (selten habe ich eine so androgyne Frau auf einer Bühne gesehen – brillant) tut sein übriges, um dieses Stück zumindest musikalisch als fragwürdig einzustufen. Dennoch sind die Texte – mal dicht dran am Original, mal ultra-modern vorgetragen – absolut hörenswert.

Die Kulissen von Graeme Gilmour sind ganz hervorragend ausgearbeitet und sorgen mit vielen Details (Standuhr, Sessel, Meeresbrandung, Winterwald) für immer wieder überraschend schräge Bühnenbilder.

Auch die Puppen entstammen der Kreativität Graeme Gilmours und sorgen in ihrer Intensität für spannende Momente. Gerade der schonungslose Einsatz der Puppen ist meines Erachtens nicht wirklich für Kinder geeignet. Insofern kann ich die Empfehlung des Theater – geeignet für Kinder ab 10 Jahre – nicht teilen!

An der Qualität von Ensemble und Inszenierung gibt es nicht zu deuteln. Es wird Unterhaltung auf sehr hohem Niveau geboten. Doch der sehr ungewöhnliche Umgang mit Musik, Bühnenbild und Kostümen und deren außergewöhnliche Kombination sorgen sicherlich bei dem ein oder anderen Zuschauer für Verwirrung.

Die Macher haben schon gewusst, warum sie dieses Stück ohne Pause inszenierten. Die gewollt provokante Darstellung stößt nicht bei allen Besuchern auf Wohlwollen. So war dann auch am 5. April 2004 von „Schluss“-Rufen über johlenden Beifall alles zu hören, was ein Musiktheater-Publikum auf Lager hat.

Michaela Flint
veröffentlicht auf musicalzentrale.de

Theater: Schauspielhaus, Hamburg
Premiere: 5. April 2004
Darsteller: Tiger Lillies