home 2004 15 Pinkel-Pausen von Lübeck nach St. Tropez

15 Pinkel-Pausen von Lübeck nach St. Tropez

Die Geschichte von Albert (alias Albin alias Zaza), seinem Partner Georges und dessen Sohn Jean-Michel, der sich in die Tochter eines stockkonservativen Moralisten verliebt, ist spätestens seit der entstaubten Hollywood-Verfilmung „The Birdcage“ (mit Nathan Lane als Albert und Robin Williams als George) einem breiten Publikum bekannt. Doch die Bühnenfassung von Harvey Fierstein und Jerry Herman kennen viel zu wenige.

Nicht erst seit der gelungenen „My Fair Lady“-Inszenierung der vergangenen Spielzeit wissen die Gäste des Theater Lübeck, dass sie von den dortigen Musiktheater-Produktionen – sowohl vom Ensemble als auch von Regisseur Thomas Mittmann – eine hohe Qualität erwarten dürfen. Und so verwundert es nicht wirklich, dass die Gratwanderung zwischen Travestie-Komödie und den doch ernsteren Untertönen im Leben eines homosexuellen (Eltern-)Paares ausgezeichnet gemeistert wird.

Georges leitet einen berühmten Travestie-Club in St. Tropez, in dem sein Partner Albert als Zaza mit allem divenhaften Charme der Star jeder Show ist. Steffen Kubach gibt einen wunderbar überempfindlichen Albert und auch wenn seine maskuline Statur dies nicht wirklich vermuten lässt, gibt er in Pumps und Kleidern eine richtig gute Figur ab.

Doch optisch stehlen die 10 ‚Cagelles’, allen voran Martin Hirner als Mercedes, jedem anderen auf der Bühne die Schau: Ihre schier endlos langen Beine stecken in High-Heels und die Sicherheit, mit der sich die zehn Tänzer über die Bühne bewegen, versetzt so manche Dame im Publikum in Erstaunen. Ihre Szenen zeigen die gut durchdachte Choreographie von Pascale Chevroton bis ins kleinste Detail.

Rainer Luxem hat seine liebe Müh als Conferencier Georges die Allüren „seines“ Stars zu ertragen. Zudem hat er in Steffen Kubach einen Partner, der ihm gesanglich haushoch überlegen ist. Doch durch sein sympathisches Spiel zwischen Verzweiflung, tiefer Liebe zu Albin und fürsorgendem Vater für Jean-Michel macht er dieses kleine Manko absolut wieder wett.

Der ehemalige „Starlight Express“-Darsteller Laurent N’Diaye hat seine Rollschuhe an den Nagel gehängt und stöckelt stattdessen in halsbrecherisch hohen Lackpumps und Supermini über die Bühne. Er gibt immer wieder lautstark zu verstehen, dass er viel lieber die Zofe Claudine wäre als der Diener Jacob, doch trotz seines durchdringenden Jaulens bleibt sein verrücktes Lachen im Ohr, dass immer wieder ansteckend auf das Publikum wirkt – nicht zuletzt sicherlich auch deshalb, weil vor allem mit seiner Rolle zahllose Klischees über Homosexuelle bedient werden.

Jean-Michael-Darsteller Alexander Gronen ist fast ein wenig zu jungenhaft, obgleich er seinen Part als liebestrunkener Sohn eines gleichgeschlechtlichen Paares, der wegen seiner konservativen Schwiegereltern in arge Bedrängnis kommt, sehr überzeugend spielt.

Von den verbleibenden Protagonisten bleibt lediglich Katharina Schutza im Gedächtnis, die dem Moralminister Dindon als Jacqueline hilft, sein Gesicht vor der Presse zu wahren.

Die Ausstattung von Wolfgang Buchner schafft den Spagat zwischen biederem Bürgertumsschick der Dindons und aufreizend-lasziven Flitterkostümen der Cagelles im wahrsten Sinne des Wortes glänzend. Auch die Szenenbilder (Bühne/Backstage-Bereich des Clubs und Wohnzimmer von Georges und Albert) bestechen durch ‚kleine’ Details wie rosa beleuchtete (männliche) Rückansichten oder sich drehende Spiegelsäulen. Mit dieser Ausstattungsleistung steht das Theater Lübeck größeren Häusern in nichts nach.

„La Cage aux Folles“ ist erneut eine rundum gelungene Musical-Produktion. Dazu tragen auch die von Steffen Kubach mit viel Gefühl intonierten Songs wie „Ich bin was ich bin“ in vollem Umfang bei. Das Stück ist genau das richtige für Freunde des Extravaganten – mehr als zweieinhalb Stunden Spaß, ohne dabei billig zu wirken.

Ein Wort noch zur Ouvertüre: Die auf der Leinwand präsentierte Reise von Lübeck an die Côte d’Azur überbrückt das etwas unruhige Auftakt-Arrangement von Jerry Herman und ihre Originalität schürt die Spannung auf das, was da noch kommen mag.

Michaela Flint
veröffentlicht auf musicalzentrale.de

Theater: Großes Theater, Lübeck
Premiere: 24. September 2004
Darsteller: Steffen Kubach, Rainer Luxem