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Eine verkrampfte Neu-Inszenierung ohne Charme

Im September 2015 hob sich für „Mozart!“ 14 Jahre nach der Derniere der allerersten Produktion erneut der Vorhang in Wien. Diesmal war jedoch nicht mehr das Theater an der Wien die Heimstatt des erfolgreichen deutschen Musicalexports, sondern das Raimund Theater.

Nach mehr als 20 Inszenierungen in Europa und Asien kam für diese Wiederaufnahme das Kreativteam von 1999 erneut zusammen und versprach eine außergewöhnliche neue Fassung: Harry Kupfer (Regie), Yan Tax (Kostüme), Dennis Callahan (Choreographie) und Hans Schavernoch (Bühnenbild) haben schon die Weltpremiere geschaffen. Auch Michael Kunze (Buch und Liedtexte) und Sylvester Levay (Musik) haben sich für die Neu-Inszenierung einige Neuerungen überlegt und zudem ein neues Liebesduett zwischen Mozart und seiner Constanze komponiert.

Wer also „Mozart!“ bereits zuvor in Wien, Hamburg oder Tecklenburg besucht hatte, sah dem neuen „Mozart!“ gespannt und voller Vorfreude entgegen.

Schon während der, durch starke Nebengeräusche beeinträchtigten, Ouvertüre zeigt sich einer der wesentlichen Unterschiede: Die Bühne ist hell, im Hintergrund werden (unscharfe) Fotos und Gemälde eingeblendet. Dieses Setting bleibt während der gesamten Aufführung weitgehend unverändert. Es gibt nur sehr wenige Großkulissen (bspw. der Bischofsstab, vom dem später in der Show Leopold Mozart herabsteigt). Das Ensemble bringt seine Stühle mit auf die Bühne, platziert diese dem Szenenthema entsprechend oder tanzt mit ihnen. Die Sinnhaftigkeit dieser Stühlerückerei bleibt dem Zuschauer verborgen.

Yan Tax hat die Kostüme teilweise einer argen Modernisierung unterzogen: die Baronin von Waldstätten tritt in drei farblich identischen Abendkleidern auf, wie sie auch heutzutage auf dem Wiener Opernball getragen werden könnten. Ihre Eleganz und Erhabenheit beeinträchtigt dies jedoch nicht.

Mozart selbst ist komplett in weiß gewandet, was seine Verletzlichkeit unterstreicht; der rebellenhafte Charakter bleibt hier jedoch auf der Strecke. Dies liegt sicherlich auch daran, dass es die bekannte Rastaperücke nicht mehr gibt und der Hauptdarsteller mit seiner natürlichen Frisur auf der Bühne steht.

Apropos Perücken, hier wurden ebenfalls deutliche Abstriche gemacht: Die feine Wiener Gesellschaft und die ihr eigene Extravaganz lässt sich an der braven Haarpracht und den lediglich farblich unterschiedlichen VoKuHiLa-Kleidern nicht mehr ablesen.

Colloredo, Leopold und Nannerl Mozart hingegen haben sich optisch gar nicht verändert. So wirken diese Figuren bei all den anderen Veränderungen fasst schon wie ein Ruhepol. Auch bei Familie Weber und Constanze hat sich kostümseitig nur wenig getan, außer dass diese durch die Kleidungsfetzen und den Einsatz von löchrigen Jeans jetzt eher an eine Prilblumen-Hippie-Kommune erinnert.

Doch wenden wir uns dem Inhalt zu. Alle Szenen wurden neu gestaged, was beispielsweise bei „Ich bin Musik“ dazu führt, dass dem Song durch zahlreiche Unterbrechungen Intensität genommen wird.

Interessant ist auch, dass Mozart sein Genie, den kleinen Amadé, direkt anspricht und ins Spiel einbezieht. Das passt so gar nicht zu dem ursprünglichen Bild, dass Amadé als sein genialer Schatten im Hintergrund und für andere unbemerkt agiert.

Erstaunlich und sehr bedauerlich ist, dass Constanze bei „Irgendwo wird immer getanzt“ eher an eine depressive, alleingelassene Ehefrau erinnert als an das Energiebündel, als das sie in früheren Inszenierungen ihrem Frust Ausdruck verliehen hat. Die Intensität dieses Songs verpufft gänzlich.

Dass sich Mozart bei seiner Auflehnung gegen den Fürsterzbischof hinter dem Piano stehen bleibt und sich dadurch unnötig klein macht gegenüber dem Fürsten, nimmt der Szene „Ich bleibe in Wien“ ihre Aussagekraft.

Zu den ewig fraglichen Szenen zählt auch weiterhin „In Salzburg ist Winter“. Auch die neuen Fassung gibt keinen Aufschluss über den weiteren Sinn der Szene, außer das Ensemble in Gänze Tanzen und singen zu lassen. In diesem Fall hopsen die Darsteller mit ihren Stühlen über die Bühne, was die Szenerie noch lächerlicher macht.

Doch es gibt auch nach wie vor die Szenen, die den inneren Kampf und die Auseinandersetzung Mozarts mit seiner Umwelt, insbesondere seinem Vater, zeigen: „Was für ein grausames Leben“ und „Wie wird man seinen Schatten los?“ gehören dazu. „Warum kannst Du mich nicht lieben?“ gehört zu den wenigen ganz pur inszenierten Momenten, in denen der singende Charakter im Mittelpunkt steht und der Zuschauer durch nichts abgelenkt wird.

Musikalisch hat sich ebenfalls einiges getan: „Die Wunder sind vorüber“ hat eine neue Melodie bekommen, „Ich bin extraordinär“ wird dank E-Gitarre und Schlagzeug zu einer fulminanten Rocknummer. Cäcilia Weber setzt ihre Tochter Constanze mit „Du hast ihn an der Angel“ sehr unter Druck. Der Song ist genauso neu wie das Liebesduett „Wir zwei zusammen“, das die liebevolle Beziehung von Mozart und Constanze sehr trefflich beschreibt.

Als eher schwierig stellt sich das neue Arrangement von „Papa ist tot“ heraus: Die Parts von Nannerl und Constanze sind teilweise so disharmonisch, dass man überhaupt nicht verstehen kann, was die Damen singen.

Denjenigen, die sich wünschten, in einem Musical über Mozart auch mehr von seinen Kompositionen zu hören, wird ebenfalls Genüge getan: Allein die „Zauberflöte“ wird in einem Medley mehr als eine Minute gespielt. Zahlreiche weitere Einspielungen („Titus“ etc.) wurden ebenfalls in das Stück eingeflochten.

Das finale, ebenfalls neue, Duett von Mozart und seinem neidvollen Erzfeind Colloredo „Der einfache Weg“ erinnert mehr an „Elisabeth“ und mag nicht so ganz zu „Mozart!“ passen.

Beim Finale, Mozarts Tod, besingt das Ensemble „Das Wunder Mozart“ vor eingeblendeten Notenblättern und Programmheften von Opernhäusern. Hierzu zählen auch die Met und die Sydney Opera, die zu Mozarts Lebzeiten sicherlich nicht mit seinen Werken bespielt wurden. Am Ende bleiben als einzige Mozart und Amadé vor einer überdimensionalen Einblendung von Wolfgang Amadeus Mozarts Konterfei auf der Bühne.

Das Kreativteam hat an Eindrücken und Modernisierungen seiner neuen Fassung nicht gespart. Doch genau dies ist es, was diese Inszenierung so diskussionswürdig macht: Die ständig wechselnden Einblendungen im Hintergrund lenken zu sehr vom Bühnengeschehen ab und sind nur selten eine passende Ergänzung der eigentlichen Szenerie. Einige Kostüme wurden modernisiert, andere sind unverändert, wieder andere sind irgendetwas dazwischen. Auch hiermit sorgt man für mehr Verwirrung und nimmt dem Publikum die Chance, sich auf die eigentlichen Charaktere zu konzentrieren.

Doch auch an der Personenregie hat Harry Kupfer einiges verändert. Die Figuren sind deutlich weniger stark ausgeprägt als in früheren Inszenierungen und kaum einem gelingt es, seine Rolle so zu interpretieren, dass sie dem Zuschauer im Gedächtnis bleibt. Zu den Ausnahmen gehören Thomas Borchert (Leopold Mozart) und Barbara Obermeier (Nannerl). Gernot Romic (Wolfgang Mozart) und Ana Milva Gomes (Baronin von Waldstätten) holen alles aus ihren Charakteren heraus, was nach der Überarbeitung noch möglich ist.

Jon G. Goldsworthy hat als Graf Arco ein gutes Auftreten, er kuscht nach oben und tritt nach unten. Familie Weber, allen voran Cäcilia (Susanna Panzner) ist laut und überzeugt durch ihre Durchtriebenheit, doch bleibt sie alles in allem recht fad. Schade, dass gerade Cäcilias überkandideltes, extravagantes Verhalten nicht mehr erkennbar ist.

Barbara Obermeier macht als Nannerl eine glaubhafte Wandlung von der schüchternen, traurigen kleinen Schwester zur selbstbewussten jungen Frau durch. Ihr Bedauern über den Wegzug des Bruders („Der Prinz ist fort“) gehört zu den schönsten und zugleich traurigsten Stücken des Abends.

Emanuel Schikaneder, dem die Vereinigten Bühnen Wien in der kommenden Spielzeit ein eigenes Musical widmen, wird von Martin Pasching sehr gut gespielt. Es ist eine kleine, aber für das Geschehen nicht unwesentliche Rolle, was Pasching gut umzusetzen weiß.

Als Wegbereiterin Mozarts, Baronin von Waldstätten, steht Ana Milva Gomes auf der Bühne des Raimund Theaters. Ihre warme Stimme passt gut zu der selbstbewussten Baronin und obgleich Gomes im Verhältnis sehr jung ist, gelingt es ihr, die über jeden Zweifel erhabene Dame der Wiener Gesellschaft glaubhaft darzustellen. Mark Seibert gibt den nicht weniger mächtigen Fürsterzbischof Colloredo. Er agiert durchaus rollendeckend, aber man vermisst die akzentuierten, selbstherrlichen Gesten, die Felix Martin in Hamburg perfektioniert hat. Aus den gesungenen Schlagabtauschen mit Mozart (Romic) geht er keinesfalls immer als Sieger hervor.

Ein weiterer starker Charakter, mit dem sich Wolfgang Mozart zeitlebens auseinandersetzte, war sein Vater. Thomas Borchert hat diese Rolle bereits bei der Uraufführung 1999 gespielt und kann aus dem Vollem schöpfen. Er ist streng, kann aber auch Gefühle zeigen. An seiner Interpretation gibt es nichts zu deuteln und man ist dankbar, dass dieser unbeugsame Charakter mit einem so erfahrenen Darsteller besetzt wurde.

Bleibt noch Franziska Schuster als Constanze Weber/Mozart/Nissen. Ihr gelingt es mit jugendlicher Leichtigkeit, Mozart den Kopf zu verdrehen und sie spielt die quirlige Rumtreiberin sehr gut.

Angeführt wird das Ensemble von Gernot Romic, der als Zweitbesetzung von Wolfgang Mozart zu sehen ist. Dessen jungenhaften Charme und die Gleichgültigkeit gegenüber Machtpersonen kann er sehr glaubhaft über die Rampe bringen und auch wenn nicht alle Töne hundertprozentig sitzen und einige Passagen zu schnell für ihn scheinen, weiß er als Freigeist Wolfgang Mozart zu überzeugen.

Was lässt sich als Fazit für diese Neu-Inszenierung festhalten? Manchmal ist es einfach gut, etwas Funktionierendes nicht zu ändern. Durch die vielen Projektionen, die Szenenwechsel mittels Stuhlverschiebungen und die uneinheitliche Linie bei den Kostümen wird das Publikum stark vom eigentlichen Inhalt und der Hauptfigur abgelenkt. Auch die geänderten Arrangements und neue Texte, die sich nicht reimen, gepaart mit schwach ausgearbeiteten Charakteren lassen diese Inszenierung nicht überzeugend wirken.

Die neue Generation Musicalbesucher kennt nur diese Inszenierung, die in der kommenden Spielzeit auf Tour geschickt wird. Ob sich diesen Zuschauern der Hype vermittelt, der einst von diesem dunklen, charakterstarken Musical ausging? Ich wage dies zu bezweifeln.

Michaela Flint

Theater: Raimund Theater, Wien
Besuchte Vorstellung: 12. Dezember 2015
Darsteller: Gernot Romic, Ana Milva Gomes
Regie / Bühne: Harry Kuper / Hans Schavernoch
Fotos: VBW / Deen van Meer 2015