home 2003 Ein farbenfrohes Pyramidenspektakel

Ein farbenfrohes Pyramidenspektakel

»Aida« erzählt die Geschichte von der gleichnamigen nubischen Prinzessin, die sich in den Sohn ihres größten Feindes verliebt und beide dadurch in einen Gewissenskonflikt stürzen, aus dem es nur einen fatalen Ausweg gibt…

Die Musical-Adaption von Verdis großer Oper stammt aus der Feder von Elton John und Time Rice. Das allein ist beinahe schon eine Erfolgsgarantie! Addiert man hier nun noch Michael Kunze als Übersetzer und Verfasser der deutschen Texte sowie Wayne Cilento als Choreograph, Bob Crowley als Bühnen- und Kostümdesigner und die mit einem Tony Award ausgezeichnete Natasha Katz als Lichtdesignerin hinzu, kann eigentlich gar nichts mehr schief gehen.

Am 5. Oktober war es dann soweit: Der Vorhang für eine der erfolgreichsten Broadway-Shows der letzten Jahre hob sich im Colosseum Theater Essen vor 1700 gespannten Premierengästen.

Die Handlung beginnt in einem Museum der heutigen Zeit, in dem mehr als 3500 Jahre alte Relikte und Statuen der ägyptischen Pharaonen ausgestellt sind. Unerwartet löst sich die Statue der Amneris von ihrem Sockel und beginnt die Geschichte von Radames, dem obersten und erfolgreichsten Kriegsherrn seiner Zeit, und Aida, einer nubischen Prinzessin, die als Sklavin von ihm gefangen genommen wird, zu erzählen. Es geht um Liebe und Hoffnung, Traditionen und Verpflichtungen – jede der drei Hauptfiguren hat ihr Päckchen zu tragen:

Das verwöhnte Pharaonentöchterchen Amneris sorgt sich um die aktuellste Mode und versucht alles, um ihren Dauerverlobten Radames endlich vor den Traualtar zu bekommen. Doch der möchte sich gar nicht binden und absolviert stattdessen lieber einen Feldzug nach dem anderen. Doch damit zieht er sich den Ärger seines Vaters Zoser zu, für dessen intrigante Machtergreifungspläne es unerlässlich ist, seinen Sohn mit der Tochter des mächtigen Pharaos zu verheiraten. Und schließlich ist da Aida, die als unerkannte nubische Prinzessin von Radames versklavt und an Amneris verschenkt wird. Gibt sie sich zu erkennen, wird Vater, der nubische König Amonasro, getötet; verschweigt sie ihre wahre Herkunft wird ihr Volk weiterhin misshandelt. Als wäre das nicht schon verzwickt genug, verlieben sich Aida und Radames auch noch ineinander – eine aus allen Blickwinkeln unmögliche Liebe!

Wie die Geschichte ausgeht, kann nicht verraten werden, da hiermit ein wesentlicher Effekt der Show vorweg genommen würde. Nur soviel sei gesagt: Es gibt heiße Liebesstunden unter dem ägyptischen Sternenhimmel, Hochzeitspläne, Widerstand gegen die Väter und ein einsichtiges Staatsoberhaupt, das die Liebenden bis in den Tod zusammen sein lässt.

Für die Rolle der Aida wurde nach wochenlangen Auditions Florence Kasumba ausgewählt. Ihre härteste Konkurrentin, die Hamburgerin Oceana, wurde als alternierende Aida engagiert. Die junge Uganderin – bisher als Lisa im »Mamma Mia!«-Ensemble zu sehen – hat sich mit ihrem Alter Ego scheinbar noch nicht so recht angefreundet. Ihr Spiel wirkt phasenweise etwas steif und hölzern und dass sie dem Kriegsherrn Radames irgendwelche warmen Gefühle entgegenbringt, kann sie nicht vermitteln. Das ist sehr bedauerlich, steht gerade diese Liebe doch im Mittelpunkt und soll die Herzen der Zuschauer berühren. Obwohl Florence Kasumba eine schöne soulige Stimme hat, wird sie der anspruchsvollen Partitur von Elton John nicht gerecht. Zu häufig wird sie vom Ensemble oder ihrem Duettpartner übertönt. Stücke wie „Die Götter lieben Nubien“ oder „Easy as Life“ verlieren dadurch sehr an Ausdruckskraft.

Man sollte ihr jedoch die Zeit geben, ihre eigene Interpretation zu finden, und sie nicht mit Heather Headley (Aida in der Uraufführung) oder der aktuellen Broadway-Aida Toni Braxton vergleichen.

Mathias Edenborn macht als Soldat eine sehr gute Figur. Seine stattliche und zugleich jungenhafte Erscheinung stützen den Eindruck, Radames sei ein konfliktscheuer Mensch, der erst aus sich herauskommt als ihn Amors Pfeil mitten ins Herz trifft. Er kämpft überzeugend für seine Liebe und überwirft sich mit dem Vater. Der Härte und Aggression im Kampfduett mit Zoser („Wie Vater, so Sohn“) setzt er viel Einfühlungsvermögen und Sanftheit gegenüber als er Aida (und sich selbst) seine Gefühle gesteht („Elaborate Lives“).

Mathias Edenborn kann jedoch nicht verhehlen, dass er Schwede ist. Kleine Texthänger oder Sprachbarrieren sollte er schnellstmöglich ausbessern, damit er gänzlich begeistert.

Die (nicht wirklich heimliche) Hauptdarstellerin ist Maricel. Sie hat nach eigener Aussage in Amneris ihre Traumrolle gefunden und stellt schauspielerisch ihr ganzes Können unter Beweis. Die Entwicklung vom schnippischen Modepüppchen zur weisen Herrscherin zeichnet sie pointiert und einfühlsam nach. Dass sie sich auch stimmlich seit »Mozart!« deutlich weiterentwickelt hat, ist nicht zu überhören. Locker stellt sie alle anderen Darsteller in den Schatten und gewinnt – trotz oder gerade wegen der anfänglich sehr glaubwürdigen Zickigkeit – die Herzen und das Mitgefühl der Zuschauer für sich. Dies merkt man unter anderem am langen Szenenapplaus (beispielsweise nach der prachtvollen Modenschau „Mein Sinn für Stil“) aber auch an dem mit Abstand tosendsten Schlussapplaus für die Künstlerin.

Neben Maricels Auftritten zählen auch die von Kristian Vetter als Zoser zu den absoluten Highlights. Wann immer er mit seinen Ministern die Bühne betritt, wird ein choreographisches Feuerwerk sondergleichen entfacht, das er durch seine kraftvolle Stimme ergänzt. Die außergewöhnliche Choreographie von »Aida« ist seit langem eine der komplexesten, die auf einer deutschen Musicalbühne geboten wird. Die Perfektion mit der Tänzer und Orchester aufeinander abgestimmt sind, ist atemberaubend. Hier hat Wayne Cilento wirklich ganze Arbeit geleistet!

Das Bühnenbild von Bob Crowley erinnert die Gäste daran, dass sie sich in einer perfekten Disney-Produktion befinden. Farbenfroh und kontrastreich wird der Gegensatz zwischen den reichen Ägyptern und den bettelarmen Nubiern dargestellt. Der Swimmingpool, aus dem Amneris im ersten Akt auftaucht, ist bühnenfüllend und der darstellte Nil, an dem die nubischen Sklaven die Wäsche ihrer Herrin waschen versiegt in der unendlichen Weite der Bühne.

Bei den Kostümen sind es vor allem klare, gerade Linien die im Mittelpunkt stehen. Die einzige Ausnahme bilden die imposanten Kleider und Hüte, die bei der Modenschau in Amneris Gemächern präsentiert werden. Der Unterschied zwischen Arm und Reich wird auch hier durch die Farbgebung betont: Während Amneris und Radames in allen Regenbogenfarben erstrahlen, tragen die Nubier ausnahmslos erdfarbene, düstere Kleider.

Man sollte meinen, dass eine tragische Liebensgeschichte wie »Aida« nur mit getragenen Musikstücken intoniert werden kann, doch Elton John beweist das Gegenteil. Seine Rop/Rock-Nummern haben Ohrwurmcharakter und die sanften Balladen gehen zu Herzen. Die Texte von Michael Kunze holpern an der einen oder anderen Stelle durchaus noch, aber da ist nichts, was nicht im Laufe der nächsten Wochen behoben werden könnte.

Auch die Aufnahme der deutschen Premierencast wird nicht Lange auf sich warten lassen. Noch vor Weihnachten wird die deutsche Version von »Aida« im Handel erhältlich sein.

»Aida« ist ein Herz-Schmerz-Musical, das durchaus fröhliche, mitreißende Momente hat. Das Premierenpublikum dankte es den Darstellerinnen und Darstellern mit minutenlangen Standing Ovations und nicht enden wollendem Applaus.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Colosseum, Essen
Premiere: 5. Oktober 2003
Darsteller: Mathias Edenborn, Florence Kasumba, Maricel
Text / Musik: Tim Rice / Elton John
Fotos: Stage Holding