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Die Wunder sind vorüber!

Nach nur 320 Vorstellungen senkte sich der Vorhang für »Mozart! – Das Musical« in der Neuen Flora Hamburg zum letzten Mal.

Das Aus für die Wiener Erfolgsproduktion von Sylvester Levay und Dr. Michael Kunze kam sehr viel schneller als geplant. Doch bevor sich der fulminante Sternenhimmel, der jeden Besucher bereits beim Betreten des Saals verzauberte, für immer verdunkelte, gaben alle »Mozart!«-Darsteller, das Orchester und die Backstage-Mitarbeiter noch einmal ihr Bestes, um die kurze »Mozart!«-Zeit in Hamburg stilvoll zu beenden.

Die Show begann unter dem frenetischen Jubel der 1.800 Gäste. Die erste längere Unterbrechung gab es schon nach der 3. Szene, in der Felix Martin (Fürsterzbischof Colloredo) mit „Wo bleibt Mozart?“ die Besucher zu spontanen Standing Ovations hinriss. Großen Applaus erntete auch Ethan Freeman, der als Leopold Mozart das Publikum zu Tränen rührte als er seinem Sohn Wolfgang ein letztes verzweifeltes Mal den guten Rat gab „Schließ‘ Dein Herz in Eisen ein“.

Dass diese »Mozart!«-Vorstellung eine ganz besondere war, wurde jedem spätestens in der Praterszene klar, nach der die Requisiteure eine weiße Fahne mit der Aufschrift „Tschüß“ aus dem Weberschen Wohnmobil hängten und beim Verlassen der Bühne zum Abschied ins Publikum winkten.

Die ganze Show war gespickt mit vielen kleinen Hinweisen auf das Ende des Stücks. Am deutlichsten waren gezielte Textänderungen von Aleksander di Capri, der als Graf Arco den rebellischen Wolfgang Mozart (ein letztes und erneut außergewöhnliches Mal gespielt von Yngve Gasoy-Romdal) nach Bad Hersfeld schickte, anstatt nach Salzburg – eine Anspielung auf Yngve Gasoy-Romdals dortiges Engagement als Jesus in Andrew Lloyd Webbers Jesus Christ Superstar. Am Ende der vorletzten Szene im 1. Akt fanden sowohl Aleksander di Capri als auch Yngve Gasoy-Romdal die eindringlichsten Worte: „Schade um uns Mozart! Jetzt ist es aus mit uns!“ „Nein, wir fangen erst an, jetzt sind wir frei!!!!“ Das Ergebnis dieser sehr emotionalen Einlage waren minutenlange Standing Ovations.

Nachdem der letzte Ton von „Wie wird man seinen Schatten los?“ verklungen war und Yngve Gasoy-Romdal den 1. Akt trotz seiner Rückenverletzung mit dem legendären Sprung über die Klaviertasten beendet hatte, wollte der Applaus für die grandiose Leistung des Ensembles nicht enden.

Auch im 2. Akt fanden die »Mozart!«-Darsteller die passenden Worte zum abrupten Ende der Spielzeit. So beklagte sich Maricel alias Constanze bei Wolfgang über die Umstände, die zur Absetzung des Stücks geführt haben, anstatt (wie es im Skript steht) um Schutz vor ihrer herrischen Mutter und deren Freund zu bitten: „Die haben mich hier rausgeworfen! Und Geld bekomme ich auch keins mehr!“

Einen Lacher ernteten die Requisiteure, die der Königin der Nacht, die während des Zauberflötenmedleys von der Bühnendecke schwebt, ein brasilianisches Fußballtrikot übergezogen hatten. Diese witzige Showeinlage drängte die aufsteigende Trauer noch einmal kurzzeitig zurück.

Als jedoch die Sterbeszene vorüber war und sich das »Mozart!«-Ensemble an den Bühnenrand vorwagte, um ein letztes Mal gemeinsam „Wie wird man seinen Schatten los?“ zu singen, stand bereits das gesamte Publikum und zwischen all den Jubelrufen und begeisterten Pfiffen hörte man tiefe Schluchzer und sah um sich herum viele Gäste mit Tränen in den Augen. Aber auch den Darstellern ging es nicht besser…

Der Geschäftsführer der Neuen Flora, Dieter Powitz, hielt eine kurze Rede und bedankte sich bei allen, die »Mozart!« während der schweren Monate in Hamburg unterstützt hatten. Dann bat er die Schöpfer von »Mozart!« Sylvester Levay und Dr. Michael Kunze zusammen mit den weiteren Wolfgang-Darstellern Fritz Schmid, Martin Pasching und Fernand Delosch auf die Bühne.

Aber damit war die letzte »Mozart!«-Show noch nicht zu Ende…

Das Ensemble hatte sich noch eine ganz besondere Überraschung ausgedacht: Zunächst hörte man nur ein einsames Klavier, das ein Lied anstimmte, dass von vielen Besuchern der Hamburger »Mozart!«-Inszenierung als das schönste des gesamten Stücks bezeichnet wurde: „Jeder Abschied ist der Anfang einer Reise!“ erklang noch einmal in einer wundervollen Interpretation. Das zu Tränen gerührte Ensemble und ein sichtlich ergriffener Hauptdarsteller sangen die ersten Worte des in diesem Moment so passenden Liedes. Die nächste Strophe wurde von den vier Wolfgang-Darsteller allein gesungen und auch die „Originalfassung“, in der Wolfgang, sein Vater Leopold, seine Schwester Nannerl und seine Mutter Maria-Anna voneinander Abschied nehmen, wurde in einer weiteren Strophe aufgegriffen.

Wer bis zu dieser Minute dem Ende von »Mozart!« noch relativ gelassen entgegen gesehen hatte, rang spätestens jetzt mit seiner Fassung. Zahllose Rosen, Geschenke und Plakate, die zu den Darstellern auf die Bühne geworfen wurden, taten ein übriges, um jedem im Publikum klar zu machen, dass er hier die letzten Minuten eines der besten deutschsprachigen Musicals erlebte.

Abschließend sangen die »Mozart!«-Darsteller zusammen mit allen 1.800 Gästen ein letztes sehr bewegendes Mal „Gold von den Sternen“ und dann senkte sich der letzte Vorhang von »Mozart!« in Hamburg.

Für die Mitarbeiter der Neuen Flora gab es zum Abschied noch eine Dernierenparty, auf der sich die Künstler und Backstage-Mitarbeiter von ihrem »Mozart!« verabschieden konnten. Doch zuvor gab es noch eine eilig einberufene Mitarbeiterversammlung, auf der den Mitarbeitern das verkündet wurde, was am nächsten Tag in allen Zeitungen stand: dass die Stage Holding vier der fünf Stella-Theatern kaufen würde und die Nachfolgeproduktionen ebenfalls bereits feststehen.

Auch, wenn sich alle gewünscht hatten, dass es mit »Mozart!« weitergehen würde, war die verkündete Übernahme der Neuen Flora durch die Stage Holding ein Lichtblick. Aber bevor sich irgend jemand Gedanken über die Zukunft in Form eines riesigen Atlantik-Kreuzers namens »Titanic« machte, wurde im Foyer der Neuen Flora noch einmal eine der berühmt-berüchtigten Stella-Partys gefeiert: Es gab ein großes Buffet; und der DJ spielte einen Musikmix, der auch den erschöpftesten Mitarbeiter zum Tanzen animierte.

Dennoch sah man überall auch Menschen, die sich traurig in den Armen lagen und spürte ein bisschen von dem Wehmut über das plötzliche Ende von »Mozart!«. Es ließ sich eben doch nicht verhehlen, dass es sich um eine Abschiedsfeier handelte – Abschied von »Mozart!«, vom Theater, von den lieb gewonnenen Kolleginnen und Kollegen…

Als es am Montag morgen in Hamburg schon wieder hell wurde, war die Dernierenparty immer noch in vollem Gang.

Dass ein musikalisch und künstlerisch erstklassig besetztes Stück nach insgesamt nicht einmal 750 Vorstellungen in Wien und Hamburg abgesetzt werden muss, ist sehr schade. Das ist absolut kein Alter für Musical, wenn man bedenkt, dass Stücke wie »Cats«, »Starlight Express« und »Das Phantom der Oper« in Deutschland seit weit über zehn Jahren laufen und auch »Elisabeth« im Herbst 10-jähriges Jubiläum feiert. Vielleicht darf ja auch »Mozart!« eines Tages an einem anderen Standort eine Wiederauferstehung feiern.

Den 35 Künstlern, die in den vergangenen Monaten Abend für Abend auf der Bühne der Neuen Flora standen und die Besucher in ihren Bann zogen, kann man nur wünschen, dass sie möglichst bald ein Engagement bei einem ähnlich anspruchsvollen Musical und einem so begeisterungsfähigen Publikum wie dem in der Neuen Flora Hamburg finden.

Und für die Mitarbeiter der Neuen Flora bleibt zu hoffen, dass die Stage Holding nicht allzu viele Personalkürzungen vornimmt und dass das grandiose Team, das »Das Phantom der Oper« und »Mozart!« betreut hat auch der »Titanic« beim deutschen Stapellauf zur Seite stehen kann.

Michaela Flint
veröffentlicht in blickpunkt musical

Theater: Neue Flora, Hamburg
Derniere: 30. Juni 2002
Darsteller: Yngve Gasoy-Romdal, Felix Martin
Buch / Musik:  Michael Kunze / Sylvester Levay
Fotos: Stella Entertainment