home 2009 Charmantes Verwicklungsspiel als Garant für gute Laune

Charmantes Verwicklungsspiel als Garant für gute Laune

Das beschauliche Altonaer Theater in Hamburg ist seit Jahren ein Garant für kurzweilige Unterhaltung. Ob nun „My Fair Lady“, „Jailbirds“ oder “Victor/Victoria” – jede Produktion hat ihren ganz persönlichen Charme und zaubert dem Publikum ein Lächeln auf das Gesicht.

In diesem Jahr hat man sich also des Klassikers von Blake Edwards (Buch), Henry Mancini (Musik) und Leslie Bricusse (Songtexte) angenommen. In der Regie von Ulrike Grote entwickelt sich die Geschichte von Victoria Grant, die aus der Not eine Tugend macht und mithilfe von Toddy der gefeierte polnische Travestiedarsteller Victor Grazinski wird.

Das Stück spielt Anfang der 30er Jahre in Paris. Victoria lernt bei einem Vorsingen in einem Nachtclub den schwulen Chansonnier Carol Todd, genannt Toddy, kennen. Im Gegensatz zum Nachtclubbesitzer erkennt Toddy das Potential der jungen Frau. Durch einen Zufall kommt er auf die Idee, Victoria als Graf Victor auszugeben. Das macht er natürlich nicht ganz uneigennützig. Denn mit dem schicken jungen Grafen an seiner Seite möchte Toddy seinen Ex-Freund eifersüchtig machen. Dass die Auftritte von Victor in kurzer Zeit ganz Paris begeistern, kommt ihm da sehr gut zu Pass.

Dass Victor auch Leute neugierig macht, mit denen man sich besser nicht anlegt, ist nahezu unvermeidlich. Der Kleinkriminelle King Marchand sieht Victor auf der Bühne und ist zunächst von dem Mann im Damenkleid abgestoßen. Plötzlich bemerkt er jedoch, dass er sich zu Victor hingezogen fühlt und bekommt arge Selbstzweifel. Nach einem Zwischenfall offenbart sich Victoria King Marchand und die beiden beginnen eine Affäre. Sehr zum Leidwesen der nunmehr abservierten Norma, die auf Rache sinnt und versucht, King Marchand mit seiner vermeintlichen Homosexualität in Gangsterkreisen in Unbill zu bringen.

Das Finale ist ein heiteres Durcheinander, an dessen Ende Victoria und King Marchand als echtes Paar aus Frau und Mann hervorgehen, Norma frustriert davonläuft und King Marchands Leibwächter sich hoffnungslos in Toddy verliebt.

Die Handlung an sich gibt viele Möglichkeiten, um Nebenhandlungen aufzubauen und verschiedenste Charaktere wechselseitig in den Mittelpunkt zu stellen. Leider misslingt Ulrike Grote dieses feine Zusammenspiel gründlich. Ihre Figuren scheinen nicht zu Ende gedacht und kratzen nur an der Oberfläche der vielschichtigen Geschichte.

So steht erstaunlicherweise nicht Victor/Victoria alias Meike Kircher im Mittelpunkt des Geschehens, sondern Toddy (Hans-Jörg Frey) und Norma (Regina Stötzel) avancieren zu den absoluten Publikumslieblingen. Frey gibt einen sehr charmanten alternden Homosexuellen, der aus seiner Leidenschaft keinen Hehl macht und Victoria mit viel Gefühl als bester Freund zur Seite steht. Er überzeichnet den Charakter dort, wo es passt und nimmt sich an anderer Stelle gleichermaßen zurück.

Regina Stötzel spielt die nervige, strunzdoofe Vorzeige-Blondine Norma exzellent. Ihre Auftritte sorgen für Lacher und anhaltenden Zwischenapplaus. Sie hat mit Abstand die dankbarste Rolle und macht was daraus.

Als King Marchand versucht Stefan Haschke seinen Mann zu stehen. Leider fällt es ihm schwer den gerissenen Gangster glaubhaft über die Rampe zu bringen. Natürlich spielt hierbei auch eine Rolle, dass er nicht das gängige Klischee eines gutaussehenden Adonis erfüllt. Seine Kolleginnen sind größer als er und allein dadurch gerät ganz schnell an die Grenze zur Witzfigur. Berücksichtigt man hierbei nun noch, dass sein Leibwächter (gespielt von Simon Zigah) – ein Bär von einem Mann – ihn an komödiantischen Szenen und Bühnenpräsenz deutlich übertrumpft, kann einem Haschke schon fast leid tun. Und doch drängt sich der verdacht auf, dass er nichts dafür kann. Denn auch die Rolle von Victor/Victoria gerät zur Randfigur. Dies liegt sicherlich nicht an dem nicht vorhandenen schauspielerischen Unvermögen von Meike Kircher – im Gegenteil, sie spielt ihre beiden Parts sehr gut und zeigt auch Ansätze, die die innere Zerrissenheit erahnen lassen. Und doch bleibt sie am Ende blass.

Bleiben noch die Songs, von denen vor allem „ Le Jazz Hot“ und „The Shady Dame from Seville“ sowie die wunderschöne Ballade „Du und Ich“ im Gedächtnis bleiben. Erstere wegen der farbenfrohen Kostüme der vier Tänzer und des Stars Victor sowie der ausladenden Choreographien; letzterer wegen der schönen Stimmfarben von Meike Kirchen und Hans-Jörg Frey, die erahnen lassen, was möglich gewesen wäre.

So schön „Victor/Victoria“ oberflächlich betrachtet sein mag und so sehr man auch über die Comedy-Nummern lacht – ein Slapstick-Musical ist das Stück nun bei weitem nicht. Und diese Grenze wurde in der Regie von Ulrike Grote leider nicht gewahrt.

Michaela Flint
erschienen in blickpunkt musical

Theater: Altonaer Theater, Hamburg
Premiere: 2. August 2009
Darsteller: Meike Kircher, Hans-Jörg Frey
Regie: Ulrike Grote
Fotos: Joachim Hiltmann