home 2012 Leider etwas zahnloses Vampirmusical

Leider etwas zahnloses Vampirmusical

Broadway-Komponist Frank Wildhorn bürgt für herausragende musikalische Qualität (u. a. „Jekyll & Hyde“) und auch das Theater im beschaulichen Lüneburg hat schon einige exzellente Musiktheater-Produktionen auf die Bühne gebracht („Chess“, „Aida“, etc.).

Mit der Musicalfassung von Don Blacks und Christopher Hamptons „Dracula“ scheint man hier jedoch überfordert: Es mangelt an Personenregie; auch ein sehr guter Hauptdarsteller und das beherzt aufspielende Orchester unter der Leitung von Urs-Michael Theus kann die Scharten, die sich durch Friedrich von Mansbergs Inszenierung hindurchziehen, nicht auswetzen.

Aber der Reihe nach: Der ins heutige London transferierten Geschichte liegt Bram Stokers Briefroman „Dracula“ zugrunde. Dracula lebt in einem Hotel – von Otto-Normal-Bürgern unerkannt und gleichzeitig von zahlreichen Jüngern angebetet – um nah bei seiner Mina zu sein. Doch diese liebt und heiratet den Anwalt Jonathan Harker.

Minas Freundin Lucy, die sich vor potentiellen Heiratskandidaten kaum retten kann, findet ihren Traummann im schüchternen Arthur. Doch sie ist eine nur allzu leichte Beute für Dracula, der sie ohne Zögern zu seiner Gespielin macht. Hier tritt nun Draculas Erzfeind Abraham van Helsing auf den Plan, der die Massen gegen den Vampir aufhetzt, um seine eigene Besessenheit zu befriedigen – hat der Vampir doch vor einigen Jahren dessen Ehefrau getötet.

Am Ende bleibt Dracula mit gebrochenem Herzen zurück und seine Peiniger haben gelernt, dass in diesem Wesen nicht nur ein blutrünstiges Biest steckt.

Ein wenig ratlos verlässt man das Theater, denn die Inszenierung wirkt zusammengestrichen und macht es schwer, eine  zusammenhängende Handlung auszumachen. Dies liegt zu einem großen Anteil daran, dass nach nahezu jeder Szene der Vorhang fällt und das Orchester die eingeblendete Orts- und Zeitangabe brillant überbrückt. Der Sinn dieser Unterbrechungen erschließt sich nicht, denn die Geschichte ist nicht sonderlich komplex.

Einzelne Szenen sind jedoch durchaus gelungen. Dies liegt vorrangig an Wildhorns Kompositionen, die es den Darstellern ermöglichen, die mangelnde Personenregie durch gesangliche Expressionen auszugleichen. So wird der schräge Barkeeper und Dracula-Bewunderer Renfield (MacKenzie Gallinger) dem Klischee eines Wahnsinnigen gerecht und zieht die Blicke auf sich, weil man wissen möchte, was er als nächstes anstellt… Auch Annabelle Mierzwa zeigt Spielfreude als Lucy, besonders wenn sie die Schmeicheleien ihrer drei Galane genießt oder sich Dracula hingibt. Dass sie dabei nicht jeden Ton trifft, mag man ihr nachsehen. Karl Schneider ist ein van Helsing, der optisch zwar an Dieter Bohlen erinnert, aber über eine gute energetische Ausstrahlung verfügt und der sich auch im Gesangsensemble von seinen Kollegen abhebt.

Die Leading Lady, Mina, wird von Franka Kraneis gegeben. Ihr glockenklarer Sopran will nicht so recht zu Wildhorns Melodien passen und so bleibt eigentlich nur ein Duett zwischen Mina und Dracula in Erinnerung („Die Verführung“), in dem sich die Stimmen der beiden Hauptdarsteller ideal ergänzen.

Eigentlich geht man bei „Dracula“ immer von einem Dreigespann aus Dracula, Mina und Jonathan aus, doch in diesem Stück verkauft sich Kristian Lucas als Jonathan Harker eindeutig unter Wert. Nicht nur, dass er sowohl optisch als stimmlich Dracula-Darsteller Gerd Achilles sehr ähnelt und man ihn daher nicht als eigenständigen Charakter wahrnimmt, man hört ihn auch kaum, obgleich er im 2. Akt schöne Soli hat.

Die Rolle des „Meisters“ und Vampirgrafen übernimmt Gerd Achilles, der auch schon in der Lüneburger „Chess“-Inszenierung beeindruckte. Er ist der einzige, der seinem Charakter die notwendige Tiefe verleiht. Sein Dracula ist nicht das eindimensionale, blutdürstende Monster, sondern zeigt Gefühle und Zweifel. Seine schlanke, in schwarze Kostüme gewandete Gestalt, gibt ihm ein stattliches Aussehen, der seine Bühnenpräsenz in nichts nachsteht. Auch gesanglich vermag Achilles zu überzeugen: Von energisch über sanft, mal betörend, mal fordernd, dann wieder verletzt oder liebend, zeigt er eine beachtliche Spannbreite stimmlicher Spielarten.

Auf diesem Niveau hätte man sich gern mehr gewünscht. Doch leider wurde der Fokus offenbar ausschließlich auf die Titelfigur gelegt und alle anderen Rollen nur minimal ausgearbeitet. Neben der verwirrenden Inszenierung an sich, ist es die mangelhafte Personenregie, die bei diesen Besuch in Lüneburg haften bleibt. Hinzu kommt noch die ungenügende Tontechnik, die verhindert, dass man dem Gesang der Darsteller im Zuschauerraum folgen kann, müssen sie sich doch mit viel Kraft gegen das – zugegebenermaßen schwungvolle Orchester durchsetzen, was zumeist gründlich misslingt.

Für die nächste Musicalpremiere wünschen wir uns, dass mehr Augenmerk auf die Figuren gelegt wird. Denn Musical bedeutet nicht nur vorzügliche, raumgreifende Melodien und Gesang, sondern auch beeindruckende schauspielerische Leistungen und eine stimmige, nachvollziehbare Handlung.

Michaela Flint

Theater: Theater Lüneburg
Besuchte Vorstellung: 29. November 2012
Darsteller: Gerd Achilles, Franka Kraneis, Kristian Lucas, Karl Schneider
Musik / Regie:  Frank Wildhorn / Friedrich von Mansberg
Fotos:  t & w, Andreas Tamme