home 2013 Bühnenadaption mit guten Ansätzen

Bühnenadaption mit guten Ansätzen

Nicht alle Zeichentrickfilme aus der Disney-Schmiede taugen als Bühnen-Musicals. Auch an „Anastasia“, ein Film der 1997 in die Kino kam und vom dem zwei Songs im Folgejahr eine Oscar-Nominierung erhielten, hat sich bisher niemand wirklich herangewagt.

Dabei bietet die Geschichte des Waisenmädchens Ana, das durch einen Zufall und mithilfe eines Freundes aus Kindertagen erkennt, dass sie neben der Großfürstin Marie die einzige Überlebende der ehemaligen Zarenfamilie von Nikolai II. ist, durchaus genug tragisch-romantische Momente, die sich bühnenwirksam verarbeiten lassen.

Nina Arena, Bremer Schauspielerin und Regisseurin hat sich des Stoffs angenommen und im Dezember ihr Werk im Bremer Musicaltheater zur Uraufführung gebracht. Für die Komposition zeichnet Thomas Blaeschke verantwortlich, der sich nicht nur in Bremen um Umland einen Namen mit zahlreichen Musicalwerken (darunter u. a. „Maria Stuart“, „Peter Pan“, „Arielle“) gemacht hat.

„Anastasia“ ist eine komplexe Geschichte mit vielen Handlungssträngen: Da ist zum einen Ana, die in einem Waisenhaus aufwächst, dann gibt es ihre Großmutter, die den Gerüchten nicht glauben möchte und aus dem Exil heraus verzweifelt nach ihrer Enkelin sucht, die Nachfahren von Rasputin versuchen ihrerseits ihren Vorteil aus der verfahrenen Situation in Russland zu ziehen, dann erkennt Anas Jugendfreund sie als Prinzessin und eine abenteuerliche Reise zur Großmutter ins Ausland beginnt. Nicht zu vergessen, die aufblühende schüchterne Liebe zwischen Ana und ihrem Jugendfreund.

Dies alles unter einen Hut zu bekommen, ist sicherlich eine der größten Herausforderungen, wenn man „Anastasia“ auf die Bühne bringen möchte. Auch musikalisch bietet das Stück viele Möglichkeiten: von russischen Balalaika-Klängen, über düstere Melodien, die die Intrigen der Rasputins begleiten, von klassisch eleganten Streichern in der Umgebung des russischen Hofstaats bis hin zu romantischen Balladen der jungen Liebe. Dieser Raum für Abwechslung birgt aber immer die Gefahr, dass man den Faden verliert.

Dieser fehlende rote Faden zieht sich sowohl inhaltlich als auch musikalisch durch die Bremer Musicaladaption der klassischen Geschichte. Zahlreiche Ungereimtheiten (Wieso geben sich die Rasputins einfach damit zufrieden, dass sie mit ihrer „erschaffenen“ Anastasia nicht erfolgreich waren?, Warum kann Ana einfach nach Russland zurückkehren, obwohl bekannt ist, dass sie die Prinzessin ist und somit in Lebensgefahr schwebt?, Was passiert mit Franziska nachdem der Schwindel auffliegt?“) machen es schwer, eine runde Handlung zu erleben. Dass die Namen der Protagonisten geändert wurden, mag daran liegen, dass man nicht die Rechte hatte, die Disney-Version auf die Bühne zu bringen und man daher eine eigene Fassung schaffen musste. Also ist die Großfürstin Marie hier Zarin, Anas Freund Dimitri wird zu Niklas, usw. Insgesamt hat diese Version nur wenig Ähnlichkeit mit der Geschichte, die im Disneyfilm erzählt wird.

Die Charaktere sind leider nicht vollends ausgearbeitet. Ana bleibt bis kurz vor Schluss ein unsicheres, schüchternes Mädchen und wandelt sich dann sehr plötzlich zu einer selbstbewussten jungen Frau. Niklas ist zunächst die liebevoll treibende Kraft. Doch am Schluss bleibt ihm nur noch die Rolle als schmückendes Beiwerk seiner Ana. Oleg und Nadja Rasputin sind ein düsteres Duo, doch während Oleg durchaus mysteriöse Eigenarten an den Tag legt, ist Nadjas tumbe, kreischige Art einfach nur nervig. Franziska kann man gar nicht fassen: sie ist weder berechnet, noch komplett naiv – so jemandem glaubt man kaum, dass er sich für eine Intrige zur Verfügung stellt. Einzig die Zarin und ihre Hofdame wirken durchweg authentisch.

Musikalisch wird Blaeschke den verschiedenen Charakteren und Spielorten bedauerlicherweise nicht gänzlich gerecht. Der Titelsong ist zwar gefällig, doch darüber hinaus verblasst alles andere schnell wieder. Die Verortung in Russland gelingt ansatzweise, aber im Großen und Ganzen fehlt es an einer eindeutigen Handschrift.

Die Darsteller singen deutlich besser als sie agieren. Es ragt jedoch niemand aus dem Ensemble hervor. Die Soli sind rar gestreut. Was jedoch wirklich ärgerlich ist, ist das allgegenwärtige Overacting. Man versteht den Ansatz dahinter, aber sowohl Alexander Hohler als Oleg Rasputin, Sharon Isabelle Rupa als Nadja Rasputin als auch Sarah Kluge als Franziska agieren so weit über das erträgliche Maß hinaus, sind so aufgesetzt exzentrisch, dass man ihnen die Rollen keine Sekunde abnimmt. Dagegen bleiben Sara Dähn und Fabio Diso als Ana und Dimitri blass und unscheinbar. Erneut sind es Nina Arena als Zarin und Leonie Fuchs als deren Hofdame die ihren Figuren die Würde und den Anstand verleihen, die ihnen angemessen sind.

Insgesamt gibt es viele gute Ansätze in dieser Bühnenadaption von „Anastasia“, doch eine Einmaligkeit kreieren die Macher mit diesem Stück nicht. Es ist sowohl süßlich wie Disney als auch geheimnisvoll wie ein Zeitroman, romantisch-verklärt durch die rosa Brille, hinterlässt aber den Beigeschmack von „gewollt und nicht ganz gekonnt“. Als Amateurmusical würde es sehr gut funktionieren, doch mit dem Anspruch, große Häuser zu füllen und hunderte Zuschauer zu begeistern, reicht diese semi-professionelle Inszenierung nicht aus. Vor allem in den Bereichen Buch und Regie müssten noch grundlegende Anpassungen erfolgen, bevor sich diese Produktion mit anderen Ensuite-Musicals messen kann.

Michaela Flint

Theater: Musical Theater Bremen
Besuchte Vorstellung: 21. Dezember 2013
Darsteller:
Nina Arena, Sara Dähn, Fabio Diso, Alexander Hohler , Leonie Fuchs, Sarah Kluge, Jana Meyerdierks, Sharon Isabelle Rupa

Regie / Musik: Nina Arena / Thomas Blaeschke
Fotos: bremen-musical.de