home 2014 Nicht Fisch oder Fleisch…

Nicht Fisch oder Fleisch…

Auch Andrew Lloyd Webbers und Time Rices Rockoper „Jesus Christ Superstar“ gehört zu den Shows, die in Stadttheatern immer wieder gern aufgeführt werden. In dieser Spielzeit nimmt sich das Theater Hagen des historischen und politisch hochbrisanten Stoffs an.

Die Ouvertüre erklingt raumfüllend zu bedrohlichen Wolkenformationen auf der bühnenfüllenden Leinwand. Auch die Eröffnungsnummer „Heaven in their minds“ wird von Carsten Lepper alias Judas noch im Hintergrund gesungen. Der Gaze-Vorhang beraubt den Titel leider ein wenig seiner Kraft und Intensität.

Erfreulicherweise wird das Stück im englischen Original aufgeführt, was aufgrund der Harmonie von Komposition und Songtexten sehr authentisch ist. Die dadurch erforderlichen Übertexte geben wie fast immer reichlich Anlass zum Kopfschütteln oder Lachen. In Hagen mehrheitlich ersteres, da die Herausforderung der Einblendung der passenden deutschen Texte zur jeweiligen Szene auf der Bühne eindeutig zu groß zu sein scheint und man phasenweise ganze zwei Songs zu spät dran ist mit der Übersetzung. Es dem deutschen Publikum, das bekanntermaßen deutsche Texte einfordert, Recht machen zu wollen , ist nicht immer von Vorteil.

Mit dem Auftritt der Apostel – hier als rauchende und trinkende Streetkids dargestellt – hebt sich der Vorhang endlich und der vorher etwas gedämpfte Klang wird besser. Ob dies jedoch im Fall von Maria Magdalenas „Everything‘s alright“ wirklich von Vorteil ist, sei dahingestellt. Nicht nur, dass Maria Magdalena ein deutlich höheres Spielalter als Jesus zu haben scheint – sie könnte beinahe als dessen Mutter durchgehen – Marilyn Bennett agiert erstaunlich altbacken. Stimmlich ist sie der Partitur nicht gewachsen und eindeutig zu viele schiefe Töne lassen einen mehrfach zusammenzucken.

In Thilo Borowczaks Inszenierung treffen sich Jesus und seine Jünger auf einem verlassenen Bahnhof. Dunkle Treppenaufgänge, vereinzelte Piktogramme an den Wänden und die obligatorischen Plastiksitzbänke verströmen nun wahrlich keine Wohlfühlatmosphäre. In den Katakomben, die optisch stark an einen Bunker erinnern, tagen Kaiaphas und seine Priester. Dabei sorgt Orlando Mason als Kaiaphas für eine gelungene Überraschung: Er ist sehr schlank, hoch aufgeschossen und überragt seine Kollegen um zwei Köpfe, doch sein voluminöser Bass verfehlt seine Wirkung nicht und lässt die Zuschauer ehrfurchtsvoll erschauern. In ihren grauen Anzügen mit den grau-weiß gestreiften Armbinden erinnern die Priester an das farblose Klischee der Stasi-Offiziere, auch Assoziationen zur SS drängen sich bei ihrem Anblick und Habitus auf.

Aus der Menge der Jünger sticht vor allem Tillmann Schnieders als Simon hervor. Auch wenn er nur wenige Soloeinsätze hat, stellt er die anderen Apostel durch seine Bühnenpräsenz in den Schatten. Peter, dem in der eigentlichen Geschichte eine wesentlich größere Bedeutung zukommt, bleibt hingegen blass im Hintergrund.

Als Jesus seine Anhänger im Tempel beim genussvollen Auskosten des Lebens erwischt, zeigen sich zum ersten Mal Hannes Stafflers Qualitäten. Mit kraftvoller Stimme verleiht er seinen Empfindungen Ausdruck und schafft es zusätzlich Jesus‘ Weltschmerz stimmlich einzubringen. Beinahe körperlich spürt man sein Leid, sein Bedauern über die Maßlosigkeit der Jünger.

Regieseitig wird in dieser Szene einiges treffend angedeutet, aber letztlich doch zuviel gewollt. Warum sich bspw. keiner der so auf Kommerz fixierten Anhänger um das Geld schert, das vom Himmel fällt, erschließt sich dem Publikum nicht.

Gut gelungen und sehr beklemmend ist hingegen „See my eyes“, wo die Erwartungshaltung seiner Anhänger den Sohn Gottes langsam aber sicher überfordern. Riesige verzerrte, fordernde Gesichter, überlebensgroß auf den Vorhang projiziert, machen den Druck, unter dem Jesus steht, mehr als deutlich.

Umso bedauerlicher ist es, dass die anschließende Liebeserklärung Maria Magdalenas („I don‘t know how to love him“) erneut auf einer Mutter-Sohn-Ebene abläuft: Gleichermaßen optisch und akustisch wirkt Bennett eher wie eine besorgte Mutter und nicht wie die liebende Frau an Jesus‘ Seite. Schade, denn durch den Verlust dieser so spannenden Beziehung verschenkt der Regisseur viel Potential.

Deutlich besser funktioniert hingegen „Blood money“: Judas ist bei den Priestern im Bunker, erliegt schließlich deren Überzeugungskunst und verrät seinen Freund Jesus. Carsten Lepper legt alles in diese Zerrissenheit und drückt Judas‘ Verzweiflung mit jedem Ton aus. Diese Intensität ist atemberaubend. Dass Jesus jedoch hinter der Wand sitzend alles mit anhört, wirkt dagegen unerwartet plump.

Das Highlight im 2. Akt ist naturgemäß „Gethsemane“, doch leider verpufft diese so wichtige, emotionale Szene fast wirkungslos. Staffler wirkt sehr gefühlskalt, fast unbeteiligt. Und obwohl er den Song sehr gut singt, kommen die damit verbundenen Gefühle nicht beim Publikum an.

Auch die Szene, in der Jesus von sehr martialisch in Schutzpanzern verpackten Soldaten festgenommen wird („The Arrest“), ist sehr einfallslos inszeniert. Dass Jesus von dunklen Gestalten mit Taschenlampen angeleuchtet wird, hat man in nahezu identischer Form schon x-fach gesehen.

Einzig Rainer Zaun ragt hier als von Zwangsneurosen getriebener Pontius Pilatus mit offensichtlichen Berührungsängsten – er trägt Latexhandschuhe – hervor.

Pilatus ist hin- und hergerissen, möchte keine Entscheidung treffen, versucht Jesus eine Brücke zu bauen. Als alles fehl schlägt, überstellt er den Delinquenten zu König Herodes.

Die mit Abstand geschmackloseste Szene des Abends, die jedoch gemeinhin das meiste Kreativpotential bietet, ist Jesus‘ Anhörung bei König Herodes. Doch ein übergewichtiger Herodes in einem goldenen Borat-Einteiler, umgeben von billig kostümierten Burlesque-Tänzerinnen mit Lady Gaga Einschlag und Plastik-Frau-Antje-Perücken, zeugt von einer unglaublichen Stillosigkeit. Übertroffen wird diese völlig banale, überflüssige Szenenarbeit nur noch durch die an 1980er Jahre Aerobic-Videos erinnernde Choreographie von Ricardo Fernando.

Zurück bei Pilatus erleben die Zuschauer beeindruckt mit, wie sich der Caesar dem Druck der Massen beugt und beinahe unter eigenen Schmerzen Jesus 39 Schläge verpasst. Die Projektionen schmerzverzerrter Gesichter intensivieren die Szenerie sehr treffend. Hier – wie auch in einigen anderen Szenen – fällt jedoch negativ auf, dass die Tempi von Chor und Orchester nicht immer passend aufeinander abgestimmt sind. Wenn jedoch der Dirigent (Steffen Müller-Gabriel) mit seinem 45-köpfigen Orchester hinter der Bühne steht, ist dieses Problem durchaus nachzuvollziehen.

Es folgt eine der bekanntesten Musicalnummern überhaupt: „Jesus Christ Superstar“. Wenn jedoch Judas und seine Tänzer in weißen Raumanzügen stecken und gemeinsam mit Nonnen mit grünen Kreuzgirlanden um den Hals in bester Tony Manero Manier Aerobics machen, wirkt dies einfach nur noch lächerlich. Ein Jesus, der mit ausgestreckten Armen minutenlang auf einer grünen Kiste stehend, ausharren muss, macht es nicht besser. Wäre nicht Carsten Leppers Spielfreude und sein bestechender Gesang, man könnte auch diese Szene getrost dem Bereich der Banalitäten zurechnen. Doch Lepper gelingt es, dem Publikum zu vermitteln, warum dieser Song und diese Szene Weltruhm erlangt haben.

In der Sterbeszene wird es dann wieder puristischer auf der Bühne. Ein sehr blutverschmierter und blaugeschlagener Jesus ergibt sich seinem unausweichlichen Schicksal. In den letzten Sekunden ist dann auch wieder Judas an seiner Seite, der sich eigentlich drei Szenen zuvor aus Verzweiflung und Scham erschossen hatte.

Das Schlussbild  – Judas hält den sterbenden Jesus in seinen Armen – ist so ergreifend, dass die Zuschauer sekundenlang nicht merken, dass das Stück zu Ende ist.

Insgesamt kann man für diese Inszenierung festhalten, dass sich der Regisseur offenbar nicht entscheiden konnte, ob er nun eine bedrohlich-beklemmende oder eine trashig-alberne Fassung zeigen wollte. Die gewählte Mischung lässt zumindest keinen roten Faden erkennen und macht es schwer, Darsteller und Handlung ernst zu nehmen.

Mit Carsten Lepper und Hannes Staffler hat das Theater Hagen jedoch zwei ausgezeichnete Gäste engagiert, die der Rockoper das erforderliche Niveau verleihen. Viel Potential haben auch Orlando Mason und Rainer Zaun. Der Rest wird jedoch ein Opfer des Regiechaos. Das gilt für Bühnenbild, Kostüme und Choreographien in gleichem Umfang. Etwas mehr Struktur und Mut hinter dem Regiepult hätten sicherlich zu einer rundum gelungenen „Jesus Christ Superstar“-Inszenierung geführt. Doch so bleibt ein verwirrender Beigeschmack und das Publikum fragt sich zurecht, was ihm das Kreativteam damit sagen wollte.

Michaela Flint
erschienen in musicals – Das Musicalmagazin

Theater: Theater Hagen
Besuchte Vorstellung: 15. Februar 2014
Darsteller: Marilyn Bennett, Carsten Lepper, Orlando Mason, Hannes Staffler, Rainer Zaun
Regie / Musik: Thilo Borowczak / Andrew Lloyd Webber
Fotos: Foto Kühle / Theater Hagen