home 2015 Musical oder Konzert? Unwichtig – aber garantiert jede Menge guter Musik und hervorragende Stimmung!

Musical oder Konzert? Unwichtig – aber garantiert jede Menge guter Musik und hervorragende Stimmung!

Neu ist das schräge Zukunftsmusical mit den Pophits von Queen inzwischen wirklich nicht mehr, aber bis nach Hamburg hatte es die Erfolgsproduktion aus dem Londoner West End bisher nicht geschafft. Das änderte sich im März 2015. Als erste Tourproduktion im neu eröffneten Mehr! Entertainment Theater am Großmarkt gab es somit gleich zwei „Premieren“ zu feiern.

Das neue Theater, erbaut in einer denkmalgeschützten Großmarkthalle, ist auf Vielseitigkeit ausgelegt: Von Musicals über Konzerte bis zu Varieté soll sich hier jede Unterhaltungsform wohl und willkommen fühlen. Dem industriellen Charme des Theaters nicht zu erliegen, fällt schwer. Kein prunkvolles Foyer, sondern funktionale Garderoben empfangen die Zuschauer beim Betreten des Hauses. Biegt man einmal um die Ecke, befindet man sich vis-à-vis einer weitläufigen Bar, die direkt neben dem Zuschauerraum platziert ist. An den Wänden finden sich thematisch passende Bilder von Queen und den einzelnen Bandmitgliedern. Schaut man nach oben, erblickt man schwere Träger und Eisenketten – ja, hier wurde früher hart gearbeitet.

Das Bühnenportal von „We Will Rock You“ fügt sich perfekt in diese besondere Umgebung ein. Es wirkt kein bisschen deplatziert. Einzig die etwas eng gestellten Stuhlreihen und die Stolperfallen in Form von am Boden verschraubten Stuhlfüßen fallen negativ auf.

Doch kaum erschallen die erste Töne von Steve White und Band aus der imposanten Soundanlage, ist die Umgebung vergessen und das Publikum lässt sich von Queen’s einmaligen Kompositionen fesseln.

„Radio GaGa“ ist immer wieder schön. Und schon in den ersten Szenen wird deutlich, diese Tourproduktion steht der Longrun-Version in Köln in nichts nach: Die Kostüme und farbenfrohen Perücken der GaGa-Kids sind alle detailliert ausgearbeitet und keines gleicht dem anderen.

Das Ensemble ist in den Gesangsnummern sehr gut zu verstehen, lediglich in den Dialogen hört man mehrfach das heutzutage eigentlich vollkommen unnötige sehr akzentuierte Deutsch.

Die Hauptdarsteller überzeugen durch die Bank:

Christopher Brose hat eine eindrucksvolle Stimme, mit der er alle Höhen und Tiefen von Galileos Rock-Songs und Balladen spielend meistert.

Jeannine Michèle Wacker gibt eine schön anstrengende Scaramouche. Sie hat eine bestechende Mimik, ihr mitreißendes Lächeln und ihre strahlenden Augen machen sie sehr sympathisch. Stimmlich wird sie der Rolle voll und ganz gerecht, auch wenn das „Quaken“ WWRY-Neulingen und Queen-Fans manchmal in den Ohren schmerzt.

Das Duo Infernale – Killer Queen und Kashoggi (gespielt von Goele de Raedt und Jörg Neubauer) – sind bösartig und machthungrig, aber irgendwie doch zu nett im Vergleich zu Brigitte Oelke und Martin Berger, die diese Rollen seinerzeit in Köln kreiert haben. Doch auch de Raedt und Neubauer bestechen durch ein gutes Zusammenspiel und geben den Queen-Klassikern ein ganz besondere Note.

Brit und Ozzy, die beiden Anführer der Bohemians, überzeugen ebenfalls auf ganzer Linie: Britney Spears, genannt Brit, erinnert mehr als nur flüchtig an Thor. Doch Markus Neugebauer zeigt nicht nur optisch seine Stärken, sondern macht auch stimmlich viel Spaß. Linda Holmgren gibt Brits Partnerin Ozzy und ihre Stimmgewalt ist herausragend: Queen mit soviel Soul in der Stimme hört man auch nicht alle Tage.

Nicht zu vergessen Bap. Leon van Leuwwenberg spielt diese Rolle schon sehr viele Jahre. Doch von Abspulen oder 08/15 keine Spur. Er lässt sich mit vollem Einsatz von Kashoggis Schergen fangen, hat sichtlich Spaß an der Motorradfahrt mit Galileo und Scaramouche und gibt einen sehr sympathischen wissenden Wirt der „Seven Seas of Rhye“ Bar.

Dass sich WWRY immer weiter entwickelt, merkt man nicht nur an Planet iPad, der ursprünglich Planet eBay war, sondern auch an den Namen der Bohemians, zu denen jetzt auch Amy Winehouse, Shakira und Jan Delay gehören.

Auch die omnipräsente Helene Fischer hielt Einzug in die Show, als sich die Protagonisten „atemlos durch die Nacht“ kämpfen.

Wenn es einen Punkt gibt, den man kritisieren kann und muss, ist es die Tontechnik: Die Bässe sind kaum hör- und spürbar, allzu oft haben die Sänger gegen die volle Wucht der E-Gitarren keine Chance und der ein oder andere Tempo- und Einsatzfehler kommt noch hinzu.

Und dennoch kann man jedem diese Show nur wärmstens ans Herz legen: WWRY bietet starke, eigenwillige Charaktere, hat eine schlüssige, wenn auch vollkommen hanebüchene Handlung, doch letztlich geht es eh nur darum, das Vermächtnis von Queen zu feiern. Kein Song beschreibt dies schöner als „Kein wahrer Held lebt lang“ (No-One but You (Only the Good Die Young)), bei dem im Hintergrund die Gesichter verstorbener Sänger gezeigt werden.

Michaela Flint

Theater: Mehr! Entertainment Theater am Großmarkt, Hamburg
Besuchte Vorstellung: 8. April 2015
Darsteller: Christopher Brose, Jeannine Michèle Wacker, Goele de Raedt, Jörg Neubauer, Markus Neugebauer, Linda Holmgren, Leon van Leuwwenberg
Musik / Regie: Queen / Ben Elton, Annette Kipenhan
Fotos: Nilz Böhme / Susanne Brill